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Nach dem BVerfG-Urteil zum Mietendeckel„Vom Bundesdeckel rate ich ab“

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Berliner Mietendeckel ist nicht überzeugend, findet der Rechtswissenschaftler Florian Rödl.

Blick auf den „Moloch“ Berlin: ein weites Betätigungsfeld für eine neue Mietendeckel-Initiative Foto: dpa
Timm Kühn
Interview von Timm Kühn

taz: Herr Rödl, Sie waren Teil der juristischen Vertretung des Landes Berlin beim Mietendeckel-Prozess vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Kern des Urteilsspruchs war, dass der Bund mit der Mietpreisbremse den Bereich Mieten abschließend geregelt habe – weshalb das Land Berlin für den Deckel nicht die nötige Gesetzgebungskompetenz besäße. Noch im Februar erklärten Sie gegenüber der taz, eine solche abschließende Intention sei im Gesetzestext der Mietpreisbremse „nicht einmal oberflächlich zu identifizieren“. Haben Sie sich geirrt?

Florian Rödl: (lacht) Nein, denn ich halte die Begründung des Gerichts für wenig überzeugend. Die Richter stützen sich an zentraler Stelle auf eine Aussage der CSU-Abgeordneten Anja Weisgerber in der Bundestagsdebatte zur Mietpreisbremse. Sie sagte dort, die Bremse sei eine „politische Verantwortungsübernahme des Bundes für die gesamte Wohnungspolitik“. Offenbar haben dem Gericht weder der Gesetzestext, noch die Gesetzesbegründung, noch die Protokolle der Ausschusssitzungen, in denen am Gesetzestext gefeilt wurde, ausgereicht, um eine tragfähige Argumentation zu präsentieren. Frau Weisgerber wird sich der verfassungsrechtlichen Kraft ihres Satzes ebenfalls nicht bewusst gewesen sein. Im Ernst: An keiner Stelle ist in den Materialien davon die Rede, dass mit der Mietpreisbremse auch Mietpreisgrenzen der Länder gesperrt werden könnten.

Dennoch steht das Urteil des BVerfG. Kommt jetzt der Bundesmietendeckel?

Dem steht nichts entgegen, aber ich möchte dringend davon abraten. Vielmehr sollte der Bund nichts anderes tun, als den Ländern ihre Kompetenz für Mietpreisgrenzen ohne Abstriche und Vorgaben zurückzugeben.

Im Interview: Florian Rödl

, 49, ist Professor für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht an der Freien Universität Berlin. Im Verfahren um den Mietendeckel vor dem Bundesverfassungsgericht war er einer der Verfahrensbevollmächtigten des Landes Berlin.

Sie sprechen sich gegen einen Bundesmietendeckel aus?

Ja, davon halte ich überhaupt nichts. Das BVerfG hat dem Bundesgesetzgeber den Willen einer abschließenden Regelung zugeschrieben. Das ist jetzt verbindlich. Diesen Willen kann der Bundesgesetzgeber aber für die Zukunft jederzeit ändern. Dafür reicht eine kurze Ergänzung der Mietpreisbremse, so etwas wie: „Festlegungen zur Miethöhe auch durch Landesgesetz bleiben unberührt.“ Dann ist die Regelung ganz offensichtlich nicht mehr abschließend.

Das würde reichen, um den Berliner Mietendeckel zurückzubringen?

Nach Abänderung der Mietpreisbremse müsste auch der Deckel neu verabschiedet werden.

Das klingt nach Projekten für Rot-Rot-Grün auf beiden Ebenen.

Das kann man so sehen. Es geht hier aber auch um politische Verantwortung im Föderalismus. Wie wir am 15. März erfahren haben, hat der Bund mit der Föderalismusreform 2006 die soziale Wohnungsversorgung an die Länder abgegeben, dabei aber eines der effektivsten Instrumente, die Preisgrenzen, für sich behalten. Und seit 2015 ist dieses Instrument für die Länder auch noch gesperrt! Wenn das laut BVerfG nun rechtlich so geschehen ist, müsste sich doch auch für die CDU/CSU ergeben, dass es sich hier um eine föderal untragbare Schieflage handelt.

Der gekippte Deckel

Der Mietendeckel Das bundesweit einmalige Gesetz trat am 23. Februar 2020 in Kraft und galt als das zentrale Projekt der rot-rot-grünen Landesregierung. Die Mieten von rund 1,5 Millionen Berliner Wohnungen wurden infolgedessen auf dem Stand von Juni 2019 eingefroren, laut Stadtentwicklungssenator Sebastian Scheel (Linke) wurden zudem rund 340.000 Mieter*innen berechtigt, ihre bestehenden Mieten zu senken. Bei Neuvermietungen durfte eine festgelegte Mietobergrenze nicht überschritten werden.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts Am 15. März 2021 erklärte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe den Deckel rückwirkend für nichtig. Das Land Berlin habe nicht die nötige Gesetzgebungskompetenz besessen, so die Richter. Zuvor hatten Bundestagsabgeordnete der CDU/CSU und der FDP geklagt. Durch das besonders harte Urteil griffen auch die in vielen Mietverträgen zuvor vereinbarten Schattenmieten, was Tausende Berliner:innen sofort verschuldete. Am Abend des Urteils zogen bis zu 15.000 Berliner:innen durch Neukölln und Kreuzberg. (Timm Kühn)

Warum fallen Mietpreisgrenzen Ihrer Meinung nach eigentlich in die Zuständigkeit der Länder?

Die Argumentation des Landes stützte sich auf den Kompetenztitel des Wohnungswesens, der seit der eben schon angesprochenen Föderalismusreform zweifelsfrei in die Zuständigkeit der Länder fällt. Im Wohnungswesen geht es um die staatliche Daseinsvorsorge im Bereich des Wohnens. Das beinhaltet im Notfall auch, rabiat in das Wirken der Marktkräfte einzugreifen. In das Repertoire gehören Mittel wie die Zwangsbewirtschaftung, also die staatliche Zuweisung von Mieterinnen und Mietern – und eben auch die Deckelung von Mietpreisen. Damit war unserer Meinung nach klar, dass Mietpreisgrenzen von den Ländern gesetzt werden können.

Das BVerfG sieht das anders.

Ja. Im Kern sagt das Gericht, dass Mietpreisgrenzen nicht zum Wohnungswesen, sondern zum sozialen Mietrecht zählen. Dabei sind das zwei Paar Schuhe. Bei Preisgrenzen geht es um eine Aussetzung der Marktpreisbildung. Das Ziel ist die Bewältigung einer Versorgungsnotlage. Sie werden darum auch mit Verwaltungszwang durchgesetzt. Im sozialen Mietrecht geht es letztlich um den uralten Gedanken des Wuchers, der die unverdiente Bereicherung aus knappen Gütern verbietet. Es geht darum, einen wertgerechten Tausch zwischen den Vertragsparteien sicherzustellen. Deshalb müssen die Mieter im sozialen Mietrecht auch immer selbst handeln.

Und weil das BVerfG die Mietpreisgrenzen nun zum sozialen Mietrecht zählt, fallen diese auch in die Zuständigkeit des Bundes?

Fast. Anders als das Wohnungswesen, welches klar in die ausschließlich Zuständigkeit der Länder fällt, ist das soziale Mietrecht Teil der sogenannten konkurrierenden Gesetzgebung. Bedeutet: Sobald der Bund hier eine abschließende – und das „abschließend“ ist wichtig – Regelung getroffen hat, können die Länder keine eigenständige Regelung mehr treffen. Und jetzt sagt das BVerfG: Das ist seit der Mietpreisbremse aus dem Jahr 2015 der Fall.

Weshalb Sie dafür plädieren, im Gesetzestext der Mietpreisbremse einen abschließenden Charakter auszuschließen. Trotzdem wäre die Frage, ob der Deckel zu sehr in die Eigentumsverhältnisse eingreift, noch nicht entschieden, oder?

Nein, aber der Mietendeckel wirft im Hinblick auf das Eigentum keine Fragen auf, die nicht schon mit der Entscheidung zur Mietpreisbremse beantwortet worden wären. Das Grundgesetz beinhaltet keine Wert- oder Verwertungsgarantie: Es garantiert das Eigentum, also das Recht an der Wohnung selbst, von der Möglichkeit einer Enteignung oder Sozialisierung einmal abgesehen. Was es nicht garantiert, ist ein bestimmter Mindestertrag, der sich aus der Eigentumsgarantie ableiten würde. Es gibt kein Recht darauf, die eigene Wohnung für 20 Euro pro Quadratmeter auf dem Markt anzubieten.

Materiell wäre der Mietendeckel also Ihrer Meinung nach verfassungskonform.

Bei Mietenstopp und Neuvermietungen bin ich ganz sicher. Etwas anspruchsvoller ist die Frage nach der im Mietendeckel vorgesehenen Absenkung der Bestandsmieten, weil es da präzise genommen nicht um Sacheigentum geht, sondern um das gleichfalls geschützte Recht auf eine Geldleistung. Aber spätestens die Härtefallregelung, die sicherstellt, dass niemand wegen des Deckels dauerhafte Verluste erleidet, sollte die Verhältnismäßigkeit herstellen.

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7 Kommentare

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  • G
    Gast

    Bislang habe ich die Prozessbevollmächtigten des Senats trotzt der Niederlage für seriös gehalten. Dieses Interview lässt mich zweifeln.

    Völlig egal wie man politisch zum Mietendeckel steht. Diese Aussage:

    "Die Richter stützen sich an zentraler Stelle auf eine Aussage der CSU-Abgeordneten Anja Weisgerber in der Bundestagsdebatte zur Mietpreisbremse."

    trägt schlichtweg nicht. Und noch mehr: sie ist geradezu demagogisch, denn sie versucht die einstimmige (!) Entscheidung aller Richterinnen und Richter des zweiten Senats des BVerfG für einen Taschenspielertrick zu verkaufen. Und damit letztlich zu delegitimieren. Das ist, wenn man so krachend verliert, wirklich unredlich.

    Die Aussagen der Abgeordneten werden nach langer Subsumtion als ein(!) Beispiel herangezogen, im Sinne einer handwerklich völlig korrekten Auslegung einer Norm, um den Willen des verfassungsändernden Gesetzgebers so genau wie möglich zu bestimmen.

    Herr Rödl weiß genau, dass das BVerfG zuvor die Regelungen der Mietpreisbremse, die eben nicht nur "einen wertgerechten Tausch zwischen den Vertragsparteien" sicherstellen, sondern wie der Mietendeckel (sogar mit einer Begründung, die bis auf den Wortlaut identisch ist) auch sozialpolitische Ziele verfolgt, wie z.B. die Verhinderung von Verdrängung angestammter Wohnbevölkerung, einzig auf Art 74 GG Bürgerliches Recht gestützt sah.

    Wenn dies aber bereits 2019 unter dem Kompetenztitel Bürgerliches Recht ohne Beanstandung des BVerfG passieren konnte, dann war es naheliegend, dass das Gericht sich nun nicht selbst widerspricht und eine identische Regelung einem anderen Kompetenztitel zuordnet. Worth a try. Meinetwegen.

    Aber dieser billige Diskreditierungsversuch spricht wirklich stark gegen die Expertise von Hr. Rödl.

  • "In das Repertoire gehören Mittel wie die Zwangsbewirtschaftung, also die staatliche Zuweisung von Mieterinnen und Mietern – und eben auch die Deckelung von Mietpreisen."



    Genau das hatten wir in der DDR. Hat nicht funktioniert.

    Aber zumindest zu Ende gedacht - denn ohne die Zwangzuweisung hilft ein Mietendeckel nicht den schwächsten, sondern nur denen die eine Wohnung haben. Der Rest müssten auf den Neubau ausweichen, der dann noch teuerer wird.

    Und Zuweisung wird lustig - dann gibt es eine Vorgabe damit die Durchmischung der "Norm" entspricht: Akademiker haben wir schon genug. Ich hätte noch Platz für einen Arbeiter und zwei Renter - oder sie bekommen noch schnell zwei Kinder, dann gilt der Familienbonus.

    Berlin muss anfangen in noch viel größerem Maßstab zu bauen, eigene Wohnungen, bei denen die Stadt die Mieten festlegen kann.



    Oder den Zuzug stoppen und Leute aus Berlin ausweisen. Das ginge auch.

    • 1G
      17900 (Profil gelöscht)
      @Gastnutzer 42:

      "Genau das hatten wir in der DDR. Hat nicht funktioniert"

      Also erstmal waren viele, viele DDR-Bürger überglücklich, als sie in die Plattenbausiedlungen umziehen durften.



      Das war Zwangsbewirtschaftung? Die hätten auch in ihren alten Buden bleiben können, sofern das Haus nicht abrissreif war.



      Was war so falsch, dass die Mieten in der DDR für fast jeden bezahlbar waren?

      Nicht so bei uns. Wir haben keinen Zwang. Jeder ist seines Glückes Schmied. Freiheit - allen Berliner eine bezahlbare Wohnung, wenn man soviel Kohle hat. Man hat auch die Freiheit nach Brandenburg aufs Dorf zu ziehen.



      Am wichigsten ist aber die freie Bewirtschaftung der Wohnungen durch die Immobilienkonzerne bzw. Banken.

      Ein Zuzugsstopp oder ein Verbot für ausländische Investoren und Spekulanten wäre natürlich auf Zwang.

      Apropos Durchmischung - das ist seit langem gesetztes Ziel in den Berliner Quartieren, nur funktioniert es halt nicht ganz.



      In Singapur hingegen wird das konsequent umgesetzt - v.a. achtet man dort auch eine Mischung der Ethien. Natürlich undemokratisch aber die Leute akzeptieren das, finden es z.T. sogar richtig!

      • @17900 (Profil gelöscht):

        Sie vermischen zwei Dinge. Die Neubauten baute der Staat und vermietete sie günstig. Ob das kostendeckend war, weiß ich nicht. Profitiert habe ich auf jeden Fall :)

        Den privaten Anbietern wurde sowohl der Mietpreis, als auch der Mieter vorgeschrieben. Hier kenn ich keine Beispiele aus Berlin, aber viele aus Städten in Thüringen und Sachsen. Mit diesen Mieten konnte nicht einmal der Erhalt gesichert werden. Nach und nach (über Jahre und Jahrzehnte) mussten die Eigentümer ihre Häuser an den Staat verkaufen. Der hat sie weiter verfallen lassen und nur auf Neubau gesetzt.

        Das meinte ich damit, dass dies kein Modell für uns und heute sein kann. Also der zweite Teil - der erste schon.

        Den Mangel im Markt (mehr Mietwillige als Wohnungen) kann ich durch Regulierung nicht beseitigen. Hier hilft nur mehr Bauen.

        Aber die Ursachen für die Mondmieten liegen wo anders. Es ist einfach zu viel Geld da. Mit einer gebundenen Währung (Öl, Gold, Kartoffeln - whatever) könnten die Unterschiede nicht so groß sein. Aber solange die EZB weiter Geld druckt, werden die Mieten in Ballungsräumen weiter steigen.

        Solange Häuser mit Bargeld (meist Schwarzgeld) gekauft werden können, werden die Preise weiter steigen. Ist ein lustiger Standortvorteil in Deutschland. Kein Makler (und der wäre zuständig) würde auf die Idee kommen, nach der Quelle des Geldes im Koffer zu fragen, da er ja ordentlich Prozente bekommt.

        Alles bekannte Ursachen. Aber solange wir abgelenkt sind und für einen Mietendeckel streiten, wird sich daran nichts ändern.



        Ein Kapitalist, ein Bild-Leser und ein Hartz IV Empfänger sitzen am Tisch und wollen 12 Kekse verteilen. Der Kapitalist nimmt sich 11, zeigt auf den letzen Keks und sagt zum Bild-Leser: 'pass auf, der Hartzer will deinen Keks!'

        • 1G
          17900 (Profil gelöscht)
          @Gastnutzer 42:

          Sie sprechen da einen wichtigen Punkt an - Häuserkauf mit schmutzigem Geld.



          Soweit ich weiß, ist nicht klipp und klar belegt, wem welche Häuser gehören.



          Das könnte man per Gesetz ändern und nachprüfen. Klar gibt es Fantasienamen und dahinter stecken irgendwelche Milliardäre aus der Golfregion. Wenn man will, bekommt man das raus oder erteilt einen ablehnenden Bescheid.

          Das alles ist ein oberfaules Ding und dagegen muss man mit aller Kraft angehen. Es darf nicht sein, dass nach dem Prinzip verfahren wird - den letzten beißen die Hunde.

          • @17900 (Profil gelöscht):

            Es würde reichen über, sagen wie 10.000€ kein Bargeld zu akzeptieren.

            Für jemand der Geld waschen will ist es egal, ob das Haus im Wert steigt.



            Es ist der einfachste Weg Geld zu waschen. Einfach mit einem Koffer Geld ein Haus in Dtl. kaufen und alle Mieteinnahmen oder Wiederverkäufe bringen "sauberes" Geld.

            Dagegen sind die Panamapapers ein Witz.

  • Die Argumentation des Juraprofessors ist unhaltbar.

    Das BVerfG hat das Gesetz über die Mietpreisbremse für verfassungsgemäß erklärt (worauf er ja auch eingeht), was schlichtweg unmöglich ist, wenn die Mietenbeschränkung Teil des "Wohnungswesens" gewesen wäre. An dieser Stelle bricht die Argumentation komplett zusammen.