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Oper „The Turn of the Screw“ in HannoverGrauen in Grau

Grusel-Kammeroper mit Film-noir-Anleihen: Sehr sehenswert inszeniert die Staatsoper Hannover Benjamin Brittens „The Turn of the Screw“.

Spukt Diener Quint (Sunnyboy Dladla) auf Bly Manor – oder nur im Kopf der Gouvernante (Sarah Brady)? Foto: Sandra Then

Hamburg taz | „It is a curious story, I have it written in faded ink – a woman’s hand“: Mit rahmenden Worten, einer Verschachtelung alles Folgenden, beginnt Myfanwy Pipers Libretto zu „The Turn of the Screw“. Auf die Opernbühne gebracht hat Henry James’ Gruselgeschichte der Brite Benjamin Britten. Nicht immer schon, aber heutzutage zählt das 1954 in Venedig erstmals aufgeführte Stück zu dessen meistgespielten Musiktheaterarbeiten.

Und der Stoff selbst, diese Landhausgeschichte um eine namenlos bleibende Gouvernante, die ein abwesender Verwandter mit der Erziehung zweier Kinder beauftragt – aber auch einschwört auf maximale Diskretion alles betreffend, was sie dort erleben möge? Ist auf nahezu alle erdenklichen Weisen adaptiert worden.

Kriminalfilm-Anmutung

Eröffnete James die Vorlage mit einer Erzähl­situation am wohlig wärmenden Kaminfeuer, liefert den Piper/Britten’schen Monolog in Hannover nun ein rauchender Mann mit Hut (Marco Lee/Long Long) – und erinnert darin, durchaus nicht zuletzt, ans Personal des Film noir. Mit jenem Kriminalfilm-Subgenre hat die Inszenierung an der Staatsoper Hannover – Regie: Immo Karaman – noch mehr gemeinsam: den Einsatz von Licht und Schatten, Trug- und Spiegelbild und, ja: eine beinahe vollständige Abwesenheit von Farbe.

Der Stream

Weitere Streaming-Termine:

Mi, 28. 4., und Sa, 15. 5., jeweils 19.30 Uhr, Tickets kosten 5, 10 oder 35 Euro;

https://staatstheater-­hannover.de

Strenges Schwarz und Weiß – genau genommen natürlich noch zahllose Grautöne – also nutzen Thilo Ullrich (Bühne), Fabian Posca (Kostüme) und Susanne Reinhardt (Licht) da, vom maximal abstrahierten Haus-Umriss, vier weiße Linien, projiziert auf schwarzen Hintergrund bis zu den weiß geschminkten Handelndengesichtern mit den schwarz akzentuierten Augen und Mündern, dem gerne rabenschwarzen Haar oder glänzendem Leder.

Konzentrierte Kammeroper

Aufgezeichnet schon Ende März, ist die musikalisch sehr konzentrierte Kammeroper (Musikalische Leitung: Stephan Zilias) nun insgesamt dreimal als Stream zu sehen – eine Form, die allen filmischen Assoziationen zuarbeitet: Da wird ja geschnitten von der einen Kameraperspektive zur anderen, und so bietet sich das Stück denkbar anders dar, als es das täte von einem echten Sitzplatz aus im echten Haus.

Freilich: Mit dem zur Ansicht genutzten Gerät steht und fällt dann wiederum, ob Details wahrgenommen werden oder nicht. So sah der Rezensent der Hannoverschen Allgemeinen ein schönes, wenn auch nur vielleicht entscheidendes: „Allein wenn die Sänger weit den Mund öffnen, kann man erkennen, dass hier kein Schwarz-Weiß-Film läuft: Ihre Mundhöhlen schimmern in lebendigem Rot.“

Was lebendig sei und was vielmehr längst tot, was real und was nur eingebildet: Das sind ja die Fragen, die diesen Stoff durchziehen. Spuken auf Bly Manor nun die Geister des einstigen Personals, die den Kindern Flora (Weronika Rabek) und Miles (Jakob Geppert) erscheinen? Oder bildet sich das die hinzugekommene Gouvernante (Sarah Brady) schlicht ein, ehe sie, zunehmend der Realität abhanden kommend, vielmehr selbst zur Kindsmörderin wird? Diese nie aufgelöste Ambivalenz stiftet wohl den Reiz, seit „The Turn of the Screw“ 1898 zuerst in Fortsetzungen in einer Zeitschrift erschien.

Stumme erhalten Stimme

Es gibt Interpret_innen, die im Transfer auf die Bühne einen Verlust an eben dieser Offenheit und Schwebe erkannt haben: James hatte die beiden (möglicherweise) jenseitigen Gestalten stumm gelassen – für Britten ganz offensichtlich keine Option. Sein Quint (Sunnyboy Dladla) und die ihm zum Opfer gefallene Miss Jessel (Barno Ismatullaeva) haben Stimmen, und sie singen Text.

„Britten hat sich in Abweichung zu Henry James dafür entschie­den, Jessel und Quint als Figuren mitagieren zu lassen“, so Regisseur Karaman im Programmheft. „Aber die Verschleierung bleibt“: Britten und seine Librettistin übernehmen ja, dass wir sämtliche Handlung nur vermittelt vorgeführt bekommen, fußend auf jenen Aufzeichnungen in verblasster Frauenhandschrift.

Wer will, kann aus mancher inszenatorischen Entscheidung weitere Indizien machen für die eine oder andere Lesart – also die der existierenden, reale Wirkung entfaltenden Gespenster oder vielmehr jene des zunehmenden Realitätsverlustes der Erzählerin: Wenn aus Floras „doll“ – im Libretto – nun eine creepy Bauchrednerpuppe wird: Ist dann nicht vielleicht auch der Kindsverderber Quint nur ein Objekt, dem die Gouvernante ihr höchst eigenes Böses sozusagen einflüstert?

Aber, alles Detektivische beiseite gelassen: Eine vielleicht gerade allzu naheliegende Ebene harrt noch ihrer Ausdeutung: Da geht es ja um Kinder, die zuhause erzogen werden sollen, isoliert von Gleichaltrigen in ihrem abgeschiedenen Haus – ist dieser Britten schlicht eine, ja: die Corona-Oper?

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