Armin Laschets Kanzlerkandidatur: Die zweite K-Frage
Sogar ein Sieg über die Laschet-Union scheint für die Grünen nun möglich. Doch Jubel ist verfrüht. Die Koalitionsbildung wird schwierig.
D er mediale Start der ersten Kanzlerkandidatin in der Geschichte der Grünen hat perfekt und reibungslos geklappt. Die Öko-Partei profitiert dabei in maximaler Weise von ihrer Kontrastfolie – der neuen schwarzen Chaostruppe und ihrem historischen Versagen, nicht den eindeutig stärksten möglichen Kanzlerkandidaten, nämlich Markus Söder, aufzubieten. Damit eröffnen sich enorme Chancen für die Grünen, zur stärksten Partei aufzusteigen.
Erste Umfragen von Forsa – die allerdings mit Vorsicht zu genießen sind – schreiben ihnen bereits 28 Prozent zu, der Union nur 21. Es wäre keine Überraschung, wenn die Laschet-Union nun dramatisch abstürzt. So könnte tatsächlich wahr werden, was „Die Wahrheit“ der taz bereits voraussieht, nämlich die erste Ansage mit Bundeskanzlerin Baerbock in der „Tagesschau“.
Allerdings greift es viel zu kurz, in der Schwäche der Union allein eine Chance zu sehen – für eine grüne Kanzlerin und die von Baerbock postulierte „Erneuerung“ des Landes. Denn mindestens ebenso wichtig, wenn nicht sogar wichtiger als die erste K-Frage, die der Kanzlerschaft, ist die zweite – nämlich die Frage nach den nach den Bundestagswahlen möglichen Koalitionen. Denn sie entscheidet darüber, welche Inhalte die Parteien am Ende durchsetzen können.
Unter diesem Gesichtspunkt ist das Versagen der Union keineswegs so positiv für die dringend erforderliche ökologische Transformation. Denn die eigentlichen Profiteure des Niedergangs der Union dürften weniger die Grünen oder gar die SPD sein – als vielmehr die Parteien rechts der Union, also AfD und FDP. Gegen den Kandidaten Laschet können beide mit starken Ergebnissen rechnen, während Söder speziell der AfD erhebliche Verluste beigebracht hätte.
Die Union könnte Wähleranteile an die AfD verlieren
Schon bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt am 6. Juni drohen der CDU dramatische Einbrüche. Die CDU im Osten fürchtet zu Recht, dass sie mit Laschet und seinem laxen Stil, seiner fehlenden Ausstrahlung und Autorität, erhebliche Wähleranteile an die Rechtspopulisten verliert. Der 6. Juni könnte damit bereits zur Schicksalswahl für Laschet werden. Denn das Ergebnis wird weit über das Bundesland ausstrahlen und die AfD bundesweit wieder in die Offensive bringen.
Mit Laschet als Spitzenkandidaten wird die Union die größten Schwierigkeiten haben, ihre Wähler zu mobilisieren. Söders Niederlage wird bereits jetzt von Teilen seiner Anhängerschaft mit dem Austritt aus der CDU oder dem Gang in die innere Emigration, sprich: in die Wahl- und Wahlkampfverweigerung, beantwortet.
Ein autoritärer Spitzenkandidat Söder hätte dagegen das weitere Ausbluten der Union verhindern und die Stimmen der rechten Wutbürger wieder in Richtung der Volksparteien kanalisieren können. Mit ihm hätte die Chance bestanden, die autoritären Bedürfnisse, die offensichtlich in erheblichen Teilen der Bevölkerung herrschen, wieder in die Union zurückzuführen. Die Ignoranz des Laschet-Flügels gegenüber dem Willen der Basis in CDU und CSU hat dagegen die Chancen der Rechtspopulisten gewaltig erhöht.
Die Gefahr, das CDU und CSU nun weit unter 30 Prozent landen, ist jedenfalls gewachsen. Ein starkes Abschneiden der Union ist jedoch nicht nur für die Union entscheidend, sondern auch für die Durchsetzungsfähigkeit einer möglichen schwarz-grünen Koalition. Vermutlich besteht sogar die einzige Chance, die multiple Krise der Gegenwart – von Corona über die Klimafrage bis zur globalen Ungerechtigkeit – wirklich anzugehen in einer derartigen „bürgerlichen Koalition“.
Das lehrt das rot-grüne Beispiel: Nur ein Kanzler einer vormals „linken Koalition“ konnte derartige fatale Zumutungen für Geringverdienende durchsetzen, weil er sich nämlich dabei der Zustimmung seiner reaktionären Gegner sicher sein konnte. Heute ist das Gegenteil gefordert: Die Bürgerlichen müssen ihrer Wählerschaft der Bessersituierten aus ökologischen Gründen enorme Zumutungen abverlangen, nämlich massive Wohlstands- und Konsumeinbußen.
Laschet ist ökologisch unambitioniert
Tatsächlich hätte eine starke schwarz-grüne Koalition, angeführt von Söder und Baerbock, vermutlich die größte Schlagkraft entfalten können, um derartige Reformen in diesem Lande durchzusetzen. Der konventionelle Industriepolitiker Laschet ist nicht nur weniger durchsetzungsstark als Söder, sondern auch ökologisch unambitionierter als der populistische Franke, der längst erkannt hat, dass auch in der Mehrheitsgesellschaft der Trend ganz klar zu einer stärker nachhaltigen Politik geht.
Ohne das Zugpferd Söder dürfte nun sowohl die Chance auf eine überzeugende Führung in der Union als auch auf eine klare schwarz-grüne Mehrheit vertan sein. Im besten Falle dreht sich mit dem Kandidaten Laschet das Verhältnis zwischen Union und Grünen lediglich um – zu Grün-Schwarz. Das würde einerseits einen erheblichen Macht- und Einflusszuwachs für Baerbock und Co. bedeuten.
Andererseits würde dies nur unter Verlust erheblicher Prozentpunkte geschehen, die für eine ökologisch ambitionierte Koalition dringend gebraucht werden, die über das enge grüne Lager hinausgreift und auch die eher konservativ eingestellten Kreise in dieser Republik mitzunehmen in der Lage ist. Einiges spricht jedoch dafür, dass es noch schlimmer kommen könnte.
Sollten CDU/CSU zu schwach werden und die Grünen nicht in vergleichbarem Maße zulegen, könnte letztlich eine Dreierkonstellation unter Beteiligung der staatsinterventionsfeindlichen FDP erforderlich sein. Eine derartige Blockadekoalition verheißt jedoch, egal ob als schwarze oder als rote Ampel, alles andere als ökologischen Fortschritt – selbst unter einer grünen Kanzlerin. So aber könnte sich selbst ein klarer Sieg der Grünen über die Union am Ende noch als Pyrrhussieg erweisen.
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