Fragen zum Mietendeckel: Der Luxus des Wohnens
Das Bundesverfassungsgericht hat am Donnerstag den Mietendeckel des Berliner Senats gekippt. Was bedeutet das Urteil unter anderem für Mieter*innen?
Was muss ich als Mieterin tun, jetzt, nachdem der Mietendeckel gekippt ist?
Das Bundesverfassungsgericht habe die Nichtigkeit des Gesetzes von Beginn des Mietendeckels an bewertet, sagt der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, Reiner Wild. Das bedeute, dass eingesparte Beträge im Grundsatz nun an den Vermieter zu leisten seien, wenn die zivilrechtlichen Vereinbarungen über die Miethöhe rechtswirksam sind.
Wie schnell muss ich zahlen?
Unverzüglich, sagt Wild. Aber niemand könne erwarten, dass das Geld morgen auf dem Konto des Vermieters sei. Leider habe das Gericht überhaupt keine Vorschläge gemacht, wie damit umzugehen sei. „Sozialpolitisch ist das absolut unverantwortlich.“ Der Mieterverein halte eine Frist von zwei Wochen für angemessen. Es gebe aber auch Fälle, wo es einer Aufforderung des Vermieters bedarf. Das muss im Einzelfall geprüft werden, ob eine Zahlungsaufforderung des Vermieters abgewartet werden könne. Bei Schattenmietvereinbarungen bestehe grundsätzlich ein Problem, dass diese unter Umständen auch zivilrechtlich nicht wirksam sind. „Deshalb raten wir hier dringend zur rechtlichen Prüfung, auch wegen der Mietpreisbremse. Gleichwohl empfehlen wir aber eine Rückzahlung unter Vorbehalt.“
Könnte da einiges zusammenkommen?
Bei Mieterhöhungen seien das teilweise nicht so große Beträge, sagt Wild. „Aber bei Absenkungen hatten wir durchschnittlich 200 Euro monatlich Mietreduzierung.“ Aber auch hier gelte es, bei Rückzahlung die Mietpreisbremse noch zu prüfen und eine gegebenenfalls zu hohe Miete zu rügen.
Und wenn ich kein Geld für die Rückzahlung habe?
Der Mieterverein appelliert an die Vermieter, Fairness walten zu lassen und Ratenzahlungen zu akzeptieren. Wer grundsätzlich keine Leistungsfähigkeit habe, etwa wegen Corona, könne gegebenenfalls auch öffentliche Hilfen in Anspruch nehmen. Das Land Berlin könnte zum Beispiel eine Mietschuldenübernahme im Wege von Arbeitslosengeld übernehmen.
Ist Rot-Rot-Grün nach diesem Urteil als gescheitert zu betrachten?
Nein, auf keinen Fall. Weitgehend unbestritten ist, dass der Mietendeckel rechtlich völliges Neuland war. Mengen von Gutachten unterstützten mal die Sichtweise der Verfassungsgemäßheit, mal die gegenteilige Position. In solch einer Situation bleibt jeder wie auch immer gefärbten Koalition nur, ins Risiko zu gehen, wenn sie gestalten will. Rot-Rot-Grün vorzuwerfen, „wider besseres Wissen“ agiert zu haben, wie es die CDU tut, ist haltlos.
Mit Blick auf die Abgeordnetenhauswahl also kein Problem SPD, Linkspartei und Grüne?
Letztlich natürlich doch: Auch eine Niederlage nach ehrlichem Kampf ist eine Niederlage. Und nachdem so manches andere bei Rot-Rot-Grün nicht oder nicht schnell genug klappte, vor allem in der Verkehrspolitik, galt der nun hinfällige Mietendeckel manchen schon als größte Errungenschaft der Koalition.
Was heißt das für die grüne Spitzenkandidatin?
Bettina Jaraschs Name ist ja gar nicht mit dem Deckel verbunden: Der war längst von Senat, Partei- und Fraktionschefs festgezurrt, bevor sie im vergangenen Herbst zur Spitzenkandidatin gekürt wurde. Gleiches gilt für ihr SPD-Pendant Franziska Giffey. Bloß Linkspartei-Spitzenkandidat Klaus Lederer hat mitentschieden.
Und die Privatwirtschaft jubelt?
Sie müht sich zwar, allzu viel Häme zu vermeiden, tritt aber trotzdem nach. Der führende Unternehmensverband UVB etwa kann sich nicht verkneifen zu sagen, man habe immer schon gesagt, „dass wir dieses Gesetz juristisch für unhaltbar und wirtschaftspolitisch für schädlich halten“. Und die Präsidentin der Industrie- und Handelskammer (IHK), Beatrice Kramm, meint nun, das vom Senat betretene Neuland habe sich „erwartungsgemäß als Treibsand herausgestellt“.
Die Forderung des UVB: ein Bündnis für das Wohnen bilden und dazu alle Akteure, also auch die Privatwirtschaft, an einen Tisch holen. Dem schließt sich auch die IHK an. Als Konsequenz nun Wohnungen anzukaufen, lehnt UVB-Geschäftsführer Christian Amsinck ab – „auf diese Weise entsteht keine einzige zusätzliche Wohnung, zudem gibt Berlins Finanzlage ein solches Manöver nicht her.“
Für den Verband Berliner Kaufleute und Industrieller zeigt das Urteil Grundsätzliches: „Politischer Interventionismus löst unsere Probleme nicht.“ Gleichzeitig erhofft sich der Verband von der Wohnungswirtschaft aber Augenmaß gegenüber den Mietern: „Nutzen Sie vorhandene Spielräume, um – wo irgend möglich – auf Rückforderungen zu verzichten oder diese zu stunden“, bittet Verbandspräsident Markus Voigt. Das Unternehmen Vonovia hat am Donnerstag bereits angekündigt, auf Rückforderungen zu verzichten (siehe unten)
Wie reagiert die Opposition?
CDU-Landeschef und Spitzenkandidat Kai Wegner ist voll im Wahlkampfmodus und prangert nach dem Urteil „rot-rot-grüne Mietertäuschung“ an. Der Senat müsse den Mietern nun helfen: „Es darf nicht sein, dass sie dafür die Rechnungen zahlen sollen.“ Kein Mieter dürfe seine Wohnung verlieren, weil er von Rot-Rot-Grün hinters Licht geführt worden sei.
FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja befürchtet nach einem „Verfassungsbruch mit Ansage“ nun die Folgen: „Es wird noch lange dauern, bis die Stadt sich von diesem künstlich herbeigeführten Konflikt zwischen Mietern und Vermietern erholt – und bis das Chaos um eventuell nachzuzahlende Mieten, Schattenmieten und den fehlenden Mietspiegel aufgearbeitet ist.“ Er fordert nun eine mietensenkende Neubau-Offensive.
AfD-Landeschefin Kristin Brinker sagte nach dem Urteil, ihre Partei wolle die Wohneigentumsquote massiv erhöhen. „Denn Eigenheimbesitzern kann niemand die Miete erhöhen.“
Wie reagieren Vermieter wie die Deutsche Wohnen jetzt – fordern sie Mietnachzahlungen?
Das Bild ist überraschend uneinheitlich. Die Vonovia zum Beispiel, eine der größeren Player auf dem Berliner Wohungsmarkt, die auch vom Enteignungs-Volksbegehren betroffen wäre, erklärte am Donnerstag, man wolle auf Mietrückforderungen verzichten. „Wir haben uns entschieden, keine Mieten nachzufordern, die uns jetzt aufgrund der Entscheidung rechtlich zustehen würden“, teilte Vorstandsvorsitzender Rolf Buch mit. Angesichts der wirtschaftlichen Härten, die viele Menschen jetzt in der Coronapandemie zu tragen hätten, verzichte man damit insgesamt „auf Nachforderungen in Höhe von bis zu 10 Millionen Euro.“ Die Deutsche Wohnen erklärte am Mittwoch zwar ebenfalls, „keine Mieterin und kein Mieter der Deutsche Wohnen wird durch die Entscheidung die Wohnung verlieren“. Man werde „mit dem größten sozialen Verantwortungsbewusstsein vorgehen“. Rückforderungen werde es allerdings geben: „von Einmal- über Ratenzahlungen bis hin zu Stundungen“.
Und die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften – wird es dort Mietrückforderungen geben?
Nein. Die landeseigenen Wohnungsbauunternehmen hätten ohnehin keine „Schattenmietverträge“ vereinbart, betont eine Sprecherin von Stadtentwicklungssenator Sebastian Scheel (Linkspartei).
Was bedeutet das Urteil für das Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ und die Sammlung der Unterschriften?
Ein Stopp für Mieterhöhungen und eine Enteignung sind zwei verschiedene Dinge. Ganz praktisch aber, dass das Urteil für weitere Unterstützung für das Volksbegehren sorgen wird. Eine Unterschrift auf den Stimmen-Sammelbögen kann ein Ventil sein, Enttäuschung abzulassen, weil, ganz grob skizziert, der Feind derselbe ist: der angeblich oder tatsächlich böse Vermieter.
Das könnte entscheidend sein, um die für einen Volksentscheid am 26. September nötigen 172.000 gültigen Unterschriften zusammenzubekommen: Im März, im ersten von vier Sammelmonaten, waren es weniger als 50.000, inklusive mutmaßlich einem Viertel ungültiger Einträge.
Müsste es nicht jetzt weitere Anstrengungen für einen Mietendeckel wenigstens für die sechs landeseigenen Wohnungsgesellschaften geben?
Das dürfte auf wenig Gegenliebe stoßen – zumindest nicht im Verband der Berlin-Brandenburgischen Wohnungsbauunternehmen (BBU), in dem die Landeseigenen Mitglied sind (wie übrigens auch private Vermieter wie die Deutsche Wohnen). Der BBU hat sich immer konsequent gegen den Mietendeckel positioniert: Der Deckel verhindere Investitionen, hieß es, auch solche, die mit Blick auf klimaverträglicheres Wohnen nötig gewesen wären. Mit dem Senat haben die Landeseigenen vor wenigen Tagen erst die Kooperationsvereinbarung von 2017 erneuert, mehr bezahlbaren Wohnraum für Menschen mit Wohnungsberechtigungsschein anzubieten. „Zudem wurde vor wenigen Wochen im Senat beschlossen, dass im Zuge der Coronapandemie bis 30. 9. alle Mieterhöhungen bei den landeseigenen Wohnungsbauunternehmen ausgeschlossen sind“, betont die Sprecherin des Stadtentwicklungssenators.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke
Nach Diphtherie-Fall in Berlin
Das Problem der „Anthroposophischen Medizin“
Felix Banaszak über das Linkssein
„Für solche plumpen Spiele fehlt mir die Langeweile“
Geschlechtsidentität im Gesetz
Esoterische Vorstellung
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod