Diversität in neugewählten Landtagen: Von Migrantischen kaum eine Spur
In den neugewählten Landtagen von Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg sitzen kaum migrantische Menschen. Wie lässt sich daran etwas ändern?
Mit 2 von insgesamt 101 Abgeordneten liegt die Quote migrantischer Menschen im künftigen Landesparlament Rheinland-Pfalz bei 2 Prozent. Damit ist der Landtag weit davon entfernt, die Bevölkerung des Landes proportional zu repräsentieren, wie aus Zahlen des Pressedienstes Integration hervorgeht. Immerhin machen Menschen mit Migrationshintergrund etwa 27 Prozent der Bevölkerung aus.
In Baden-Württemberg ist die Lage nur ein bisschen besser. Dort sitzen im nächsten Landtag 14 migrantische Abgeordnete, wo es bisher 7 waren. Von ihnen gehören 9 zu den Grünen, 2 zur AfD und jeweils eine:r zur FDP, SPD und CDU. Die Quote migrantischer Menschen im Parlament steigt damit auf rund 9 Prozent, in der Bevölkerung liegt sie bei fast 34 Prozent.
Ähnlich ist es auch in den anderen Bundesländern. Nirgendwo stimmt der migrantische Anteil der Bevölkerung mit dem in den Parlamenten auch nur annäherungsweise überein. Wie kann das sein?
Welche Schuld trifft die Parteien?
Eine Rolle dabei spielen vermutlich die Hürden im Bildungssystem, die schlechte Vereinbarkeit von Beruf und Mandat sowie fehlende Vorbilder – und teilweise auch Sprachprobleme. Das bestätigen migrantische Abgeordnete und Expert:innen, mit denen die taz zu diesem Thema gesprochen hat. Migrantische Gruppen mit ihrer schwächeren Sozialstruktur sind gesellschaftlich benachteiligt, die überdurchschnittlich migrantische Arbeiterschicht in den Parlamenten generell unterrepräsentiert.
Außerdem hemme etwa das fehlende Wahlrecht für Nicht-EU-Ausländer:innen die Diversität in der Kommunalpolitik, sagen sie. Und die Coronakrise mache es politischen Newcomern im Moment besonders schwer, etwa im Straßenwahlkampf.
Dann ist da aber noch die Frage, welche Rolle die Parteien selbst dabei spielen, dass so wenige migrantische Menschen in den Parlamenten sitzen. Immerhin rekrutieren sich Politiker:innen in Deutschland primär über die Parteiorganisationen.
Kazungu-Haß, die jetzt nicht mehr ganz allein im Landtag Rheinland-Pfalz sitzt, wird vorsichtig, wenn man sie danach fragt. Es handele sich um „eine Tiefenproblematik“, sagt sie bloß vage. Es gebe allgemein viele Hürden für Menschen mit Migrationshintergrund. Ihr neuer Kollege Josef Winkler wird da schon konkreter und mutmaßt, dass sich lokale Parteiverbände gegen migrantische Kandidat:innen entscheiden könnten, weil sie fürchteten, diese könnten weniger Stimmen erhalten als Politiker:innen ohne Migrationshintergrund. „Da geht man eventuell lieber auf Nummer sicher, gerade in Zeiten der AfD.“
Kommt die Quote?
Eine noch drastischere Analyse liefert Delal Atmaca, Geschäftsführerin des Dachverbandes der Migrantinnenorganisationen DaMigra. Die Parteien seien nicht durchlässig genug, die Entscheidungsgewalt liege immer noch in weißen, männlichen Händen, kritisiert sie. „Diese Eliten wollen die Macht nicht teilen“, sagt sie auch.
Sowohl der Zugang als auch die internen Aufstiegsmöglichkeiten seien migrantischen Menschen oft verschlossen. „Die Parteien regulieren das sehr gezielt über die Listenplätze.“ Atmacas Lösung: „Der Staat muss eingreifen.“ Eine gesetzliche Quote für die Parlamente müsse her. Nur so ließen sich die vielen Faktoren ausgleichen, die migrantische Menschen im Moment aus der Politik fernhalten.
Befürworter:innen einer solchen Quoten-Regelung verweisen oftmals auf den Erfolg der Frauenquote für Aufsichtsräte und Vorstände in der Wirtschaft. Die zeige, dass nur verbindliche Regeln wirklichen Fortschritt bringen könnten.
Die migrantischen Abgeordneten, mit denen die taz gesprochen hat, lehnen eine Quote für migrantische Menschen aber ab. SPD-Abgeordnete Kazungu-Haß sagt: „Ich würde lieber direkt über Diskriminierung und Privilegien sprechen.“ Ihr Grünen-Kollege Winkler: „Irgendwann wird es unübersichtlich, wo sollen wir aufhören mit Quotenregelungen?“ Ein Parlament könne niemals eins zu eins das Spiegelbild der Bevölkerung sein.
Definitionsprobleme und juristische Hürden
Tatsächlich gibt es nachvollziehbare Einwände gegen eine Quotenregelung, etwa Definitionsprobleme. Wer zählt als Mensch mit Migrationshintergrund? Was ist mit Afrodeutschen sowie Sinti:ze und Rom:nja, die unter Diskriminierung leiden, in Parlamenten unterrepräsentiert sind, deren Vorfahren aber schon lange in Deutschland leben?
Eine Quotenregel könnte außerdem auf juristische Probleme stoßen. Paritätsgesetze, die eine geschlechtergerechte Besetzung der Landtage vorschrieben, scheiterten letztes Jahr in Brandenburg und Thüringen an den jeweiligen Landesverfassungsgerichten. Ob, wie und wann eine solche Quote jemals Realität wird, ist wegen solcher Probleme ungewiss.
Welche anderen Möglichkeiten gibt es, um dafür zu sorgen, dass bald mehr Menschen mit Migrationshintergrund in die Parlamente einziehen? Devrimsel Deniz Nergiz, Wissenschaftlerin und Geschäftsführerin des Bundeszuwanderungs- und Integrationsrats (BZI), fordert von den Parteien eine langfristige Strategie. Ein solcher Plan fehle bisher: „Nur vor den Wahlen entdecken die Parteien das Thema immer wieder kurz für sich.“
Vielen migrantischen Menschen, die an einer Karriere in der Politik interessiert seien, mangele es an Netzwerken in den Parteien und der Wähler:innenschaft, die gerade für kommunale Politik so wichtig sind. „Es fehlt der Onkel, der schon lange im Stadtrat sitzt.“ Zugänge und Unterstützung für Migrant:innen müssten deshalb aktiv geschaffen werden. Außerhalb der Parteien müssten die rechtlichen Hürden etwa beim kommunalen Wahlrecht für Nicht-Eu-Ausländer:innen abgebaut werden, eine diversere Wähler:innenschaft führe auch zu diverserer Politik.
Aber, betont Nergiz, es gebe mittlerweile auch „sichtbare Entwicklungen in die richtige Richtung“. Eine neue Generation migrantischer Politiker:innen sei parteiintern besser aufgestellt und etabliere sich langsam aber stetig auch in den Parlamenten. Das klingt verhalten optimistisch. Der Blick nach Rheinland-Pfalz aber zeigt: Auch wenn es in die richtige Richtung geht, der Weg ist noch lang.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Chefinnen der Grünen Jugend
„Wir dachten, wir könnten zu gesellschaftlichem Druck beitragen“
Koalitionsverhandlungen in Thüringen
Die Brombeer-Ernte ist gefährdet
Demografie
Es wird Zeit, reichen Rentner-Boomern ins Gewissen zu reden
Ein Brief in die USA
Dear family, dear friends
Wirtschaft aber für junge Menschen
Das Problem mit den Boomer-Ökonomen
Streit in der Ampel
Kritik an Lindners Gegengipfel zur Wirtschaftslage