Lithium-Förderung in Spanien: Ein Loch für Strom
Lithium steckt in jedem E-Auto. Eine Firma will das Element in einer der ärmsten Regionen Spaniens aus der Erde holen – sehr zum Ärger der Bewohner.
Empfohlener externer Inhalt
Sánchez erkundigte sich: „Es stimmte tatsächlich, aber nur zum Teil“, sagt er. San José Valdeflórez, so der Name des Konsortiums der australischen Bergbauunternehmens Infinity Lithium und des spanischen Baukonzerns Sacyr, das hinter den heimlichen Arbeiten steckte, hatte die Genehmigung erhalten, um die Wege eines alten, in den 1970ern stillgelegten Zinnbergwerks zu nutzen. Das galt aber nur auf dem Nachbargelände, das der ehemaligen Betreiberfirma gehört, auf seinem Gelände natürlich nicht.
Sánchez informierte die Nachbarn, die verstreut in den Hügeln unweit der Stadt Cáceres leben. Sie stießen auf Pläne für eine riesige Lithiummine, die das Idyll der Sierra de la Mosca in eine Industrielandschaft verwandeln soll. Die Bürgerinitiative mit dem Namen „Retten wir die Berge von Cáceres“ entstand.
Heute hat Sánchez Besuch von Montaña Chaves. Die 52-jährige Berufsschullehrerin besitzt hier draußen ebenfalls ein Häuschen und ist Sprecherin der Protestbewegung. Die beiden sitzen im Garten über Karten gebeugt, auf denen das ganze Ausmaß des Projekts zu erkennen ist.
Das Loch soll 800 Meter tief werden
„Klar gab es hier einst Bergbau, aber es waren ein paar Stollen und ein paar Gebäude“, erinnert sich Sánchez, der in seiner Kindheit mit dem Nachwuchs der Minenarbeiter spielte. Was jetzt geplant ist, habe damit nichts zu tun. Es soll ein Loch mit bis zu 800 Metern Durchmesser und mehreren hundert Metern Tiefe entstehen. Weiter unten plant das Konsortium eine Anlage zur Aufbereitung des Erzes und Platz für Abwässer und Abraum. Insgesamt sollen in 30 Jahren über 53 Millionen Tonnen Gestein bewegt werden, um rund 360.000 Tonnen Lithium zu gewinnen. Das Unternehmen verspricht dabei Investitionen von 300 Millionen Euro.
„Die Sierra de la Mosca ist das wichtigste Naherholungsgebiet für die Menschen aus Cáceres“, sagt Montaña Chaves zur Erklärung, warum ihr Kampf gegen die Mine in der Gegend so populär ist. Außerdem sei die 100.000-Einwohner-Stadt, gleich hinter der Hügelkette, die einzige Großstadt Spaniens ohne einen Fluss. „Das Wasser versickert hier in den Untergrund aus Kalkgestein und tritt dann wieder in Quellen und Lagunen hervor“, weiß Chaves. Der Tagebau könnte das fragile Gleichgewicht der städtischen Trinkwasserversorgung durcheinanderbringen.
Förderung Das Metall Lithium ist für die Herstellung der Batterien von Elektroautos unerlässlich. Deshalb wächst die Nachfrage rasant, zwischen 2015 und 2018 stieg die weltweite jährliche Fördermenge nach Angaben von VW von 24.500 auf 85.000 Tonnen. Größter Exporteur ist Australien vor Argentinien und China. In der EU wird Lithium bisher vor allem in Portugal gewonnen. Die globalen Lithiumreserven liegen bei etwa 14 Millionen Tonnen, weitere Vorkommen werden in den Meeresböden vermutet.
Prognose Eine Studie des Öko-Instituts schätzt, dass im Jahr 2050 der Lithiumverbrauch bei jährlich 1,1 Millionen Tonnen liegen wird.
Umwelt Ökologisch bedenklich ist besonders die Gewinnung von Lithium in Salzseen, etwa in Chile. Durch den Verbrauch des Salzwassers fließt Trinkwasser nach, was zu einer Senkung des Süßwasserspiegels führt. (taz)
„Unser Gelände würde fast völlig verschwinden“, sagt Sánchez. Ihm und seinen Geschwistern gehören rund 100 Hektar mit fünf Häusern und Stallungen, die ihre Eltern nach und nach aufgekauft haben, als viele Nachbarn in den 1950ern und 1960ern emigrierten. „Ich wollte schon als Kind genau hier neben dieser riesigen Kiefer ein Haus bauen und habe es schließlich getan“, sagt er. Der Blick über die bewaldete Landschaft, die Weiden mit Kork- und Steineichen, über denen Adler und Geier ihre Runden drehen, zeigt, warum sich der Alte in diesen Ort vernarrt hat und nirgends sonst leben möchte.
Sánchez kramt ein Dokument hervor und sagt: „Schließlich boten sie mir diesen Vertrag an.“ 400 Euro Entschädigung für ein Jahr Sondierungen auf einem 22 Hektar großen Gelände werden da in Aussicht gestellt. „Ist das der Reichtum, den sie uns versprechen?“, fragt er, der längst zu einer Art Symbolfigur für die Bewegung gegen den Tagebau geworden ist, empört. Bei der Menschenkette zum Protest gegen die geplante Mine Ende Februar stand er an erster Stelle, ganz oben auf der Rathaustreppe von Cáceres.
Wie Cayetano Polo mit Arbeitsplätzen wirbt
Cayetano Polo dagegen will die ganze Aufregung nicht verstehen. „Die Mine ist eine Chance für die Region“, beteuert der 47-Jährige, der vier Jahre lang für die rechtsliberale Partei Ciudadanos im Stadtrat von Cáceres saß und dort als einer von ganz wenigen Kommunalpolitikern den Lithiumabbau verteidigte. 2019 zog der smarte Ingenieur dann als Spitzenkandidat seiner Partei ins Regionalparlament ein. Vergangenen September legte er alle seine Ämter nieder, trat aus der Partei aus und heuerte bei Infinity Lithium an. Seine Aufgabe besteht jetzt darin, Politik, Verwaltung, die Medien und letztlich die Bevölkerung von dem Projekt zu überzeugen.
„1.000 direkte und indirekte Arbeitsplätze“, steht auf den grünen Plakatwänden, die Infinity Lithium überall in der Stadt hat aufstellen lassen, um Werbung für das Projekt zu machen. Trotz der hohen Arbeitslosigkeit in Extremadura – der ärmsten Region Spaniens – wurden die Werbeposter ausnahmslos mit Graffiti gegen die Mine verunziert.
Polo lässt sich davon nicht irritieren. „Nach Nordportugal ist das Lithiumvorkommen hier das zweitwichtigste in Europa“, sagt er. Die Europäische Union benötige den Abbau für eine zukunftsfähige umweltverträgliche Automobilindustrie und unterstütze das Vorhaben von Infinity Lithium. „Wir werden nur 50 Prozent des Vorkommens ausbeuten, und bereits das reicht für zehn Millionen Elektroautos“, sagt Polo und lässt den Blick über das kleine Tal schweifen, in dem Sánchez einst die Arbeiter beim Fällen von Bäumen ertappt hatte.
Überall an den Hängen liegen verstreut Grundstücke mit Häuschen. Deren Bewohner werden – sollten die Pläne umgesetzt werden – bald schon in das gigantische Loch des Tagebaus blicken. Für Polo ist das kein Problem. „Wir arbeiten nur tagsüber und sprengen nur einmal die Woche mit vielen kleinen Ladungen. Das wird kaum zu Lärmbelästigungen oder Staub führen“, beteuert er. Der Wasserbedarf für die Aufbereitung würde aus der städtischen Kläranlage gedeckt, um die Trinkwasserressourcen zu schützen. Letztendlich würde nur ein mit Lithium gefüllter Lastwagen am Tag das Gelände verlassen.
Auch Polo weiß, dass das zum Weltkulturerbe erklärte Stadtzentrum von Cáceres gleich nebenan liegt. Doch er versichert, dass es „keine visuelle Beeinträchtigung“ gäbe und verweist auf die Hügelkette, die das Minenprojekt von der Stadt trennt.
Luis Salaya, Bürgermeister von Cáceres
Für Cáceres’ Bürgermeister Luis Salaya ist das „ein absurdes Argument“. Hügelkette hin oder her, die Entfernung von der Mine zu den ersten Häusern betrage nur 800 Meter, 1,5 Kilometer sind es bis zum Krankenhaus, dem Campus der Universität und mehreren Forschungseinrichtungen. Und die Altstadt, auf die Salaya von seiner Amtsstube aus blicken kann, ist auch nur zweieinhalb Kilometer von der Mine entfernt. „Fast die Hälfte der Zeit weht Ostwind. Dieser würde den ganzen Staub vom Tagebau herüberbringen“, beschwert sich der Bürgermeister. Dann berichtet er von wissenschaftlichen Studien, die er gelesen habe: „Lithium tritt nie alleine auf. Es ist an andere Mineralien gebunden. Einige davon sind krebserregend.“
Luis Salaya, ein Fortschrittsfeind? Nein, diesen Vorwurf will der Bürgermeister nicht gelten lassen. „Natürlich ist mir klar, dass die Elektromobilität die Zukunft ist. Ich selbst fahre ein E-Motorrad“, sagt der Sozialdemokrat, der mit 32 Jahren der jüngste Bürgermeister einer Provinzhauptstadt in ganz Spanien ist. „Aber würde unweit der Sagrada Familia in Barcelona oder dem Stadtpark Retiro in Madrid Lithium gefunden, würden wir es dann etwa auch abbauen?“
Den Vorwurf, der da mitschwingt, versteht in Extremadura jeder. Die armen Regionen haben den Dreck, die Industrieregionen die Batteriefabriken und den Reichtum, so lautet der Vorwurf, der von der Realität gedeckt wird. Denn eine von Volkswagen geplante Batteriefabrik soll in Barcelona entstehen.
Salaya hat noch mehr Argumente auf seiner Seite. „195 direkte Arbeitsplätze durch die Mine – und wie viele Arbeitsplätze gehen in der Tourismusbranche verloren, weil niemand eine Stadt besuchen will, die unter einer Staubwolke aus dem Tagebau liegt?“, fragt er. Seine Stadtverwaltung arbeite an einem Projekt, um mehr umweltverträgliche Industrie anzusiedeln. „Unser Wettbewerbsvorteil ist ganz eindeutig die Energie“, sagt der Kommunalpolitiker und meint damit Solarstrom. Ein Drittel des Stroms aus solarthermischen Anlagen und ein Viertel der Energie aus Photovoltaik in Spanien kommt aus Extremadura.
Bürgermeister Salaya glaubt fest daran, dass die Stadtverwaltung die Mine stoppen kann. Die Regionalregierung – wie die Stadtverwaltung sozialdemokratisch – hat zugesichert, nichts gegen den Willen der Bevölkerung vor Ort durchzudrücken. „Und die Normen der Stadtplanung in Cáceres lassen keinen Bergbau zu“, gibt Salaya zu bedenken. Spätestens bei der Erstellung des endgültigen Umweltgutachtens werde dies, so ist er sich sicher, zum Problem für Infinity Lithium.
Vor gut zwei Jahren hat der Stadtrat schon einmal über einen Antrag abgestimmt, diese Normen zugunsten von Infinity Lithium zu verändern. Kein Geringerer als der heutige Lobbyist Polo hatte damals den Antrag eingebracht. „Bis auf ihn und die anderen drei Stadträte stimmten alle dagegen“, sagt Salaya. Das Nein zur Mine eint die sonst oft zerstrittenen Parteien.
Genau das lässt den Rentner Manolo Sánchez darauf hoffen, auch den Rest seines Lebensabends an diesem für ihn ganz besonderen Ort in der Sierra de la Mosca verbringen zu können. Sein Freund Chaves ist mittlerweile nach Hause gegangen. Die Bergbaupläne hat Sánchez wieder fein säuberlich in einer Plastikhülle verstaut. Er geniest die Aussicht. Die Szene überragt eine riesige Kiefer, unter der der Alte schon einst als Kind so gerne spielte. Sánchez’ Wunsch: „Am liebsten hätte ich es, dass, wenn es einmal so weit ist, meine Asche dort beigesetzt wird.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Streit um Neuwahlen
Inhaltsleeres Termingerangel
Energiepläne der Union
Der die Windräder abbauen will
Überwachtes Einkaufen in Hamburg
Abgescannt
Lehren aus den US-Wahlen
Wo bleibt das linke Gerechtigkeitsversprechen?
Linkspartei nominiert Spitzenduo
Hauptsache vor der „asozialen FDP“
Obergrenze für Imbissbuden in Heilbronn
Kein Döner ist illegal