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Neonazis in der Corona-ProtestbewegungOhne Abstand

Am Samstag protestieren „Querdenker“ wieder gegen Coronaregeln. Die Bewegung wird von Rechtsextremen unterwandert – und wehrt sich nicht.

Gegen die Corona-Diktatur: Rechtsextremist Sven Liebich auf einer Demo in Halle an der Saale Foto: Steffen Schellhorn/imago

Berlin taz | Am Samstag rufen die „Querdenker“ wieder zur Großdemonstration auf. Diesmal in Stuttgart, einem der Gründungsorte und Hotspots ihres Protests. Für „Freiheit und Frieden“ wollen die Geg­ne­r:in­nen der Coronamaßnahmen dort demonstrieren. Doch dass es friedlich bleibt, ist längst nicht mehr ausgemacht.

Denn zuletzt fiel der Protest gleich mehrfach mit wüsten Szenen auf. In Kassel und Dresden setzten sich Teil­neh­me­r:in­nen über Demonstrationsverbote hinweg, rangelten mit Polizeikräften und Gegendemonstranten. Inzwischen hat der Verfassungsschutz die Bewegung im Blick. Erst am Dienstag stufte das Hamburger Landesamt das dortige „Querdenken 40“ und die Gruppe „Hamburg steht auf“ als Verdachtsfall ein. Bei den Gruppen hätten sich „verfassungsfeindliche Bestrebungen verdichtet“. Es werde „ausdrücklich zu einem Widerstand gegen den demokratischen Rechtsstaat aufgerufen, der über friedlichen Protest hinausgeht“. Zuvor schon hatten Baden-Württemberg und Bayern Teile der Bewegung als Beobachtungsjobjekte eingestuft. Weitere Landesämter und das Bundesamt prüfen, ob sie nachziehen. Auch weil sich immer wieder Rechtsextreme in den Protest einreihen – und das von Beginn an.

Am 25. April 2020 steht Udo Voigt auf dem Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin. Fotos zeigen den NPD-Funktionär mit Schirmmütze und blauer Steppjacke. Mit ihm haben sich mehrere hundert Menschen versammelt, die als selbsternannte „Hygienedemo“ gegen die Coronamaßnahmen demonstrieren – es ist einer der ersten Corona­proteste überhaupt. Bürgerliche, Hippies, Impf­geg­ne­r:in­nen oder Verschwörungsanhänger finden sich ein. An dem NPD-Mann stören sie sich offenbar nicht. Der sucht gezielt die Aufmerksamkeit. „Coronadiktatur stoppen, bevor es zu spät ist“, wird Voigt später auf einem Facebook-Profil schrei­ben. „Wir sehen nicht tatenlos zu!“

Voigt ist damit einer der ersten Neonazis, der sich in die damals entstehenden Coronaproteste einreiht. Er wird nicht der einzige bleiben. Die rechtsextreme Szene erkennt das Potenzial früh. Voigts NPD frohlockt schon Mitte März letzten Jahres: „Noch nie war ein Systemwechsel so greifbar wie derzeit.“ Zur gleichen Zeit bietet auch „Die Rechte“, eine Neonazi-Splitterpartei, „Corona-Einkaufshilfen“ als Zeichen der „nationalen Solidarität“ an. Und „Der III. Weg“, auch eine rechtsextreme Kleinpartei, klagt, die „Deutschen“ würden in der Coronakrise „komplett entmündigt“. Der Slogan auch hier: „Das System ist gefährlicher als Corona.“

Rechtsradikale wittern ihre Chance

Anfang April 2020 geht „Die Rechte“ in Bremerhaven unter dem Slogan „Grundrechte auch in der Coronazeit schützen“ auf die Straße. In Chemnitz demonstriert das rechtsextreme „Pro Chemnitz“ gegen die „Coronadiktatur“, in Cottbus rufen Rechtsextreme eine „Covid 1984 Warnstufe“ aus. Der Verfassungsschutz listet allein von April bis Anfang August 2020 bundesweit 92 Coronakundgebungen, die von Rechtsextremisten dominiert oder gleich selbst organisiert werden.

Und auch bei den Großprotesten der „Querdenker“ sind sie dabei. Denn diese Veranstaltungen kultivieren so einige Aspekte, die auch zum rechtsextremen Glaubenskanon gehören: Agitation gegen Regierung und die „Lügenpresse“, die Behauptung einer Dichotomie von böswilligen Eliten und unterdrücktem Volk, dazu teils antisemitisch aufgeladene Verschwörungserzählungen. Wirkliche Gegenwehr erhalten die Rechtsextremen nicht, im Gegenteil. Der Protest funktioniere „parteiübergreifend, ohne sich gegenseitig zu distanzieren“, bekundet NPD-Mann Voigt erfreut im Mai 2020 in einem Interview.

Einer der ersten, der selbst Kundgebungen organisiert, ist Sven Liebich, ein umtriebiger Rechtsextremist aus Halle. Vor Jahren war der Endvierziger beim Blood-&-Honour-Netzwerk dabei, nun setzt er auf Politprovokationen, die er auf seinem Videokanal festhält. Fast allwöchentlich demonstriert Liebich bis heute auf dem Marktplatz in Halle gegen die „Coronadiktatur“, taucht auch, wie Udo Voigt, bei bundesweiten Großprotesten auf. Er stützt diese auch materiell: Über seinen Internetversand bietet Liebich Shirts mit „Querdenker“- oder QAnon-Aufdrucken an. Oder – die NS-Verbrechen relativierend – solche mit „Judenstern“ und der Aufschrift „Ungeimpft“.

Anders als die teils kaum politisierten Mitdemonstranten mit ihren diffusen Forderungen wissen die Neonazis ganz genau, was sie wollen: den Systemsturz.

In Nordrhein-Westfalen ist es wiederum Michael Brück, ein Anfang-dreißig-Jähriger und Sprachrohr von „Die Rechte“, der früh von einer „Volksfront“ träumt. Die rechtsextreme Szene ruft er offensiv zur Teilnahme auf: „Unterstützt die Proteste in euren Städten. Beteiligt euch, aber vereinnahmt sie nicht. Lasst andere in der ersten Reihe stehen, aber seid dabei.“ Ähnlich deutlich wird Matthias Fischer, Vizechef des „III. Wegs“. „Wir müssen als Nationalrevolutionäre jetzt auf die Straße gehen“, erklärt er in einem Video zum Coronaprotest. „Nutzt jede Möglichkeit, unsere Weltanschauung zu verbreiten.“

Die Neonazis verhehlen ihre Pläne damit nicht. Sie wollen in der Masse der Coronaprotestierenden ihre eigene Agenda platzieren und dort Mitstreiter gewinnen. Und sie wollen die Wut auf die Regierung, Parteien und Medien bestärken, um diese zu delegitimieren. Zwar bleiben die Rechtsextremen eine Minderheit bei den Protesten, aber eine gut organisierte. Und anders als die teils kaum politisierten Mitdemonstranten mit ihren diffusen Forderungen wissen die Neonazis ganz genau, was sie wollen: den Systemsturz. „Nicht das Virus ist das Problem, sondern das System“, erklärt „III. Weg“-Mann Fischer.

Matte Reaktionen der „Querdenker“

Die Organisatoren der Coronaproteste reagieren auf die Rechtsextremen nur halbherzig. Das Stuttgarter „Querdenken 711“ betont in seinem „Manifest“ zwar, man sei eine friedliche Bewegung, in der „menschenverachtendes Gedankengut“ keinen Platz habe. Dort heißt es aber auch: „Wir sind überparteilich und schließen keine Meinung aus.“ Fragt man, warum es zu keinen Ausschlüssen von Rechtsextremen auf den Demonstrationen kommt, lautet die Antwort: Man könne weder wissen noch kontrollieren, wer sich dem Protest anschließe. Und die NPD etwa sei ja eine Partei, die nicht verboten ist.

Als am 29. August 2020 in Berlin rund 38.000 „Querdenker“ zur Großdemonstration zusammenkommen, zählt der Verfassungsschutz darunter immerhin 2.500 Rechtsextreme, unter ihnen auch Michael Brück, Sven Liebich und Udo Voigt. Für sie wird es eines der größten Szenetreffen seit Jahren in der Hauptstadt – mit ungewohnten Freiräumen, ohne Ausschluss seitens der „Querdenker“, ohne nennenswerten Gegenprotest von außen. Am Ende sind es Reichsbürger, welche die Bundestagstreppe stürmen und kurzzeitig besetzen. Es sind die Bilder, die von diesem Tag bleiben – ein Propaganda-Erfolg für die Rechtsextremen. Der „III. Weg“ lobt danach das Miteinander als „Meilenstein“ für das „nationale Lager“. Michael Brück von der „Rechten“ lobt die Logistik der „Querdenker“ als „ganz große Hausnummer“ – aber fordert noch „mehr zivilen Ungehorsam“.

Auch wenn sich die „Querdenker“-Or­ga­ni­sa­tor:in­nen später von der Besetzung der Bundestagstreppe distanzieren: Die Rechtsextremen bleiben Teil der Bewegung. Am 7. November 2020 findet diese ihren nächsten Höhepunkt. Wieder stehen die Rechtsextremen gemeinsam mit den „Querdenkern“ auf der Straße, diesmal in Leipzig, wieder kommen rund 40.000 Protestierende, wieder sind Liebich, Brück und Voigt dabei. Und diesmal wird es den Widerstand geben, den Brück einforderte.

Als die Polizei einen untersagten Demonstra­tionszug verhindern will, tauchen Rechtsextreme vor den Beamten auf, fordern, die Straße freizumachen, werfen Pyrotechnik und Flaschen. In erster Reihe steht mit Mikrofon: Michael Brück. Tatsächlich weicht die Polizei schließlich zurück, die Demonstrierenden ziehen über den Leipziger Ring – und feiern eine vermeintliche Analogie zu den Leipziger Montagsdemos von 1989. Es ist ein erneuter Erfolg, dank der Rechtsextremen. Die Arbeitsteilung an diesem Tag funktioniert. Und die „Querdenker“ werden den Schulterschluss auch jetzt nicht aufkündigen. In einer Pressemitteilung verneinen die Organisatoren Ausschreitungen aus den eigenen Reihen und erwähnen die Rechtsextremen mit keinem Wort. Vielmehr heißt es: Dass sich „ein Aufzug um den Innenstadtring von Leipzig gebildet hat, war den Menschen in Leipzig zu verdanken“.

Tatsächlich gibt es unter den „Querdenkern“ immer wieder Stimmen, die vor einer Spaltung warnen. Ralf Ludwig, Anwalt und „Querdenken“-Wortführer, begrüßt gar auf einer Kundgebung die Teilnahme von Rechtsextremen wie der NPD. Man demonstriere ja für Freiheit und Demokratie: „Und wenn sich die NPD genau diesem anschließt, dann ist das doch ein Erfolg von uns.“ Dann sei das „doch auch Antifaschismus“. „Querdenken“-Anführer Michael Ballweg trifft sich im November mit Reichsbürgern in Thüringen zu Strategietreffen.

Klare Grenzziehungen sehen anders aus. Und so sickert auch die Rhetorik der Rechtsextremen in den Protest ein. Neben der „Coronadiktatur“ ist nun auch die Rede von „Ermächtigungsgesetzen“ – ein Terminus, den der III. Weg schon im März 2020 bediente. Sven Liebich tritt bereits im Mai 2020 in einem Anne-Frank-Shirt auf. Auch dieser die NS-Zeit verharmlosende Vergleich wird später noch breiter auftauchen.

Dazu wird der Protest immer gewalttätiger. Als im November Demonstranten vor dem Bundestag in Berlin gegen die Verabschiedung des neuen Infektionsschutzgesetzes protestieren, reisen wieder etliche Neonazis an, es kommt zu Angriffen auf Polizisten. Vorne mit dabei heizt Liebich die Stimmung an, ruft den Beamten zu: „Erschießt doch einfach die Leute!“ Die Polizei setzt erstmals seit Jahren wieder Wasserwerfer ein, Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik spricht im Anschluss von „immenser“ Gewalt.

Wenig später stuft der Verfassungsschutz Baden-Württemberg das Stuttgarter „Querdenken 711“, bundesweiten Protestorganisator, als Beobachtungsobjekt ein. Personell wie ideologisch prägten Reichsbürger und rechtsextreme Akteure die Gruppierung, so die Behörde. Auch wenn die meisten Demonstrierenden weiter nicht extremistisch seien, schüre der Protest doch „gezielt Hass auf den Staat“. Vor zwei Wochen stufte auch der bayrische Verfassungsschutz Teile der Bewegung entsprechend ein, nun zieht Hamburg nach. Weitere Landesämter dürften folgen.

Die „Querdenker“ fordern das geradezu heraus – mit jüngsten Auftritten wie in Dresden oder Kassel. Zu letzterer Demo reist auch Sven Liebich wieder an, mit einem „Judenstern“ samt „ungeimpft“-Aufdruck auf dem Anorak. „Schöner Tag“, konstatiert er, nachdem die Protestierer die Polizei überrannt haben. „War wirklich alles unser Gelände.“ Auch Anhänger des „III. Wegs“ reihen sich wieder ein. Gleichzeitig demonstrieren Rechtsextreme auch in Berlin gegen die Coronamaßnahmen, am vergangenen Wochenende taten sie es in Chemnitz. Zu verlockend bleibt der Coronaprotest – als Vehikel zur Verbreitung der eigenen Propaganda und für die Suche nach neuen Mitstreiter:innen. Oder, wie es der „III. Weg“ einmal festhält: „Weil es nirgendwo sonst einfacher war, sich direkt an deutsche Seelen zu wenden, ohne keifenden Antifa-Pöbel und Hamburger Gitter im Weg.“

Der Text ist ein aktualisierter Vorabdruck aus dem Sammelband „Fehlender Mindestabstand. Die Coronakrise und die Netzwerke der ­Demokratiefeinde“, der am 7. April im Herder-Verlag erscheint.

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16 Kommentare

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  • Wenn man das Problem nicht nur oberflächlich betrachtet, würde aus meiner Sicht ganz vorne die Frage stehen, wieso es möglich ist, dass Rechte die Pandemie und die dadurch bedingten Maßnahmen dermaßen für sich in Anspruch nehmen können. Da hilft kein moralischer Appell.

    Selbst bürgerlich liberale Menschen reden von Staatsversagen. Und ich sehe keine wirklich ernst zu nehmende Opposition gegen die mehr als klägliche Coronapolitik der Regierung.

    Die Rechte nutzt den alarmierenden Zustand, dass es in Deutschland nur noch staatstragende Parteien gibt, wenn man die AfD einmal außen vor lässt.



    Das ist nicht nur Staatsversagen, dass ist auch Demokratieversagen. Ich vermisse extrem eine Partei, die Opposition ernst nimmt.

    • @Rolf B.:

      "Ich vermisse extrem eine Partei, die Opposition ernst nimmt."

      Ein Freudscher Verdreher? Meinen Sie eine "extreme Partei"?

    • @Rolf B.:

      Na gut, Sie vermissen extrem eine Partei, die Opposition ernst nimmt, aber wohl hoffentlich nicht eine extreme Partei, die selbiges tut ... insofern kann ich Ihre Kritik nachvollziehen, wenn auch nicht komplett teilen.



      Was erwarten Sie denn von Parteien in einer parlamentarischen Demokratie, wenn diese nicht staatstragend sein sollen? Schließlich ist es unser Staat, den es gegen die Gefahr von Rechts, gegen Korruption, Amtsanmaßung und Demokratieabbau zu verteidigen gilt.



      Die pauschale Rede vom Demokratieversagen nützt letztlich nur denjenigen, die mit der Demokratie als Staatsform - aus unterschiedlichen Motiven- sowieso ihre Schwierigkeiten haben, sie ablehnen oder ganz abschaffen wollen.

      • @Abdurchdiemitte:

        "Was erwarten Sie denn von Parteien in einer parlamentarischen Demokratie, wenn diese nicht staatstragend sein sollen? Schließlich ist es unser Staat, den es gegen die Gefahr von Rechts, gegen Korruption, Amtsanmaßung und Demokratieabbau zu verteidigen gilt."

        Nicht leicht, Ihre Frage zu beantworten, weil ich nicht weiß, was Sie unter "Staat" verstehen, den wir verteidigen müssen.



        Die Gefahr von Korruption hat ja nichts mit rechts zu tun, Korruption beginnt doch schon da, wo 100.000€ noch als NEBENEINKUNFT von Abgeordneten des Bundestages bezeichnet werden. Und Demokratie wird doch viel zu statisch reduziert auf pol. Parteien. Und ausgerechnet die Grünen haben sich auf ihrem letzten (virtuellen) Parteitag gegen mehr direkte Demokratie ausgesprochen.



        Nicht die pauschale Rede von Demokratieversagen nützt den Rechten, sondern das Demokratieversagen selber. Da sollten wir es uns nicht zu einfach machen und nur die Rechten dafür verantwortlich machen, dass Demokratie -freundlich gesagt- stagniert. Ganz zu schweigen von der zunehmenden sozialen Ungleichheit.

        • @Rolf B.:

          Grundsätzlich liegen wir wohl nicht so weit auseinander ... einige Konkretisierungen meinerseits: unter pauschaler Rede vom Demokratieversagen verstehe ich so Sprüche wie: die da oben machen sowieso, was sie wollen oder: Steck sie alle in einen Sack und hau mit dem Knüppel drauf, du triffst immer den Richtigen usw.usf. Das kommt ja nicht nur aus der rechten Ecke, sowas erlebe ich tagtäglich, wenn im Bekannten- oder Kollegenkreis die Sprache auf Politik kommt. Keine Gefahr für die Demokratie?



          Und richtig, soziale Ungleichheit ist eine große, wenn nicht die zentrale Gefahr für eine demokratisch verfasste Gesellschaft (nichts anderes meine ich übrigens, wenn ich von “unserem” Staat spreche) ... zumal, wenn der Eindruck entsteht, sie sei quasi gottgegeben und man müsse nichts dagegen unternehmen, es sei sogar legitim, dass es Oben und Unten gebe (Stichwort Neoliberalismus).



          Aus meiner Sicht stellt sich nur die Frage, was wollen wir tauschen gegen dieses unvollkommene fragile Gebilde namens liberale parlamentarische Demokratie und was hat momentan Priorität im Kampf gegen den immer mächtiger werdenden europäischen Rechtspopulismus ... wenn der obsiegt, haben auch Linke ganz schlechte Karten, die mehr oder etwas anderes wollen, als das, was uns hier vorgesetzt wird.



          Und ich meine, ich habe gute historische Gründe, mit Blick auf die deutsche Geschichte diese Frage zu stellen.



          Deshalb müssen Sie es mir auch nachsehen, wenn ich in der Frage parlamentarische vs. direkte Demokratie eine ambivalente Position vertrete.

          • @Abdurchdiemitte:

            Ihre Argumente sind für mich durchaus nachvollziehbar. Auch die "ambivalente Position" hinsichtlich direkter Demokratie.



            Die Tatsache, dass Parteikarrieren viel mit Seilschaften und selten mit Qualität zu tun haben, besorgt mich ungemein. Wir alle kennen die "SpitzenpolitikerInnen", die weder einen beruflichen noch einen anderen Abschluss haben und dennoch überall mitreden. Selbst dann, wenn da keine Substanz vorhanden ist. Und um diese PolitikerInnen hat sich ein Lobbynetzwerk gebildet, das mehr Einfluss hat als alle WählerInnen zusammen. Das sprengt langfristig jede Demokratie. Nicht nur der Rechtsradikalismus, der jahrzehntelang im VS einen harmlosen Begleiter hatte. Aber auch im Windschatten der AfD gibt es einen allgemeinen Rechtsruck.

            • @Rolf B.:

              Eine letzte Anmerkung noch: ich beharre weiter darauf, dass nicht die momentan zu beobachtenden und schon immer existent gewesenen Unzulänglichkeiten der Demokratie das Problem sind, sondern die Empfänglichkeit in breiten Bevölkerungsschichten für totale Utopien angesichts dieser Misere ... sei es der Traum von der Volksgemeinschaft oder von der gerechten sozialistischen Gesellschaft.



              Ein wenig Frustrations- und Ambiguitätstoleranz muss die menschliche Spezies mit der Demokratie schon aufbringen, denn die Rückkehr ins Kinderparadies ist das Heilsversprechen totalitärer Ideologien, die dann doch immer geradewegs in die Hölle führen.



              Die knüpfen natürlich immer an reale Missstände an, deshalb heißt es aufpassen, wer da jeweils seine Angeln auswirft.

  • Warum sollte "Querdenken" sich auch gegen Rechtsextreme wehren? Es ist doch vielmehr so, dass jene rechtsoffene bis rechtsextreme Umsturzbewegung nicht etwa erst 2020 gegründet wurde, sondern bereits seit mindestens 2013 unter dem Namen "Querdenken" existierte (siehe u.A. "Querdenken Kongresse", welche 2015 während der Flüchtlingskrise ihren vorläufigen Höhepunkt fanden) und dass sogar die Protagonisten von damals heute teilweise noch diesselben sind (beispielsweise Eva Hermann, Peter Fitzek, Heiko Schrang oder auch die beiden Spendenverwalter von Michael Ballweg). Zwar trat Michael Ballweg, zumindest soweit öffentlich bekannt damals noch nicht in Erscheinung, seine Kontakte zu Peter Fitzek sind aber bekannt. Ich halte den Narrativ einer erst während der Corona-Pandemie gegründeten Bewegung für eine Mär. Auch mehrere Interviews von Helmut Roewer mit "Querdenken TV" sind aus dem letzten Jahrzehnt bekannt, in einem davon sprach er bereits offen von einem gewaltsamen Umsturz (u.A. auch auf Wikipedia nachzulesen).

    • @fckqdk:

      Beides stimmt: einerseits ist QD in der aktuellen Form ein Kind Coronas. Andererseits hat sich da nur ein informelles und seit Jahren existierendes Netzwerk sichtbar manifestiert. Hätte es diese Pandemie nicht gegeben, hätten sie irgendeinen anderen Anlass gefunden; Verfassungsfeind und Euthanasie-Fan ist man nicht mal so nebenher und dann wieder nicht, das ist eine Lebensaufgabe.

      Die einzige interessante Frage wäre da: was wäre unter einer R2G-Bundesregierung passiert? Hätte die dem Treiben auch jahrelang schulterzuckend zugeschaut? Denn dass BND und Verfassungsschutz schlechter informiert sind als Psiram und Konsorten, und das Stillhalten der staatlichen Organe gegenüber den Deutschland-in-den-Grenzen-von-Annodunnemal-Freaks etwas anderes ist als aktives Nichtstun, das glaube wer will...

  • Die „Rechte“ wurde seit 1945 „gepflegt“. Altnazis waren wieder schnell am Ruder (Adenauer: ... wenn ich doch keine anderen habe ...), rechte Bewegungen wurden verharmlost, negiert und ignoriert, damit wurde der „Einfangpunkt“ verpasst. Dem wohnt eine innere Logik inne, denn man verschwendet/e Kraft und Zeit für die Verfolgung der vermeintlich eklatanten Gefahr von links. Dabei beäugte man selbst die „spießbürgerlichsten Sozialträumer“ misstrauisch und zerstörte normalste Lebenswege.

    • @snowgoose:

      Öhm ... Links in der DDöR sind die Altnazis genauso integriert worden, ja selbst in der SED mit offenen Armen und in Scharen aufgenommen worden.

      Und, wieso sollte die SPD sch selber ("links") verfolgt haben wollen?

  • Schon bei der Demo am 1. August 2020 in Berlin waren die drei Hauptredner drei rechte Verschwörungstheoretiker und Rechtsradikale wurden dort hofiert. Ballweg hat auch mit einem Jürgen Elsässer keinerlei Berührungsprobleme. Insofern war das von Anfang an eine rechtsradikale Bewegung, die nicht erst unterwandert werden musste. Dass man das nicht sofort erkannte, lag daran, dass viele Verschwörungsideologen politisch völlig verwirrt sind und sich gerne eine Peace-Flagge umhängen. Es ist diese neue Verwirrtheit, die die Situation unübersichtlich macht.

    Ärgerlich finde ich jedenfalls, dass die meisten Medien genau diese falsche Darstellung - Unterwanderung durch rechte Gruppen - transportierten. Denn das würde ja bedeuten, dass die Querdenker eigentlich ok seien. Dem ist nicht so.

    • @genova:

      Vollkommen richtig, zumal "Querdenken" bereits seit mindestens 2013 als rechte und verschwörungsideologische Bewegung unter exakt diesem Namen existiert und nicht etwa erst seit 2020 im Zuge der Coronakrise. Auch bei uns im ländlichen Niederbayern prägen die Proteste von Anfang an (regional) bekannte Neonazis von NPD und III. Weg, ja wurden schon im Privaten zusammen mit den offiziellen Organisatoren von "Querdenken 871" (mittlerweile umbenannt in "Bayern steht zusammen") fotografiert und immer wieder aufs Neue als Redner auf die Bühne geladen und dort beispielsweise freundlich als "Uli" begrüßt. Wir reden hier von einem ehemaligen Bundesvorstand der NPD oder von Michael Kastner, ein mehrfach vorbestrafter Neonazi aus dem ehemaligen "Kader" von Martin Wiese.

    • @genova:

      Aber spielt das ein Rolle, ob diese Bewegung von Anfang an rechtsradikal war oder “nur” von Faschisten unterwandert worden ist ... mir gibt es eher zu denken, dass es sich bei den Querdenkern überhaupt um eine Bewegung handelt, die Kundgebungen mit Teilnehmerzahlen im fünfstelligen Bereich organisieren kann.



      Ich finde derartige irrationale, esoterische und verschwörungstheoretische “Welterklärungsmodelle” an sich schon bedenklich, auch ohne dass ich stets das Nazi-Etikett draufpappen muss.



      Der Erfolg der Querdenker ist für mich als Linker eher Anlass, in selbstreflexiver Weise nochmals das eigene Verständnis von Aufklärung und Moderne zu überdenken ... in Coronazeiten habe ich schon einige ehemalige Mitstreiter die Seiten wechseln sehen, die finden sich jetzt bei den Querdenkern und würden sich selbst bestimmt nicht als Nazis sehen.



      Es sind aber in erster Linie die “Genossen”, die schon immer einen Hang zum, ich sage mal, Absoluten und zur allein selig machenden Wahrheit hatten.

  • Möge die Polizei ihnen den Weg freiprügeln.

    • @tomás zerolo:

      ;(