Streitbare UN-Sondermittlerin: Agnès Callamard führt Amnesty
Die erfahrene UNO-Mitarbeiterin wird Generalsekretärin von Amnesty International. Auch offene Drohungen aus Diktaturen schrecken sie nicht ab.
Dort arbeitete Callamard schon einmal in den Jahren 1995 bis 2001. Danach war sie von 2004 bis 2013 Direktorin von „Article 19“, der britischen Menschenrechtsorganisation für das Recht auf freie Meinungsäußerung.
Eine bessere Wahl als Callamard hätte AI nicht treffen können. Die 1965 geborene Politikwissenschaftlerin hielt unter den schwierigen Rahmenbedingungen einer Menschenrechtsdiskussion klaren Kurs, die in den letzten zwei Jahrzehnten zunehmend selektiv geführt und für politische Zwecke instrumentalisiert wurde.
Sie stritt für die universelle Gültigkeit der seit 1948 international vereinbarten Menschenrechtsnormen. Deren Verletzung – durch wen auch immer – prangert Callamard stets mit klaren Worten und in der für eine Wirkung erforderlichen Öffentlichkeit an. Auf keinem Auge blind, furchtlos gegenüber Mächtigen und unbeeindruckt von deren Drohungen.
Morddrohung aus Saudi-Arabien
Die bislang gefährlichste, weil auf ihr Leben abzielende Drohung machte Callamard vergangene Woche öffentlich: Bei einem Treffen mit UNO-Offiziellen in Genf im Januar 2020 drohte der Chef der staatlichen saudi-arabischen Menschenrechtskommission, Awwad Alawwad, gleich zweimal unmissverständlich ein Vorgehen gegen Callamard an, sollte die UNO ihren Untersuchungsbericht über die Ermordung des saudischen Journalisten Jamal Kashoggi nicht zurückziehen. In diesem bereits im Juni 2019 veröffentlichten Bericht hatte die UNO-Sonderberichterstatterin auf „glaubwürdige Beweise“ verwiesen, dass „höchste Stellen in Riad, darunter Kronprinz Mohammed bin Salman, für den Mord verantwortlich sind“.
Die Äußerungen Alawwads wurden von den an dem Treffen in Genf beteiligten UNO-Vertretern als „Morddrohungen“ gegen Callamard wahrgenommen und entsprechend auch in einem schriftlichen Bericht an UNO-Generalsekretär António Guterres bezeugt. Deutliche Worte der Kritik und Verurteilung äußerte Callamard auch an Menschenrechtsverletzungen durch Saudi-Arabiens Hauptfeind Iran sowie durch Russland und China.
Der philippinische Präsident Rodrigo Duterte löste eine Online-Hasskampagne gegen Callamard aus, weil sie seinen brutalen Krieg gegen die Drogen kritisiert hatte. Ex-US-Außenminister Mike Pompeo beschimpfte sie, weil sie die Drohneneinsätze zur Ermordung des iranischen Generals Qasem Soleimani und anderer Personen als „ungesetzlich“ und „Völkerrechtsverstoß“ eingestuft hatte.
Der EU hielt Callamard vor, ihre Flüchtlings- und Migrationspolitik sowie Gesetzesbestimmungen zur inneren Sicherheit stünden „in völligem Widerspruch zu internationalen Menschenrechtsnormen“. Bei der UNO in Genf bedauern viele den Weggang dieser mutigen Streiterin.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um Termin für Bundestagswahl
Vor März wird das nichts
Bewertung aus dem Bundesinnenministerium
Auch Hamas-Dreiecke nun verboten
SPD nach Ampel-Aus
It’s soziale Sicherheit, stupid
Einigung zwischen Union und SPD
Vorgezogene Neuwahlen am 23. Februar
Energiepläne der Union
Der die Windräder abbauen will
Wirbel um Berichterstattung in Amsterdam
Medien zeigen falsches Hetz-Video