Brasiliens linker Ex-Präsident: Urteile gegen Lula annulliert
Der Oberste Gerichtshof hebt Korruptionsurteile gegen Brasiliens Ex-Präsidenten Luiz Ignácio „Lula“ da Silva auf. Er könnte jetzt wieder kandidieren.
Das Urteil kam für viele Beobachter*innen überraschend. Richter Edson Fachin begründete seine Entscheidung damit, dass das Gericht in der südbrasilianischen Stadt Curitiba, das Lula verurteilt hatte, dafür nicht zuständig gewesen wäre. Die Fälle müssen nun vor einem Bundesgericht neu aufgerollt werden.
Lula war zwischen 2003 und 2011 Präsident des größten Staates Lateinamerikas und gilt als Idol der lateinamerikanischen Linken. 2018 wurde der Sozialdemokrat im Zuge der als „Operation Autowäsche“ bekannt gewordenen Ermittlungen wegen Korruption und Geldwäsche verurteilt. Der Politiker der Arbeiterpartei PT beteuerte stets seine Unschuld und erklärte, Opfer eines politischen Prozesses geworden zu sein.
Im April 2018 trat er eine mehrjährige Haftstrafe an, wurde aber im November 2019 nach 580 Tagen in Haft vorzeitig entlassen. Lulas Verurteilung war auch politisch brisant, da sie ihn von der Wahl 2018 ausschloss und den Weg für jenen Mann freimachte, der heute Präsident von Brasilien ist: Jair Bolsonaro.
Viele hoffen auf Lulas Comeback
Mit der vorläufigen Wiederherstellung von Lulas politischen Rechten hoffen viele auf ein Comeback des Ex-Gewerkschafters mit der Kratzstimme. „Mit der Annullierung ist einer der wichtigsten Protagonisten Brasiliens zurück auf dem politischen Parkett“, sagt der Politikwissenschaftler und Autor Rubens Casara der taz.
Kaum jemand zweifelt daran, dass Lula versuchen wird, im Jahr 2022 noch einmal zu kandidieren – trotz seines Alters und des regelrechten Hasses, der ihm aus konservativen Kreisen entgegenschlägt.
Viele Brasilianer*innen blicken aber auch sehnsüchtig auf die Boom-Jahre seiner Amtszeit zurück. Kaum ein Politiker ist bekannter und beliebter als Lula. Erst am Sonntag war er bei der Wahlumfrage auf dem ersten Platz gelandet. Knapp dahinter lag der rechtsradikale Amtsinhaber Bolsonaro, der ebenfalls eine treue Wählerbasis hinter sich versammelt – trotz zahlreicher Skandale und seines katastrophalen Coronamanagements.
„Sollten Lula und Bolsonaro im Jahr 2022 wirklich antreten, werden die beiden mit Sicherheit in die zweite Runde der Wahl ziehen“, meint Casara. Den bürgerlich-konservativen Kräften der brasilianischen Politik könnte erneut ein Debakel drohen.
Für Bolsonaro könnte Lula der Lieblingsgegner sein
Lula hielt sich am Montag zurück, sagte lediglich der Tageszeitung Folha de São Paulo, dass es noch zu früh sei, um zu feiern. Die Bundesstaatsanwaltschaft kündigte derweil an, gegen die Entscheidung in Berufung zu gehen.
Das hielt Unterstützer*innen Lulas nicht davon ab, das Urteil zu feiern, in den sozialen Medien trendete der Hashtag #LulaPresidente2022. Für die krisengebeutelte Linke ist die Annullierung ein kurzer Hoffnungsschimmer – mehr aber auch nicht.
Auf den sonst so umtriebigen Kanälen Bolsonaros blieb es am Montag auffällig ruhig. Während viele die Annullierung als herbe Niederlage für den Präsidenten deuten, gibt es noch eine andere Interpretation: Bolsonaro könnte von der Kandidatur seines Antagonisten sogar profitieren.
Bereits im vergangenen Wahlkampf gelang es dem ehemaligen Fallschirmjäger, sich mit Attacken gegen Lula in Szene zu setzen und den Hass auf die Arbeiterpartei geschickt für seine Zwecke zu nutzen. „Autoritäre Staatschefs wie Bolsonaro brauchen Feinde“, meint der Politikwissenschaftler Casara. „Deshalb glaube ich, dass er auf ein Duell mit Lula hofft.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um Termin für Bundestagswahl
Vor März wird das nichts
Bewertung aus dem Bundesinnenministerium
Auch Hamas-Dreiecke nun verboten
SPD nach Ampel-Aus
It’s soziale Sicherheit, stupid
Energiepläne der Union
Der die Windräder abbauen will
Einigung zwischen Union und SPD
Vorgezogene Neuwahlen am 23. Februar
Wirbel um Berichterstattung in Amsterdam
Medien zeigen falsches Hetz-Video