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AfD: Jetzt erst rechts

Kurz vor wichtigen Landtagswahlen stuft der Verfassungsschutz die AfD als rechtsextremen Verdachtsfall ein. Darüber sprechen darf er nicht, das hat er gerichtlich zugesagt. In der Partei ist die Aufregung groß

Bald nur noch ein Vogelschiss der Geschichte? Der Fraktionchef Alexander Gauland und Parteichef Chrupalla Foto: Michael Kappeler/dpa

Von Sabine am Orde und Konrad Litschko

Am Mittwochmachmittag stehen AfD-Chef Tino Chrupalla und Fraktionschef Alexander Gauland im Bundestag, sie haben spontan die Presse eingeladen. Von einem „absoluten Skandal“ spricht Chrupalla. In einem laufenden Verfahren seien Informationen an Medien durchgestochen worden. Die AfD werde vorverurteilt, der Verfassungsschutz politisch instrumentalisiert. Gauland dagegen erklärt, für ihn sei das Agieren des Geheimdienstes nicht maßgeblich. Und am Ende werde das Bundesverfassungsgericht entscheiden. „Und da bin ich sehr optimistisch.“

Die vermeintliche Gelassenheit täuscht indes nicht darüber hinweg, dass seit Mittwochmorgen die Aufregung in der Partei noch größer ist als ohnehin seit Monaten schon. Da wurde publik, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz die gesamte Partei als rechtsextremen Verdachtsfall eingestuft hat – und das kurz vor wichtigen Landtagswahlen. Besonders in Baden-Württemberg, wo die Partei 2016 mit 15,1 Prozent ihr bislang bestes Ergebnis im Westen erzielte, aber auch in Rheinland-Pfalz befürchtet man nun, dass wichtige Wäh­le­r:in­nen verloren gehen. Das wäre aus AfD-Sicht ein fatales Signal zu Beginn dieses Superwahljahres.

Nach taz-Informationen hat das Bundesamt die Partei bereits Ende Februar zum rechtsextremen Verdachtsfall hochgestuft. Kurzfristig lud es die Che­f:in­nen der Landesämter zu einer Schalte am Mittwochmorgen, um die Einstufung kundzutun. Danach wurde auch das Parlamentarische Kontrollgremium im Bundestag informiert. Der Geheimdienst sieht mit der Einstufung „gewichtige Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen“ in der Partei – und kann nun auch nachrichtendienstliche Mittel wie V-Leute gegen die AfD einsetzen.

Das sagt die Behörde öffentlich allerdings nicht, dazu hat sie sich gegenüber dem Verwaltungsgericht Köln verpflichtet. Dort hatte die AfD im Januar, als Medien über eine nahende Einstufung berichteten, geklagt: Weder dürfe das Bundesamt eine Einstufung vornehmen noch diese öffentlich kundtun. Die AfD sah darin eine Verletzung der Parteiengleichheit. Das Bundesamt sagte dem Gericht daraufhin zu, eine öffentliche Verkündung zu unterlassen, solange das Gerichtsverfahren läuft. Auch würden bis dahin keine neuen Mandatsträger direkt überwacht. „Mit Blick auf das laufende Verfahren und aus Respekt vor dem Gericht äußert sich das Bundesamt in dieser Angelegenheit nicht öffentlich“, erklärte eine Sprecherin des Bundesamts am Mittwoch auf taz-Anfrage denn auch nur.

Chrupalla dagegen kritisiert die Hochstufung als Eingriff in den freien Wettbewerb demokratischer Parteien mit staatlichen Mitteln. Man werde „mit allen juristischen Mitteln“ weiter dagegen vorgehen. Auf einer anderen Ebene aber dürfte die Entscheidung des Verfassungsschutzes für Chrupalla sogar hilfreich sein – im Machtkampf mit seinem Co-Chef Jörg Meuthen. Dieser hatte gegen den Willen von Chrupalla, Gauland und Fraktionschefin Alice Weidel unter anderem die Auflösung der rechtsextremen Parteiströmung „Der Flügel“ und die Annullierung der Mitgliedschaft des Rechtsextremen Andreas Kalbitz durchgesetzt, um die Beobachtung durch den Verfassungsschutz zu verhindern. Auch hatte Meuthen auf dem jüngsten Parteitag in Kalkar die Parteimitglieder in einer Brandrede, die in den besonders radikalen Teilen der AfD gar nicht gut ankam, zur Mäßigung aufgerufen. Genutzt hat all das nichts – die Einstufung dürfte Meuthen, der innerhalb der Partei ohnehin höchst umstritten ist, intern schwächen.

„Diesem Treiben darf der Staat nicht tatenlos zusehen“

Josef Schuster, Zentralrat der Juden

Das Bundesamt hatte die AfD bereits vor zwei Jahren als „Prüffall“ eingestuft. Der „Flügel“ um Björn Höcke und Kalbitz sowie die AfD-Jugend landeten damals als Verdachtsfall bereits eine Stufe höher. Im März 2020 erklärte der Verfassungsschutz den „Flügel“ dann gar zum vollen Beobachtungsobjekt, zur „erwiesen extremistischen Bestrebung“, vergleichbar mit der NPD. Zudem sind die Landesverbände in Thüringen, Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt bereits als Verdachtsfälle eingestuft. Das Bundesamt hält den „Flügel“, trotz offizieller Auflösung, in der Gesamtpartei weiter für prägend. Sichtbar wurde dies zuletzt in Sachsen. Dort hat sich die Strömung bei der Aufstellung der Landesliste für die Bundestagswahl voll durchgesetzt. So landete gleich hinter AfD-Chef Chrupalla Jens Maier auf der Landesliste, der sagte: „Wer in diesen Zeiten nicht als Rechtsextremist diffamiert wird, der macht irgendetwas verkehrt.“

Der Präsident des Zentralrats der Juden hält die Einstufung der AfD für einen „richtigen und notwendigen“ Schritt. „Die AfD trägt mit ihrer destruktiven Politik dazu bei, unsere demokratischen Strukturen zu untergraben und die Demokratie bei den Bürgern zu diskreditieren“, so Josef Schuster. „Diesem Treiben darf der Staat nicht tatenlos zusehen.“

Ähnlich äußerten sich verschiedene Innenpolitiker. „Es ist gerade vor unseren schlimmen historischen Erfahrungen sehr gut nachvollziehbar, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz die AfD zum rechtsextremen Verdachtsfall erklärt hat“, so der Grüne Konstantin von Notz. In einer Demokratie könnten auch aggressive Feinde des Rechtsstaats gewählt werden. „Und deswegen ist unsere Demokratie eine wehrhafte.“ Benjamin Strasser von der FDP sagte, die Mehrheit der AfD agitiere bei jeder Gelegenheit gegen demokratische Institutionen und mache sie verächtlich. „Die Rechtsextremen haben die Partei schon lange übernommen.“ Und CDU-Innenpolitiker Mathias Middelberg kritisierte, die AfD habe sich „nie eindeutig von Rechtsextremen wie Herrn Höcke distanziert“.

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