Schulöffnungen in der Pandemie: Wettlauf gegen die dritte Welle
Fast überall in Deutschland sind seit dieser Woche Kitas und Grundschulen offen. Kann das gut gehen?
Dennoch ist der Schulleiter einer Saarbrücker Grundschule, der in Wahrheit anders heißt, nach zwei Schultagen im Wechselunterricht zufrieden. Weniger Eltern als befürchtet haben die Notbetreuung wahrgenommen, die im Saarland „angepasstes pädagogisches Angebot“ heißt. Nur etwa ein Drittel der 90 Kinder, die laut Wechselmodell in der ersten Woche eigentlich hätten zu Hause bleiben sollen, sind am Montag in die Schule gekommen, erzählt Münchner am Telefon: „Wären es mehr, würde das Personal nicht ausreichen und die Mindestabstände könnten nicht eingehalten werden.“
Eine Elternabfrage vor zwei Wochen hatte noch ergeben, dass vier von fünf Eltern ihre Kinder auch dann in die Schule schicken wollten, wenn sie laut Wechselmodell eigentlich zu Hause lernen sollten. Doch offensichtlich haben Münchners Appelle an die Eltern gefruchtet, das Angebot wirklich nur wahrzunehmen, wenn es nicht anders geht. Am Dienstag hat sich Münchners Laune weiter gebessert – auch wenn er wieder viel Organisationsarbeit auf sich zukommen sieht. Er hat mit einer Ärztin telefoniert, die bereit ist, die Schnelltests an seiner Schule durchzuführen.
Insgesamt 146 Ärzt:innen stehen auf der Liste, die das Ministerium verschickt hat. Sie unterstützen freiwillig die rund 160 Grundschulen im Land bei den Tests. So lange, bis die Schnelltests für den Eigenbedarf verfügbar sind. Und außerdem begrüßt Münchner wie sein ganzes Kollegium die Entscheidung, Grundschullehrer:innen bei den Impfungen in die Gruppe 2 vorzuziehen. Vorausgesetzt, man nehme niemandem den Impftermin weg, der ihn aus gesundheitlichen Gründen dringender bräuchte.
Die Bundesländer haben nachgerüstet
Frühere Impfungen, regelmäßige Schnelltests, medizinische Masken im Unterricht – die Bundesländer haben im Kampf gegen die befürchtete dritte Welle nachgerüstet. Doch nicht überall läuft es so zufriedenstellend wie im Saarland. Denn die meisten Länder warten mit den regelmäßigen Schnelltests auch für Schüler:innen noch auf die Zulassung, die Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) eigentlich für den 1. März versprochen hatte. Bis sich Schüler:innen bundesweit zweimal die Woche testen lassen können, dürften noch Wochen vergehen.
So auch in Sachsen. Dort sind Kitas und Grundschulen zwar schon seit dem 15. Februar geöffnet. Nur Niedersachsen war bei den Öffnungen früher dran. Doch von regelmäßigen Schnelltests an Schulen ist im Freistaat bislang noch keine Rede. Am Freitag hat das sächsische Kultusministerium zwar Schnelltests für Kitapersonal angekündigt – nicht aber für Grundschulen. Und auch nicht für die Abschlussklassen, die bereits seit Januar wieder Präsenzunterricht erhalten.
Joanna Kesicka hat dafür wenig Verständnis. „Coronatests werden uns nur voranbringen, wenn sie kostenlos, regelmäßig und flächendeckend angeboten werden“, sagt die Zwölftklässlerin, die auf ein Gymnasium in Löbau geht und dem Landesschülerrat Sachsen vorsitzt. Bisher konnten sich Kesicka und ihre Mitabiturient:innen einmal freiwillig testen lassen, direkt nach den Weihnachtsferien. Landesweit nahm nur etwa ein Drittel der Schüler:innen das Angebot wahr. Kesicka begründet das geringe Interesse mit den Testbedingungen.
Die Jahrgänge, die jetzt neu an die Schulen zurückkehren und sich auch einmalig testen lassen können, müssten in vollen Bussen zu sogenannten „Testschulen“ fahren. „Das schreckt ab“, sagt die Schülervertreterin. Zudem hätten einige Schulleitungen die Testzeiten so gelegt, dass sie während des Unterrichts stattfanden. Bei den Abschlussklassen habe das viele davon abgehalten, weil sie dadurch prüfungsrelevanten Stoff verpassten. Kesicka fordert deshalb: „Die Testungen müssen unbedingt außerhalb der Unterrichtszeit stattfinden.“
Schülervertreter:innen fordern Gratis-Hygieneartikel
Trotzdem plädieren die sächsischen Schülervertreter:innen für weitere Schulöffnungen. Zumindest, wenn gleichzeitig die Hygieneschutzmaßnahmen hochgefahren werden. Wenn im März noch mehr Schüler:innen in den Präsenzunterricht zurückkehrten, müssten medizinische Masken und Desinfektionsmittel gratis zur Verfügung gestellt und der Schüler-ÖPNV ausgebaut werden, damit die Ansteckung nicht in überfüllten Bussen erfolge. „Das Letzte, was wir wollen, ist, dass Schulen zum Infektionshotspot werden.“
Besorgt ist auch Viktoria Krause, stellvertretende Schulleiterin an einer Grundschule in Dresden. Denn wie in anderen Ländern ist in Sachsen die Anwesenheitspflicht zwar ausgesetzt, doch nur wenige Eltern, berichtet Krause, betreuten ihre Kinder weiterhin zu Hause. „Die Klassen sind gut gefüllt.“ Das heißt: 24 Kinder sitzen im Unterricht nebeneinander, und zwar ohne Maske. „Abstand zu halten, auch zum Lehrer, ist gerade in den jüngeren Klassen nicht möglich.“ Die Schüler:innen würden nur im Schulhaus Masken tragen.
Am Freitag, bevor die Schule wieder öffnete, kam in letzter Minute die Anweisung aus dem Ministerium, dass es medizinische Masken sein müssen. Die Schulleiterin sei noch losgefahren, um einen Satz zu besorgen, doch das erwies sich als fast unmöglich. „Es gibt für Kinder einfach keine medizinischen Masken in passender Größe auf dem Markt“, berichtet Krause. Also Masken für Erwachsene, die dann so lose säßen, dass es schon grotesk sei. Auch die Anweisung, dass Lehrkräfte nur in einer Klasse eingesetzt werden sollten, sei wegen der vielen Teilzeitstellen an der Schule praktisch nicht umzusetzen.
Krause fühlt sich als stellvertretende Schulleiterin von ihrem Dienstherrn, dem sächsischen Kultusministerium, alleingelassen. Sie will deshalb auch nicht mit ihrem richtigen Namen auftreten. Im Sommer erstellte Pläne mit festen Inzidenzwerten, ab wann Schulen öffnen, Wechselunterricht anbieten und schließen sollten, seien ohne Begründung für obsolet erklärt worden.
Bremer Schulen waren niemals zu
Wie unterschiedlich die Kultusminister:innen mit dem Infektionsgeschehen umgehen, zeigt der Blick nach Bremen. Die Bremer Schulen können nicht wieder öffnen – weil sie nie geschlossen waren. Am 16. Dezember hatte der Senat lediglich die Präsenzpflicht aufgehoben, Eltern konnten für ihre Kinder, Volljährige selbst über den Schulbesuch entscheiden.
Gleichzeitig hatte die Bildungssenatorin Claudia Bogedan (SPD) eindringlich an Eltern von Kindern bis zur sechsten Klasse appelliert, ihre Kinder in die Schule zu schicken – weil es „nicht nur um die Frage der nackten Wissensvermittlung“, sondern „um das gesamte Wohlbefinden“ gehe, wie sie im Interview mit Radio Bremen erklärte.
Das führte dazu, dass nach Angaben der Bildungsbehörde bereits Mitte Januar in den Grundschulklassen im Durchschnitt zwei Drittel der Kinder anwesend waren, in den weiterführenden Schulen ein Drittel. Dabei, so die Senatorin, hatte die Auslastung von Schule zu Schule stark geschwankt: In einigen kamen fast alle Schüler:innen, in anderen nur wenige.
Das hing nach taz-Informationen einerseits mit dem Engagement der Schule zusammen, andererseits mit den sozialen und ökonomischen Verhältnissen. Letztere waren auch beim Kitabesuch ausschlaggebend: Mitte Januar kamen nach taz-Recherchen in den sehr wohlhabenden Vierteln 100 Prozent der Kinder, in den armen beim städtischen Kita-Träger nur 20 bis 30 Prozent in die Einrichtung. Eine Erfahrung, die Eltern auch in anderen Bundesländern machen.
Abstand „nicht mehr so ernst genommen“
Seit 1. Februar findet der Unterricht an Bremer Schulen im verbindlichen Wechselmodell in Halbgruppen statt. Ab dem 1. März besteht in Bremen wieder Präsenzpflicht. Alle Grundschulkinder sollen ab dann wieder in den Unterricht kommen.
In Sachsen sorgt sich Viktoria Krause derweil darum, ob die Maßnahmen zum Infektionsschutz ausreichen. „Die Stimmung im Kollegium ist angespannt. Gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass viele Vorschriften wie Abstand und Händewaschen nicht mehr so ernst genommen werden. Im Lehrerzimmer sitzen dann trotzdem alle zusammen. Formal mit Maske, aber zum Essen nimmt man die auch ab“, erzählt Krause. Ihr wird mulmig, wenn sie an die Zukunft denkt. „Ich glaube, wir werden wieder schließen müssen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Trump erneut gewählt
Why though?
Harris-Niederlage bei den US-Wahlen
Die Lady muss warten
Pro und Contra zum Ampel-Streit
Sollen wir jetzt auch wählen?
Pistorius stellt neuen Wehrdienst vor
Der Bellizismus kommt auf leisen Sohlen
Abtreibungsrecht in den USA
7 von 10 stimmen „Pro-Choice“
Protest in Unterwäsche im Iran
Die laute Haut