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Quote für Mi­gran­t:in­nenEine Frage der Teilhabe

Kommentar von Naika Foroutan

Im öffentlichen Dienst arbeiten kaum Menschen mit Migrationshintergrund. Sie bewerben sich nur selten, werden aber immer noch oft stigmatisiert.

Knapp 5 Millionen Menschen in Deutschland arbeiten im öffentlichen Dienst Foto: Christian Jungeblodt

B erlin wollte einen Sprung machen. Die Linkspartei peilte für den öffentlichen Dienst eine Quote an, damit sich die Vielfalt der Stadt auch in ihrer Verwaltung widerspiegelt. Mehr als ein Drittel aller Ber­li­ne­r:in­nen haben ausländische Wurzeln oder Migrationsbiografien. Im öffentlichen Dienst der Hauptstadt liegt ihr Anteil aber nur bei schätzungsweise 12 Prozent. Die Linken-Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales, Elke Breitenbach, wollte für diese Gruppe eine Quote von 35 Prozent festschreiben, die auch für Landesbetriebe, Gerichte und Staatsanwaltschaften gelten sollte. Doch die SPD sperrte sich dagegen. Manche fürchten, die Forderung würde die Gesellschaft spalten.

Das Gegenteil ist der Fall: Eine Quote für den öffentlichen Dienst würde dazu beitragen, die Spaltung unserer Gesellschaft zu überwinden. Knapp 5 Millionen Menschen in Deutschland arbeiten im öffentlichen Dienst. Er ist damit einer der größten Arbeitgeber des Landes und hat eine Vorbildfunktion. Seine Mit­ar­bei­te­r:in­nen repräsentieren für viele Menschen den deutschen Staat. Doch obwohl gerade der öffentliche Dienst sehr viel mit Menschen mit Migrationsgeschichte zu tun hat – in Schulbehörden, Bezirksverwaltungen, Arbeitsagenturen oder KfZ-Meldestellen –, sind Menschen mit Migrationsgeschichte hier besonders selten beschäftigt. Der sogenannte Diversität- und Chancengleichheit-Survey im Auftrag der Bundesregierung zeigte, dass Menschen mit ausländischen Wurzeln auch in der Bundesverwaltung deutlich unterrepräsentiert sind. In den Behörden sind sie überdurchschnittlich oft nur befristet eingestellt und oft überqualifiziert, sie werden seltener befördert und sind in Führungspositionen kaum vertreten.

Dabei haben 22 Prozent aller Menschen im arbeitsfähigen Alter einen Migrationshintergrund. Bei schulpflichtigen Kindern sind es rund 40 Prozent – in Großstädten noch mehr. Es ist überfällig, dass sie sich angemessen in den Strukturen dieses Landes wiederfinden. Sie würden sich stärker mit dem Staat identifizieren. Gleichzeitig würden Stereotype abgebaut und gezeigt, wie vielfältig Deutschland heute ist. Dafür braucht es eine Quote. Von allein ändern sich Strukturen kaum. Das wissen wir aus den Elitenstudien zu Ostdeutschen, wo sich seit 25 Jahren nichts an der Repräsentation in den Spitzen verändert hat. Dass Menschen mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst unterrepräsentiert sind, hat viele Gründe. Zum Teil mangelt es an Bewerbungen, an Kenntnissen der deutschen Sprache, an der fehlenden Anerkennung ausländischer Qualifikationen. Diverse Studien zeigen aber auch, dass Be­wer­be­r:in­nen mit „ausländisch“ klingenden Namen bei gleicher Qualifikation benachteiligt werden.

In einer repräsentativen Umfrage des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) im Jahr 2019 sprach sich fast ein Drittel der Bevölkerung in Deutschland für Quoten aus. Doch diese Forderung wird derzeit von keiner politischen Partei aufgegriffen – außer jetzt erstmals von der Linkspartei in Berlin. Dabei wäre gerade die SPD berufen, aktiv zu werden. Wenn manche Menschen im öffentlichen Dienst systematisch seltener eingestellt werden, dann widerspricht das Artikel 3 des Grundgesetzes. Das darf die SPD, bei der die Sehnsucht nach Gleichheit zur DNA gehört, nicht akzeptieren.

Quotierung auf Zeit

Menschen mit Migrationshintergrund haben sich in der Coronakrise als „systemrelevant“ erwiesen: als Ärz­t:in­nen und Pflegekräfte, als Paketzustellende oder als Er­fin­de­r:in­nen von Impfstoff. Dennoch werden sie im Durchschnitt schlechter bezahlt, sind häufiger prekär beschäftigt, haben weniger an politischen Entscheidungen teil und werden häufiger pauschal abgewertet. Sich um Vielfalt und Diversität sowie um gerechte und gut bezahlte Arbeit für alle zu bemühen, gehört zusammen. Folgerichtig haben 20 Berliner Gewerkschafter und Betriebsräte die SPD in einem offenen Brief aufgefordert, den Weg für die weiche Quote freizumachen. Warum die SPD offensiv für eine Frauenquote kämpft, aber eine Quote für Menschen mit Migrationshintergrund vehement ablehnt, ist nicht nachvollziehbar.

Eine Politik der Anerkennung von Vielfalt und der gerechten Teilhabe sollte man nicht als Befindlichkeit oder „Identitätspolitik“ stigmatisieren. Sie bietet sich auch aus strategischen Gründen an. Mehr als zehn Prozent der 60 Millionen Wäh­le­r:in­nen haben einen Migrationshintergrund. Diese Zahl wird weiter wachsen. Um diese Wäh­le­r:in­nen müssen alle Parteien glaubwürdig werben. Das konnte man jüngst bei der Oberbürgermeister-Wahl in Hannover beobachten, die der Grüne Belit Onay gewann, den die Mehrheit der Han­no­ve­ra­ne­r:in­nen als qualifiziert empfand, um ihre internationale Stadt zu regieren und zu repräsentieren.

Es stimmt, dass eine Quote auch zu neuen Ungleichheiten führen kann. Eine Frauenquote an Universitäten kann beispielsweise Jungen aus Arbeiterfamilien gegenüber Mädchen aus bildungsbürgerlichen Haushalten benachteiligen. Aber gesellschaftspolitisch dient die Quote auch dem Ziel, soziale Gruppen teilhaben zu lassen, die aufgrund von rassistischen Ressentiments benachteiligt werden. Strukturelle Ungleichheiten, die teils Jahrhunderte alt sind, lassen sich nicht kurzfristig ausgleichen. Frauen, Migranten, Ostdeutsche, Arbeiter können und wollen aber auch nicht weitere Jahrzehnte warten, bis sich ihre soziale Position irgendwann verbessert. Deswegen braucht es eine Phase des Ausgleichs fortwirkender Ungleichheiten. Das ist eine politische Aufgabe.

Eine Quotierung auf Zeit kann eine angemessene Antwort sein. Das kann dazu beitragen, Abstiegs- und Verlustängsten anderer Gruppen – und gesellschaftlichen Spaltungen – entgegenzuwirken. Ist eine Quote erst einmal eingeführt, werden sich viele aufgeregte Debatten schnell wieder legen. Den gesellschaftlichen Frieden würde sie befördern.

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9 Kommentare

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  • 2G
    28476 (Profil gelöscht)

    Ein interessantes aber teuflisches Spiel, man definiert Identitäten Gruppen und fordert Quotenregelung zum „berechtigten Schutz“ derselben.



    Wo soll das Spiel enden...warum ist ungehinderter Zugang auf Basis anerkannter Qualifikation nicht hinreichend??



    Es ist respektlos gegenüber allen die dann gerade nicht in einer Gruppe definiert werden und vielen, die ungefragt für eine Gruppe beansprucht werden. Gut gemeint ist nicht gut gemacht!

  • Die Beschäftigung mit Gesetzestexten, Verordnungen, etc. ist für nicht-Muttersprachler sehr unangenehm. Das kann doch niemanden ernsthaft wundern, dass sich fast nur Muttersprachler in die Amtsstuben bewerben, auch wenn diese Jobs ansonsten sehr attraktiv sind.

    "Dabei haben 22 Prozent aller Menschen im arbeitsfähigen Alter einen Migrationshintergrund." --> Und wie viele davon sind mit Deutsch als Muttersprache aufgewachsen?

  • Repräsentation in der Gesellschaft - insbesondere in Bildung und Forschung - ist wichtig. Allerdings wird durch diese nur bedingt Ungleichheit ausgeräumt. Ungleichheit ist das Spiegelbild von gesellschaftlichen Hierarchien. Das Tauschen von Personen in Positionen ändert nichts daran, dass ein großer Teil der Einkommen in der Gesellschaft an diese Positionen geknüpft wird und ebenfalls hierarchisiert wird. Hinzu kommen Einkommen, die aus Vermögen generiert werden und aus dem Sozialsystem zugeteilt werden. Wollte mensch materielle Ungleichheit ändern, ginge es um die Angleichung all dieser Einkommen und im sozial radikalen Sinne um das Stellen der Verteilungs-/Eigentums-/ Systemfrage. Ein anderer Aspekt ist das Aufbrechen von institutioneller/sysemischer Diskriminierung. People of Color können kaum allein Veränderungen bewirken, da sie nur einen Teil in den Institutionen ausmachen würden und ihr Handeln von übergeordneter Politik/Gesetze/Verordnungen umrahmt/bestimmt wäre. Hier geht es auch um die Veränderung der Politik, gesellschaftlichen Regeln und Verhältnisse. Neben Quotierungen muss also einiges mehr passieren.

    • @Uranus:

      *und die aus dem Sozialsystem zugeteilt werden.

    • @Uranus:

      Aber die Quotierungen sind definitiv ein erster richtiger und wichtiger Baustein, will man institutionelle/systemische Diskriminierung bzw. Rassismus eindämmen.



      Auch die Institutionen ändern mit Vielfalt ihre Handlungsweisen. Das gilt auch für die Frauenquote. So ist bekannt, dass Bordellreisen zu Lasten der Aktionäre von ganzen Vorstandsabteilungen unterblieben wären, wenn die Hälfte der Vorstände weiblich gewesen wäre.

      • @Nico Frank:

        Das will ich nicht bestreiten bzw. habe ich nicht bestritten. Wie ich schrieb, muss da mehr passieren, ansonsten sind es dann doch "bloß" wenige People of Color, deren Chancen erhöht werden, nicht aber die aus der Arbeiter*innenschicht egal ob weiß oder Schwarz. Ein weiterer einflussreicher Aspekt ist die politische Agenda der quotierten Personen. Merkel hat für Frauen nicht so viel verbessert, wie es ein*e Feminist*in getan hätte. Ein anderes Beispiel ist Obama, der für seine Politik durchaus von Schwarzen kritisiert worden ist - dafür, dass er bspw. Rassismus in Teilen ignoriert habe.

  • 9G
    91655 (Profil gelöscht)

    Vieles richtig, aber eine Quote wird solange nicht funktionieren , wie es an Bewerbungen mangelt ... die Anerkennung eines Berufsabschlusses aus dem Ausland wird bei benötigten verwaltungsrechtlichen Arbeitsinhalten sicherlich besonders schwierig sein ...

    Das eine tun, heißt ja nicht das andere sein lassen, also ... bilden und bewerben, bilden und bewerben!

  • Nun, immer mehr junge Menschen möchten für den öffentlichen Dienst arbeiten.

    Dieser hat die Autoindustrie als frühere Präferenz längst abgelöst. Logisch, die jungen Leute wissen genau, dass die kommende Digitalisierung einen Großteil der repetitiven Jobs (und welche sind das nicht?) löschen wird. Alternativen sind kaum in Sicht.

    Der öffentliche Dienst, vor allem Beamtenjobs, werden zu einer heiß umkämpften Ware werden.

  • Also in den USA gibt es solche Quoten seit Jahrzehnten und nein die Debatten enden deswegen nicht automatisch mit der Zeit. Quoten sind auch so gut wie nie nur vorübergehend. Einmal eingeführt ob auf Zeit oder nicht wird es fast unmöglich da wieder auszusteigen. Ist ein bißchen wie beim Mietendeckel in Berlin. Keiner glaubt an ein Ende nach 5 Jahren. Das wird nur zur Beruhigung behauptet.