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Brief an einen alten weißen Freund„Wir haben doch viel Glück gehabt“

Eine alte weiße Frau schreibt einen Brief an einen alten weißen Mann und Freund – der nach rechts driftet und den das Altmänner-Bashing nervt.

Vielleicht landet unsere Autorin dort auch mal: Bei den Omas gegen Rechts Foto: Jannis Grosse/imago

Lieber Winfred,

der Abend neulich mit uns beiden ist in die Hose gegangen, ich habe mich hinterher mies gefühlt. Dabei hatte ich mich darauf gefreut, Dich nach längerer Zeit mal wiederzusehen. Ich bin jetzt, mit gut über 60, in dem Alter, in dem man froh ist, wenn möglichst viele von früher noch leben.

Wir beide hatten ja früher nicht nur unsere Affäre, die ohne Blessuren endete, sondern redeten auch ständig über Politik. Ich erinnere mich noch, wie wir mit Deiner Moto Guzzi zur Anti-Reagan-Demo fuhren. Nato-Doppelbeschluss, 80er Jahre. Wir hielten uns auf der Demo Taschentücher vor Mund und Nase, mit Zitronensaft getränkt, das sollte gegen das Tränengas helfen. Du hast in einem Brief an die Bundesregierung gegen das Wettrüsten protestiert. Dann, in einem besetzten Haus, hielten wir bei null Grad zusammen Nachtwache. Wir waren beide links und lustig. Wir spielten in einer Band, Neue Deutsche Welle, ich textete: „auch das Mittelmaß macht Spaß“. Cool, eigentlich.

Jetzt sind wir beide alt, Du und ich. Du bist ein alter weißer Mann und ich eine alte weiße Frau. Eigentlich wird immer uns alten Frauen nachgesagt, wir müssten todunglücklich sein mit dem Altwerden, von wegen Falten und gesellschaftliche Unsichtbarkeit und so. Aber ich habe inzwischen andere Probleme, die Lebenszeit ist begrenzt, Tote sind zu beklagen, und ich habe keine Zeit mehr, mich mit jedem Quatsch zu beschäftigen.

Bei Dir allerdings, da verstehe ich was nicht. Du hast doch alles, was Du wolltest: Erfolgreiche Firma, ein Haus in Lichterfelde, zweite Frau, eine zweite Schicht Kinder (Du weißt, dass ich die Althengst-Nummer ein bisschen verachte, aber egal). Warum stehst Du jetzt so unter Druck?

Warum lässt Du jetzt diese Sprüche los, von wegen dass das alles schwer übertrieben sei in den öffentlichen Debatten, mit den Gendersternchen, mit dem Schwulen-Lesben-Trans-Gerede, dass manche Leute überall nur noch Rassismus witterten, dass der Islam als Religion hochgefährlich sei und immer viel zu viel vom Staat erwartet würde, dass Immobilienbesitzer als die letzten Schweine verhetzt würden?

Dann hast Du behauptet, die Migranten seien besonders lax mit den Coronaregeln, neulich seist Du U-Bahn gefahren und da hatten wieder mal drei türkische Jungs keine Masken auf, typisch sei das gewesen. „Aber das darfst Du nicht laut sagen“, meintest Du, „sonst giltst Du als missmutiger alter weißer Mann. Alter weißer Mann! Mit diesem Klischee bist Du erledigt.“

Du hast doch alles, was Du wolltest: Karriere, Kinder, Haus. Warum stehst Du so unter Druck?

Ich hab natürlich dagegengehalten. Ich hab an diesem Abend für uns beide gezahlt, das war mir wichtig und wir sind früh auseinandergegangen. Danach war ich sauer und traurig.

Denn eigentlich hattest Du immer auch großzügige und kluge Seiten gehabt. Für die Flüchtlingsfamilie, die Gesine betreute, hast Du viel gespendet. Nach meinem Unfall hast Du mir Blumen ins Krankenhaus geschickt. Du hattest Auschwitz besucht, genau wie ich, das Thema Nationalsozialisten in der Familie, das war und ist ein großes Thema gewesen. Du hast viele ausländische Bekannte, auch durch den Job. Dein Sohn hat eine indischstämmige Freundin.

Klar bist Du ein alter weißer Mann. Und ich will nicht verhehlen, dass das Bashing alter weißer Männer auch einen Hauch Schadenfreude bei mir hervorruft, vielleicht, weil ich die Exklusion wegen Alters als Frau schon kenne. Aber deswegen fühle ich mich auch unwohl damit. Denn Alten-Ba­shing und Weißen-Bashing und Hetero-Bashing ist Biodiskriminierung. Leute pauschal zu dissen wegen Persönlichkeitsmerkmalen, die unveränderbar zu ihnen gehören, also na ja. Da wird ein Spieß umgedreht.

Ich empfinde als alte weiße Frau diesbezüglich also sogar eine gewisse Solidarität mit Dir, Winfred, als alter weißer Mann. Obwohl ich wahrscheinlich andere Alterskonzepte habe als Du. Wahrscheinlich werde ich irgendwann bei den „Omas gegen Rechts“ andocken und an sonnig-kalten Tagen auf der Straße Stolpersteine putzen, eine coole Beanie auf dem Kopf. Ein Bild, das mir gut gefällt.

Irgendwie denke ich immer noch, Deine fixe Idee mit den Migranten, die an allem schuld sein sollen, und Dein Verfolgungswahn als alter weißer Mann, davon wirst Du auch wieder loskommen. Wir haben doch viel Glück gehabt im Leben. Vielleicht sind die andern jetzt auch mal dran, auch die Jüngeren. Vielleicht ist es auch eine Entlastung, nicht mehr so viel reden zu müssen. Also Winfred, vielleicht kommen wir wieder zueinander. Vielleicht auch nicht.

Wir sprechen uns wieder, aber nicht vor Herbst.

Herzliche Grüße

Barbara

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9 Kommentare

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  • Mit nochmaligem Nachdenken möchte ich Barbara Dribbusch noch einmal ausdrücklich danken für die klugen Fragen, die sie in den Raum gestellt hat: Wo stehe „ICH“ in Anbetracht meiner Lebensgeschichte heute, wo stehst „DU“ diesbezüglich? Und wohin bewegen wir uns im Hinblick auf eine gemeinsame linke Vergangenheit? Was an unserem „Links Sein“ gestern und heute war und ist Gefühl, was Sehnsucht (nach Gemeinschaft in einer „Community“), was war/ist (angeknackste?) Attitüde und Habitus und um welche Sachfragen ging es und geht es jetzt? Alleine die Überschrift: „Wir haben doch viel Glück gehabt!?“ ist eine Fundgrube für Deutungen und Interpretationen. Geht die Debatte weiter? Beim TAZ-LAB?

  • Man sollte jedes Gerede vom "alten weißen Mann" beenden. Sätze, die diese Phrase als Subjekt haben, sind allesamt Blödsinn (jedenfalls hab ich noch keinen vernünftigen gelesen).

    Wir sollten alle endlich Verantwortung übernehmen für das, was wir über andere sagen. Und diese Forderung ist nicht moralisierend, Frau Schwan, sie ist moralisch. Das Herabsprechen auf oder Hinwegsprechen über andere ist unanständig.

  • Kommentar entfernt. Bitte beachten Sie die Netiquette.

    • @Wunder Wunder:

      "schmierige sexistische und rassistische Muster"

      Ihnen fällt ja auch nichts ein, außer Kot zu werfen.

  • Dass ausgerechnet Alte und Weiße (die über 60jährigen Wähler) einen Sieg der AfD bei der Landtagswahl in Thüringen 2019 verhindert haben, ist bekannt?



    www.tagesspiegel.d...r-60/25160270.html



    Ihr seid OK, Boomer!

  • Hmm, kann ja sein, dass ich was nicht mitbekommen habe, aber um wen geht es eigentlich? Wer ist der Herr Winfred?

  • Dachte - Wer mal ne Guzzi (&mit)fuhr.



    Kann kein ganz schlechter Mensch sein.



    & Däh! the normal shit - a gähn - 🥳 =>



    “ zweite Frau, eine zweite Schicht Kinder (Du weißt, dass ich die Althengst-Nummer ein bisschen verachte, aber egal).“ Ooch nö! & Ich Sie. Wie karo ♦️ gestrickt - Wersteste. Ist das denn?



    Beschwer mich ja nicht. But. Daß es Geschlechtsgenossinen gibt. Die das hartnäckig genau anders rum sehen?



    “Falscher Fuffzier!“ usw usf & dann ihre verpaßt-vertrocknete Missgunst! Help.



    Wie schäbbig. Meine Großen - wie mein Jüngster würden ehna aufs Dach steigen



    Unreflektierter Mumpitz. Nothing else.



    &



    Im übrigen - zu Briefen di Säuernis & entre nous: No comment.



    &



    Ansonsten ihr euch alt gebenden60er - ein Rat als middel70er.



    Kommt nach Kölle. Da seid ihr noch mit 90 - “Junge Dame bzw Junger Mann - was darfs denn sein?!“ Na Si‘cher dat. Dat wüßt ich ever. Da mähtste nix.



    Normal.

  • Wenn man genau hinsieht, ist dieser Brief ein immens wichtiger Diskursbeitrag.

    Man müsste mal darüber nachdenken, ob die Winfrieds, die die Autorin als links definiert und die einer Welt mit weniger Rassismus und mehr Offenheit gegenüber sexuellen Identitäten vermutlich grundsätzlich positiv gegenüberstehen, nicht mitgenommen werden.

    Warum sich solche Menschen abgedrängt fühlen.

    Und warum aktuell der öffentliche Diskurs darauf verzichtet, solche Leute mitzunehmen.

    Ohne der Autorin zu Nahe treten zu wollen – der Artikel erweckt nicht den Eindruck, sie selbst fühle sich mitgenommen. Sie geht nur positiv mit ihrer Resignation um.

    Hat sich denn Winfried früher wirklich an Schwarzen-Bashing oder Homosexuellen-Bashing beteiligt?

    Wenn nicht, dann gibt es auch keinen Spieß, der jetzt umgedreht wird.

    • @rero:

      Auch ich finde den Beitrag lesens- und nachdenkenswert. "Wir zwei waren links" ist ja eher eine Gefühlsaussage, die Basis sein kann/soll für einen guten Flow beim gemeinsamen Kneipenbesuch. Was aber heisst "links sein" unter Berücksichtigung von Sachthemen - früher und heute? Was früher beim Rotwein "Waffen für El Salvador" unumstritten? Was ist heute umstritten? Nato-Mitgliedschaft? Blauhelmeinsätze? Können alte weisse Männer auch eigene Meinungen haben ohne frustriert oder zur AFD abgerutscht zu sein?