Art Weekend Mumbai: Nach Antwort in den Sternen suchen
In Südmumbai hat sich die zeitgenössische Kunstszene angesiedelt. Dort findet das jährliche Mumbai Art Weekend statt. Dieses Jahr online und vor Ort.
Wer in Mumbai Kunst sehen möchte, muss sich nicht unbedingt in den Süden, die alte Inselinnenstadt, begeben. Aber eine Fahrt lohnt sich: Hier finden sich alte Kulturinstitutionen wie das Chhatrapati-Shivaji-Museum, das bereits zwei Pandemien – die Spanische Grippe 1918 und nun Corona – überstanden hat. Der einstige Charme der heute 20 Millionen Einwohner starken Stadt, der in der Hektik des Straßenverkehrs oft untergeht, wirkt hier immer noch nach.
Seit vielen Jahren hat sich in Südmumbai die zeitgenössische Kunstszene angesiedelt, was 2012 auch zur Idee des Mumbai Gallery Weekends (MGW) geführt hat. Die Kombination von Architektur und Kunst in atemberaubenden Räumlichkeiten, dazu der Blick auf das berühmte Taj Hotel, verleiht dem Rundgang einigen Reiz. In dieser Umgebung gewinnen die geometrischen Fliesenarbeiten von Lubna Chowdhary bei Jhaveri Contemporary noch einmal an Strahlkraft.
Allerdings ist das alte Stadtzentrum seit neun Monaten von den Vororten abgeschnitten, in denen die jüngere Generation der Kreativschaffenden lebt. Die Lebensader der Stadt, die S-Bahn, ist seit vergangenem Frühjahr nur eingeschränkt nutzbar und die Autofahrt Richtung Inselarchipel durch noch vollere Straßen schreckt ab.
Die Galeristin Tara Lal (Chatterjee & Lal) ist Mitinitiatorin des MGW, das Ende Januar begann. Ihr gelang es in zweimonatiger Vorbereitung trotz der schlechten Wege zum ersten Kunstwochenende, das seit Ausbruch der Coronapandemie stattfinden kann, Kunstliebhaber und -schaffende im historischen Stadtzentrum zusammenzubringen. 22 Galerien nahmen teil und organisierten neue Ausstellungen in ihren Räumen. Eine Pop-up-Location wurde vom Innenarchitekten der Bollywoodstars, Ashiesh Shah, mit formschönen und funktionalen Sitzmöbeln und Vasen in Mondform bestückt. Für ein paar Tage wurde so ein ehemaliges „Fine Dine“-Restaurant zur „Fine Art“-Bühne indischer Handwerkskunst, die auf moderne Ästhetik trifft.
Teuerste Ausstellungsräume der Metropole
Alte knarzende Holztreppen führen zu Ausstellungsräumen, die inzwischen zu den teuersten der Metropole gehören. Im ersten Stock eines alten Hauses befindet sich Mirchandani + Steinruecke. Als Galeristin Ranjana Steinruecke 2006 in die Räume zog, war das Viertel Kala Ghoda (Schwarzes Pferd) zwar für sein Flair bekannt, aber die Straßen waren längst nicht so aufgeräumt. Derzeit bespielt Steinruecke ihre Wände unter anderem mit vier Arbeiten von Anita Dube, die aus Miniaturaugen warnende Worte des Widerstands zusammensetzt und auf die Ungleichheit in der Gesellschaft aufmerksam macht. Damit reagiert Dube auf ihre unmittelbare Umwelt.
Vielen sitzt der harte Lockdown in Indien noch in den Knochen und das Leid, das er Hunderttausenden Wanderarbeitern brachte, die hastig versuchten, die Städte zu verlassen.
Das Mumbai Gallery Weekend findet seit 2012 jährlich Ende Januar und Anfang Februar statt.
Nach dieser Zeit wieder zu öffnen, darauf haben viele gewartet. Für Steinruecke darf das ruhig langsam geschehen. Die Begrüßungen waren herzlich, doch auf Distanz. Dass in diesem Jahr keine ausladenden Partys stattfanden, hat sie nicht vermisst. Stattdessen kommt bei vielen Künstler:innen und Galerist:innen mehr Technik zum Einsatz. „Früher haben wir uns davor gescheut, heute führen wir mit Zoom durch die Räume“, sagt sie und möchte das beibehalten.
Besonders aktiv ist die Galerie Tarq („Dialog“), die in den vergangenen Monaten online zahlreiche Gesprächsrunden initiiert hat und deren aktuelle Ausstellung ebenfalls online zu sehen ist. Sie zeigt die zweite Einzelausstellung von Rithika Merchant, „Geburt einer neuen Welt“. Die Serie von Aquarellen und Collagen wirkt in den alten Mauern des Ausstellungsraums stärker als vor einem Computerbildschirm.
Merchant, die in Mumbai aufwuchs, arbeitet bereits mit dem Modehaus Chloé zusammen. In ihren Bildern, die sich mit der antiken Vorstellung von Zeit beschäftigt, sucht sie nach Antworten in den Sternen. Dafür greift sie Figuren und Symbole auf, die an die ägyptische Mythologie, aber auch an hinduistische Gottheiten erinnern.
Street-Art von Tyler, provokante Graffiti
In der Kunstszene haben einige die Zeit für neue Projekte genutzt. Sahil Arora eröffnete trotz Pandemie vor ein paar Monaten im Vorort Bandra das Kunstcafé Method als Ergänzung zur Hauptgalerie, die sich im Kunstviertel Kala Ghoda befindet. Im Café zeigt er vor allem Fotografie und grafische Arbeiten. Der Ableger in Südmumbai hat sonst einen anderen Schwerpunkt, aber derzeit ist in beiden Räume Street-Art des Künstlers Tyler zu sehen. Seine Forderungen wie „Freiheit (azadi)“ und „smash patriarchy“ hat er nicht nur auf (Lein-)Wände gesprüht, sondern auch in Ziegelsteine gemeißelt.
Da Tyler oft nur mit schwarzen Umrissen in Schablonenoptik und wenig Farbe auskommt, hat er wohl den Spitznamen „Mumbais Banksy“. Wie er hält auch Tyler seinen Namen geheim. Seine provokanten Graffiti, die sich seit einem Jahrzehnt auf Mumbais Straßen finden, haben ihm eine große Fangemeinde in den sozialen Medien verschafft.
Weitere junge zeitgenössische Künstler wie Sajid Wajid Shaikh (Art + Charlie), Shilo Shiv Suleman (Art Musings) oder Prashant Pandey, der Marmorstücken, Überbleibsel von Steinbildhauern aus Jaipur, in Form eines überdimensionalen Beckenknochens in der Maskara-Galerie neues Leben einhaucht, sind ebenfalls noch für eine Weile in Mumbai zu sehen und darüber hinaus auf Instagram dokumentiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!