piwik no script img

ZDF-Mehrteiler „Tod von Freunden“Idylle über Bord

Der Mehrteiler „Tod von Freunden“ erzählt spannungsreich, wie eine deutsche und eine dänische Familie nach einem Segelunfall zu zerbrechen drohen.

Tragisches Ereignis: Jakob Jensen (Thure Lindhardt, r.) rettet Karl Küster (Anton Petzold, l.) Foto: ZDF und Letterbox/Thorsten Jander

Nachts fährt auf hoher See ein Segelboot. Von dieser Luftaufnahme aus ein Schnitt zu einer unter Wasser gedrehten Einstellung, in der ein menschlicher Körper ins Meer fällt und versinkt. Mit dieser kurzen Sequenz beginnen alle acht Folgen der ZDF-Serie „Tod von Freunden“. Denn mit diesem Sturz verändert sich alles für die zwei Familien, von denen der Regisseur und Drehbuchautor Friedemann Fromm hier erzählt.

Mit Kjell, dem Sohn von Sabine und Bernd, geht auch die Utopie über Bord, die diese acht Menschen bis dahin gelebt haben. Zwei Ehepaare mit jeweils zwei halbwüchsigen Kindern haben sich auf einer kleinen Insel in der Ostsee eine Idylle geschaffen. Zwei von ihnen wollen sich dort als Künstlerin und Künstler verwirklichen: Sabine als Tänzerin und Jakob als Maler. Bernd und Charlie verdienen das nötige Geld mit ihrem Architektenbüro auf dem Festland. Ihre Kinder Cecile, Emile, Karl und Kjell sind zweisprachig in dieser paradiesischen Isolation aufgewachsen.

Doch dann hat das dänische Paar Jakob und Charlie mit den vier Jugendlichen einen nächtlichen Segeltörn gemacht. Sabine und Bernd hatten ihnen ihre Kinder anvertraut, und was dann passierte, bleibt lange ein Rätsel. Alle machen sich selber und den anderen Vorwürfe und die Situation entwickelt sich noch dramatischer, weil Kjells Bruder Karl Autist ist und am meisten unter dem Unfrieden leidet, der sich schleichend unter den Be­woh­ne­r*in­nen der Insel ausbreitet.

In acht jeweils einstündigen Episoden lotet Friedemann Fromm die Tiefen seiner acht Prot­ago­nis­t*in­nen aus. Und um ihnen allen gerecht zu werden, steht jede und jeder von ihnen im Mittelpunkt einer ganzen Folge. Dabei erzählt Fromm jeweils weitgehend, aber nicht ausschließlich aus ihrer Perspektive. Es werden auch Szenen gezeigt, in denen die jeweiligen Hand­lungs­trä­ge­r*in­nen selber nicht anwesend sind und von denen sie auch nicht wissen können.

Mit jeder Episode beginnt auch ein neuer Erzählstrang, durch den das Familiendrama noch komplexer und tragischer wird

Dies ist also keine Neuinterpretation des japanischen Spielfilms „Rashomon“, des Klassikers des multiperspektivischen Erzählens. Hier wie dort wiederholen sich viele Szenen in den verschiedenen Episoden und der Kameramann Ralf Noack hat sie jeweils in anderen Bildern aufgenommen, die dem Gemütszustand der Hauptfigur entsprechen. Doch das Familiendrama fächert sich mit der Zeit in verschiedene Facetten auf und es gibt einen dramaturgischen Hauptstrang, der chronologisch erzählt wird: Beim Anfang jeder Episode geht es erst zwei Schritte zurück und dann wieder drei Schritte nach vorne.

Das ist spannend inszeniert und mit jeder Episode beginnt auch ein neuer Erzählstrang, durch den das Familiendrama noch komplexer und tragischer wird. Die Jugendlichen sind in Drogengeschichten verwickelt, die beiden Brot­ver­die­ne­r*in­nen sind so erfolgreich mit ihren Entwürfen, dass sie in New York Karriere machen können und wollen. Und ein plötzlich aufgetauchter Bruder von Jakob rührt an dunkle Geheimnisse aus der gemeinsamen Vergangenheit der vier Freund*innen, die sie mit Schüssen auf einen Polizisten in Deutschland in Verbindung bringen. Aber Fromm verzettelt sich nicht in diesen vielen Nebengeschichten und so bleibt immer die Kernfrage im Fokus: Was ist mit Kjell passiert?

Friedemann Fromm ist selber leidenschaftlicher Segler und macht mit seinen Kindern und deren Freun­d*in­nen oft Segelausflüge auf der Ostsee. Da liegt das „Was wäre wenn?“ nah, das ihn zu seinem Drehbuch inspiriert hat. Und weil er sich in beide Rollen so gut einfühlen kann – in jenen, der für die Kinder anderer verantwortlich ist, wie auch in jenen, der sich um seine Kinder sorgt –, wirken die Konflikte, die er die Figuren durchleiden lässt, immer nachvollziehbar und glaubwürdig.

Auf einer anderen Ebene erzählt er hier aber auch von dem dänisch-deutschen Verhältnis an der gemeinsamen Grenze, das er ein „Paradebeispiel für europäische Versöhnung“ nennt. Lange war diese Grenze offen und die dänische Minderheit in Schleswig-Holstein war perfekt integriert. Doch dann veränderte die sogenannte Flüchtlingskrise alles und sehr schnell gab es wieder Kontrollen an der Grenze.

Der Spannungsbogen der immerhin acht Stunden langen Serie hält auch deshalb so lange, weil Regisseur Friedemann Fromm deren Mikrokosmos sehr authentisch und vital gestaltet hat. Das Leben auf der Insel stellt er detailreich und ohne Klischees dar. Gedreht wurde auf einer der Ochseninseln in der Flensburger Förde, die kurz nach den Dreharbeiten renaturiert wurde, sodass dort die alten verlassenen Gebäude, Bootsanleger und andere Anlagen genutzt und umgebaut werden konnten. Und die Dar­stel­le­r*in­nen mussten zum Teil hart trainieren, um glaubhaft die Tätigkeiten auszuüben, durch die ihre Figuren definiert werden.

So hat Katharina Schüttler, die in der Rolle der Sabine als Choreografin arbeitet, für diese Rolle professionell tanzen gelernt. Und Jan Josef Liefers, der als Bernd ein Kajakpoloteam trainiert, musste so gut mit dem Kajak umgehen können, dass er vor der Kamera in einer ungeschnittenen Einstellung eine Eskimorolle machen konnte, er also auf der einen Seite unter- und auf der anderen wieder auftauchte.

Für die Rolle des autistischen Karl hat der damals 15-jährige Anton Petzold sich durch Gespräche mit einer Therapeutin vorbereitet, und er konnte viele Gesten und Zwangshandlungen bei einem autistischen Freund abschauen. Das dänische Paar spielen die bekannten dänischen Filmstars Lene Maria Christensen und Thure Lindhardt. Und natürlich wurde zweisprachig gedreht.

Die Serie

„Tod von Freuden“, achtteilige Miniserie, ZDF, je eine Doppelfolge Sonntags, 22.15 Uhr. In der ZDF-Mediathek sind alle Episoden in der Originalversion verfügbar.

Wer da mit wem jeweils deutsch oder dänisch spricht, wann zwischen den Sprachen gewechselt wird und warum es etwa auf eine Frage in der einen Sprache eine Antwort in der anderen gibt, wurde von Fromm präzise inszeniert, so bekommt die Serie eine subtile zusätzliche Dimension.

Doch Fern­seh­re­dak­teu­r*in­nen hassen Untertitel, und so wird die Serie vom ZDF im linearen Fernsehen in Doppelfolgen an vier Sonntagen in einer platt-synchronisierten Fassung gesendet. In der ZDF-Mediathek sind dann alle acht Folgen in den Originalversionen zu sehen. All jene, die es gewohnt sind, am Sonntagabend kurz nach 22 Uhr ihren Krimi im ZDF zu sehen, sollen nicht durch Untertitel irritiert werden – während den Nut­ze­r*in­nen der ZDF-Mediathek ein etwas anspruchsvollerer Medienumgang zugemutet wird.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Vielen Dank für die ausführliche Besprechung, gut beschrieben und nicht zuviel verratend. Von zwei Sachen war ich allerdings irritiert für einen Artikel in der taz: "Zwei von ihnen wollen sich dort als Künstlerin und Künstler verwirklichen: Sabine als Tänzerin und Jakob als Maler. Bernd und Charlie verdienen das nötige Geld mit ihrem Architektenbüro auf dem Festland" und von der sogenannten - Zitat - "Eskimorolle". Stereotype Beschreibungen von Künstler*innen und Partner*innen, die dann aber das nötige Geld verdienen - das ist sicherlich ein Thema in dieser Serie, hätte ich mir hier in einer Kritik differenzierter betrachtet gewünscht; und es gibt das Wort "Kenterrolle", mit dem man wunderbar den benutzten rassistischen Begriff hätte vermeiden können.