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Entschuldigungen sind politischDie Vermessenheit der Welt

Entschuldigungen haben in Deutschland oft den Charakter von Ausreden. Dabei sollten sie dazu dienen, Schuld einzugestehen und daraus zu lernen.

Demonstration gegen die Kolonialgeschichte und die Aneignung afrikanischer Kulturgüter in Berlin Foto: Stefan Boness/Ipon

I ch hatte mal eine Lehrerin namens Frau E. Sie kannte sich gut mit Entschuldigungen aus, weil sie auch Sport unterrichtete. Einmal stellte sie sich vor die Klasse und erklärte, dass wir uns faktisch nicht selbst entschuldigen könnten, auch wenn wir volljährig seien.

Im Grunde müsse man nämlich um Entschuldigung bitten, das habe eine Entschuldigung im Wesentlichen an sich. Damals verdrehten wir über Frau E. die Augen. Heute gehört ihr Hinweis zum Wichtigsten, das ich je gelernt habe.

Es ist lächerlich, wie in Deutschland mit Entschuldigungen umgegangen wird. Das beginnt mit dem Unvermögen vieler, sie überhaupt in Erwägung zu ziehen und reicht bis zum Irrglauben, eine Entschuldigung sei das gleiche wie eine Konsequenz. Dabei sind ehrliche Entschuldigungen von Herzen toll – sie mögen nicht die Lösung sein, aber können etwas bedeuten, auch politisch.

Ein Bundeskanzler kann in Warschau auf die Knie fallen. Eine Ministerin kann nach einem rassistischen Attentat Angehörige umarmen. Das kann etwas bedeuten. Aber Gesten der Entschuldigung sind nicht Medizin, sondern Versprechen. Sie sind nicht die Befreiung von Schuld – die Ent-schuld-igung – sondern Anerkennung von Verantwortung und Zusage von Konsequenzen. Ob sie etwas wert sind, zeigt sich nicht bei der Performance, sondern danach.

Leidtun reicht oft nicht aus

In Deutschland entschuldigt man sich oft auf unerträgliche Weise für rassistische Sprache und Rassismus. Unerträglich, weil es sich häufig um Ausreden statt ehrlicher Entschuldigungen handelt. Unerträglich, weil selbst eine echte Entschuldigung oft als Ende, nicht als Anfang einer Debatte verstanden wird.

Wenn jemand ruft „Es tut mir leid!“ und viele antworten „Stark, danke!“, will ich zurückrufen, dass das nicht der Punkt ist. Dass wir längst wissen, dass der Anstand einzelner nicht gleich zum Anstand des Systems führt. Ich bin nicht wütend über jemanden, der mal einen Fehler macht. Ich bin wütend über die gewollte Wiederholung struktureller Hässlichkeiten, die ohne Veränderung bleiben. Über das falsche Framing, das niemanden voran-, aber alle auseinanderbringt.

Die Vermessung der Welt war stets auch Vermessenheit der Leute mit den Maßbändern. Die Vermessenheit derer, die jahrhundertelang kartierten und kategorisierten. Die sich selbst „Entdecker“ nennen, aber nicht erlauben, dass man sie Verbrecher ruft. Die weiter jedes Wort in ihre Münder stopfen – nicht, weil es wertvoll ist, sondern weil sie glauben, es gehöre ihnen.

Es ist nicht überraschend, dass jene Ver­mes­sungs­fe­ti­schis­t:in­nen es nicht ertragen, nach anderen Maßstäben als den selbst entworfenen beurteilt zu werden. Nicht in einem Land, das seine historischen Verbrechen nicht hinreichend aufgearbeitet hat, und vor den gegenwärtigen mit einem „sorry“ Augen, Ohren und Herzen verschließt. Alles zu. Bloß die Münder bleiben offen und sagen weiter Unsägliches.

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Lin Hierse
taz-Redakteurin
Lin Hierse ist Redakteurin der wochentaz und Schriftstellerin. Nach ihrem Debüt "Wovon wir träumen" (2022) erschien im August ihr zweiter Roman "Das Verschwinden der Welt" im Piper Verlag.
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2 Kommentare

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  • Es war doch erst vor kurzem, dass sich Woelki entschuldigte, dass die Gläubigen soviel Kritik an ihm ertragen müssten. Das hat der ernst gemeint. Und der Tagesschausprecher hat das vorgelesen, als seie das eine richtige Entschuldigung. Darauf kam ich echt nicht klar.

  • Danke!