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Corona-Impfstoff in der EUVon der Leyen am Pranger

Es gibt Redebedarf, doch die EU-Kommissionspräsidentin will sich nicht äußern. Der Vorwurf des Nationalismus wird laut.

Wie viel deutsche Interessen fließen in von der Leyens EU-Politik? Foto: Olivier Matthys/ap

Ein Interview mit dem ZDF brachte das Fass zum Überlaufen. Am Sonntagabend, zur besten Sendezeit, stellte sich Ursula von der Leyen den Fragen im „heute journal“. Trotz der Lieferengpässe bei Corona-Impfstoffen sei man „gut vorangekommen“, sagte die Chefin der EU-Kommission. Inzwischen seien 12 Millionen Menschen in der EU geimpft worden, das sei eine „stattliche Zahl“.

In Berlin fand das Gespräch wenig Beachtung. Umso mehr Wirbel verursachte der Fernsehauftritt in Brüssel. Am Montag beschwerten sich viele EU-Korrespondenten beim Pressebriefing: Wieso richtet sich die Präsidentin der EU-Kommission bei so wichtigen Fragen wie der Impfstoffkrise nur an die deutsche Öffentlichkeit, warum steht sie nicht auch ausländischen Medien Rede und Antwort? Warum wurden keine Fragen zum Eklat um Nordirland gestellt, wieso dreht sich alles nur um Berlin und den deutschen Impfgipfel?

Von der Leyens französischer Sprecher Eric Mamer hatte große Mühe, Antworten zu finden. Natürlich werde seine Chefin auch europäischen Medien Interviews geben, sagte er. Als Nächstes sei Le Monde an der Reihe. Und der Streit um Nordirland, wo die EU-Kommission zunächst Ausfuhrbeschränkungen für das Vakzin von AstraZeneca angekündigt hatte, was zu einem Aufschrei der Empörung führte, sei doch längst beigelegt. Man habe einen Fehler gemacht, ihn jedoch schnell wieder korrigiert.

Schon als Bundesverteidigungsministerin hatte sich Ursula von der Leyen stets darum bemüht, die Kontrolle über ihre öffentlichen Äußerungen zu behalten. Wo immer es ging, vermied sie es, dass ihre Antworten auf unangenehme Fragen von Jour­na­lis­t:in­nen zitiert werden konnten. Während ihrer Amtszeit hielt sie keine „klassischen“ Pressekonferenzen ab, sondern lud lieber zu „Hintergrundgesprächen“ in den Berliner Bendlerblock. Bild- und Tonaufnahmen waren nicht gestattet und die Ministerin durfte nicht namentlich zitiert werden. Verwendet werden konnte nur ein kurzes, vorbereitetes Statement, das sie stets im Anschluss in die Kameras sprach – ohne den Jour­na­lis­t:in­nen dann noch die Möglichkeit zu ausführlicheren Nachfragen zu geben.

„Wie eine deutsche Ministerin“

Dieses Verhalten in ihrem jetzigen Amt sorgt bei internationalen Journalisten für Ärger. Am Dienstag war die europäische Presse voller böser Kommentare, manch einer forderte sogar von der Leyens Rücktritt. „Welche Mücke hat von der Leyen gestochen?“, fragte Jean Quatremer von der französischen Tageszeitung Liberation. Ihr Krisenmanagement zeuge von Inkompetenz, Desorganisation und Paranoia.

Besonders ärgert sich Quatremer darüber, dass von der Leyen die EU-Kommission „wie eine deutsche Ministerin“ führe – mit einem kleinen Stab deutscher Berater, unter Missachtung der Kommissare und der EU-Verwaltung. Dass sie nun auch noch die deutschen Medien bevorzuge und ständig den deutschen Pharmakonzern Biontech hofiere, zeuge von einem fragwürdigen Amtsverständnis.

Der Vorwurf ist nicht neu, doch angesichts der schweren Coronakrise und der anhaltenden Impfstoffknappheit bekommt er zusätzliche Brisanz. Verbirgt sich hinter dem „europäischen Ansatz“ bei der Impfstoffbestellung etwa ein heimlicher deutscher Gesundheitsnationalismus? Denkt von der Leyen vor allem an Kanzlerin Angela Merkel und Gesundheitsminister Jens Spahn, wenn sie ihre Bestellungen im Namen der EU aufgibt? Die CDU-Politikerin bestreitet das. Alles sei mit allen 27 EU-Staaten abgestimmt, betont ihr Sprecher. Deutschland sei nur ein Land von vielen, in der EU-Kommission denke und handele man europäisch.

Dabei vertraut von der Leyen tatsächlich mehr als alle anderen Kommissare auf deutsche Berater, die sie aus ihrem Berliner Amt im Verteidigungsministerium nach Brüssel mitgebracht hat. Zudem wurden die entscheidenden Weichen für die holprige europäische Impfstrategie gemeinsam mit Merkel und Spahn gestellt – während des deutschen EU-Vorsitzes von Juli bis Dezember 2020. Damals fiel auch die Entscheidung zugunsten von AstraZeneca, die nun so viel Ärger macht und die EU um Wochen zurückwirft.

Treffen hinter verschlossenen Türen

Sauer sind deshalb nicht nur die Journalisten, sondern auch viele Europaabgeordnete. „Ursula von der Leyens Versprechen, dass bis zum Ende des Sommers 70 Prozent der Eu­ropäe­r*in­nen geimpft sein sollen, ist sehr ambitioniert“, kritisiert der grüne EU-Abgeordnete Rasmus Andresen. Sie sei die Antwort schuldig geblieben, wie dieses Ziel trotz der Probleme noch erreicht werden soll. „Von der Leyens Impfversprechen wackelt“, so Andresen. „Die EU-Kommission braucht dringend einen Plan B.“

Auch aus Deutschland kommt Kritik an der EU-Kommissionpräsidentin. „Es muss einen europäischen Impfstoffgipfel geben, bei dem sich von der Leyen mit den Mitgliedsländern und aktuellen und potenziellen Herstellern entlang der Lieferketten an einen Tisch setzt“, fordert Franziska Brantner, europapolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag. Nach den vielen Irritationen, so Brantner weiter, sollte von der Leyen auch personelle Schwachstellen oder Engpässe in der EU-Kommission überprüfen.

Bei den Sozialdemokraten und Liberalen in der EU-Kommission rumort es, seit von der Leyen von Exportbeschränkung spricht und sich protektionistisch gibt. Um einen Aufstand im EU-Parlament zu verhindern, griff die Kommissionschefin zu einem ungewöhnlichen Mittel: Am Dienstag stellte sie sich außerplanmäßig den Fragen der Abgeordneten. Allerdings nicht in einer öffentlichen Plenarsitzung, sondern in vertraulichen Treffen mit den großen EU-freundlichen Fraktionen.

Damit sorgt sie für neuen Ärger. „Von der Leyen zieht Treffen hinter verschlossenen Türen und den Mangel an Transparenz wieder einmal demokratischer Kontrolle vor“, kritisiert der Fraktionschef der Linken, Martin Schirdewan. Linke, Grüne und auch einige Sozialdemokraten fordern, dass die EU mit ihrem bisherigen Vorgehen bricht und Artikel 122 aktiviert – eine Art Notfallklausel im EU-Vertrag. So könnten die Patente freigegeben und die Produktion von Impfstoffen könnte angekurbelt werden.

Auch EU-Ratspräsident Char­les Michel unterstützt diesen Ansatz. Doch von der Leyen will davon nichts wissen. Schließlich wäre es ein Eingeständnis, dass ihre Strategie nicht funktioniert. Und das wäre wohl das Letzte, was die EU-Chefin jetzt gebrauchen kann. Lieber gibt sie weitere Interviews, wenn es sein muss, auch über deutsches Fernsehen hinaus.

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15 Kommentare

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  • Ursula von der Leyen stand nicht zur Wahl und wurde doch gewählt, ähnlich undurchsichtig wird sie auch weiter agieren. Es ist ihre einzige Möglichkeit des Machterhalts.

  • Mich würde interessieren, ob die EU auch verantwortlich für die Bestellung von z.B. Grippeschutzimpfungen ist und diese dann auf die EU-Länder verteilt werden. Falls dem nicht so ist, würde es mich interessieren, warum es im Fall der Impfstoffe gegen Covid anders läuft?

  • Am Pranger - das ist ja wohl die Übertreibung des Jahrhunderts.



    Ich würde hier doch eher von "berechtigter Kritik" sprechen.

    Aber eigendlich... wenn man sie doch einmal mit der Halsgeige um die Kirche ziehen sähe.



    Es wäre ein Bild für die Götter !

  • Ursula von der Leyen agiert in er EU mit ein Hilflosigkeit, als wäre sie "Uschi im Wunderland".

    Manchmal hat diese Inkompetenz weniger Auswirkungen, manchmal können die Folgen aber auch verheerend sein. So wie bei der gescheiterten Impstoffbeschaffung.

    Was diese Impf-Verzögerung bei besonders Corona-gefährdeten Menschen für Folgen haben kann dürfte wohl allen klar sein.

    Die Kommissionschefin weiter auf ihrem Posten zu belassen ist meines Erachtens grob fahrlässig.

  • Zuerst hat die Tochter eines erzkonservativen Politikers auf verschiedenen Ministerposten ihre Unfähigkeit bewiesen. Man erinnere sich, wie sie die Ausrüstung der Bundeswehr in den Sand setzte. Oder dass sie kaum Entscheidungen traf ohne zuvor gnadenlos überteuerte 'Berater' aus ihrem Dunstkreis zu beauftragen. Im Volksmund nennt man dies Vetternwirtschaft. Und das Ergebnis deer Beratungen waren meist Fehlentscheidungen.

    Wie im Artikel berichtet, hat sie die Fehler beim Kauf des Impfserums zu verantworten. Aber Einräumen von eigenen Fehlern ist für sie ein fremder Begriff, obwohl sie schon soooo häufig Gelegenheit dazu hatte. Ihre Rechtfertigungen sind geradezu lachhaft. Als Schuldige benennt sie immer andere.

    Schon alleine dieses folgenreiche Versagen wäre Grund genug, sie aus dem Amt zu wählen. In ihr Amt als Präsidentin der EU-Kommission kam sie ohnehin nur, da dies im Interesse einiger Staatschefs war. Wäre sie doch bei einer Wahl vor dem Volk sehr wahrscheinlich untergegangen.

  • vdL ist jetzt nicht unbedingt die geballte Kompetenz, wie jeder weiß, der ihr Wirken und ihre Äußerungen in den letzten 20 Jahren aufmerksam verfolgt hat. Der Kracher ist für mich nach wie vor ihre Feststellung, das Grundgesetz entspreche im Kern den 10 Geboten der Bibel.

    Aber wir dürfen nicht vergessen, dass es schlimmer hätte kommen können. Die Franzosen haben vdL nur deshalb vorgeschlagen, um einen anderen Deutschen - und zwar Jens Weidmann - an der Spitze der EZB zu verhindern. Das hat geklappt, und dafür bin ich den Franzosen dankbar.

    • @zmx52:

      " und zwar Jens Weidmann - an der Spitze der EZB zu verhindern. Das hat geklappt, und dafür bin ich den Franzosen dankbar."

      weil der hätte weniger Geld gedruckt, weniger Schrottpapiere gekauft, für höhere Zinsen für Sparer gesorgt?

  • Wer schon als Verteidigungsministerin einem Trümmerhaufen hinterlassen hat, wird es in Brüssel wohl nicht besser machen.

  • Dass Frau von der Leyen bei der Beschaffung der Impfungen kein gutes Bild abgibt, wundert nicht wirklich.



    Wie war das mit den Beschaffungen in der Bundeswehr während sie Verteidigungsministerin war? War da nicht sogar ein Prozess anhängig, vor dem sie eilig in die schützende Immunität der EU-Kommission geschickt wurde?



    Nachgewiesene Unfähigkeit ist leider viel zu oft kein Hindernis für weitere Spitzenposten...

  • Die EU sollte sich zukünftig weigern, die gemeinsamen Bestellungen zu übernehmen. Hierfür hat sie eh keine Zuständigkeit. Die bisherige "koordinierte Aktion" hat in allen Ländern zu Unmut geführt. Soll doch bitte jedes Land wieder seinen eigenen Bestellschein ausfüllen und sich selbst kümmern - so wie es vorgesehen ist.

    Dann bekommt ein Land seine Lieferungen halt etwas früher und das andere Land etwas später. Das eine Land zahlt etwas mehr, das andere etwas weniger. Hey, die EU ist nicht zuständig in diesem Bereich.

    • @DiMa:

      Naja, durch Nichteingreifen der EU kommt aber in so einer Situation der Binnenmarkt ganz schön durcheinander und damit ist sie doch wieder zuständig.

      • @Super Constellation:

        Dann müsste die EU ja auch andere Impsoffe und Medikamene gemeinsam bestellen. Das kann also kein Argument sein. Zumal die unterschiedlichen Länder unterschiedliche Prioritäten hatten.

    • @DiMa:

      "Hierfür hat sie eh keine Zuständigkeit." Natürlich hat die diese. Und zwar auf Bitten der Länder!

      • @danny schneider:

        Im Juni 2020 beauftragten die Mitgliedsländer die EU-Kommission im Rahmen einer Tagung des Europäischen Rates mit der Impfstoffbestellung.

        Damit ist keine generelle Zuständigkeit auf die EU übergegangen. Wenn die Bestellungen so schlecht laufen wie bisher, dann kann jedes Land für sich diesen Auftrag auch wieder zurück ziehen und die Impfstoffe selbst bestellen.

        Für eine grundsätzliche Übernahme der Zuständigkeit bräuchte es eine Änderung der Grundlagenverträge.

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    ""Dass sie nun auch noch die deutschen Medien bevorzuge ......""



    ==



    1.. Ursula von der Leyen suggests UK compromised on vaccine safety



    guardian, heute



    www.theguardian.co...-on-vaccine-safety

    2.. The vaccines, the Commission and the NI Protocol: What went wrong?



    www.rte.ie/news/an...6-vaccines-brexit/

    3..Die Europäische Kommission "verurteilt heute (2.2.2021) nachdrücklich jede Androhung von Gewalt gegen Hafenbeamte in Nordirland, die lediglich ihre Pflichten wahrnehmen und das Rücknahmeabkommen umsetzen."

    4.. Tony Connelly



    @tconnellyRTE



    · ·



    6 Std.



    Die Situation (Gewalt in NI) entstand vor den Ereignissen vom letzten Freitag [d.h.der Artikel 16 Eklat) - sagt die Kommission

    Das Thema heute ist eher das Aufflakern der Gewalt in NI - was schon seit langem befürchtet wird - und der darauf erfolgte Rückzug der Kontrollbeamten in den nordirischen Häfen.

    Die Situation in Brexitcounty heizt sich rasant auf - was wohl eher mit dem Brexit als mit UVDL zu tun hat.