: „Jetzt ist alles still“
Niedersachsens Klubszene leidet unter den Lockdowns. Als Kulturstätten gelten Klubs immer noch nicht, immerhin aber ist ihnen die Vergnügungssteuer vorübergehend erlassen worden. Das Verdienst daran reklamieren mehrere Seiten für sich
Aus Osnabrück Harff-Peter Schönherr
An guten Tagen ist Guido Remmert ein Mensch, der gern lacht. Heute tut er es nicht. Das gibt das Thema einfach nicht her: Corona.
Remmert ist einer der Betreiber des Klubs „Kleine Freiheit“ in Osnabrück. Die Bandbreite hier reicht von Indie bis Electro, von Singer-Songwriter bis Hip-Hop. 15 Jahre gibt es die „Freiheit“ schon, bis zu 300 Leute passen rein, und wer auf Schickimicki steht, bleibt besser draußen.
„Das war immer ein Ort voller Leben“, sagt Remmert. „Über 1.000 Konzerte haben wir hier veranstaltet. Aber jetzt ist alles still. Traurig ist das.“
Seit März 2020 ist auch die „Freiheit“ im Würgegriff der Pandemie, wie alle Klubs. Die Sommermonate, als sie kurz wieder geöffnet war, bis zum zweiten Lockdown, haben „wenig gebracht, zumindest finanziell“, sagt Remmert. „Aber zumindest haben wir gezeigt: Es gibt uns noch.“
Die „Freiheit“ wird Corona überstehen. Zwar mussten viele Konzerte verlegt werden, manche bis zu dreimal, einige sind jetzt für den Herbst angesetzt, andere für Anfang 2022. Und über die Hälfte der Belegschaft ist weg, es gab ja keine Arbeit mehr. Aber der Klub kommt, prognostiziert Remmert, „mit einem blauen Auge“ davon. „Glücklicherweise ist unser Vermieter uns sehr entgegengekommen. Und wir haben Sofort- und Überbrückungshilfe gekriegt, November- und Dezemberhilfe.“
Aber hart ist all das schon. „Schwierig vor allem, dass du von den Hilfsgeldern nichts für Privatausgaben nehmen darfst, das ist ja an betriebliche Fixkosten gekoppelt.“ Weltfremd ist das, findet Remmert. Mehrfach hat er versucht, Hartz IV zu beantragen. „Dafür verdienen Sie zu viel, hieß es da. Obwohl bei mir seit einem Dreivierteljahr kaum noch was reinkommt!“
All das zermürbt natürlich. „Vor allem dieses Warten zehrt an den Nerven, dieses Ungewisse. Das lässt dich einfach nicht los.“
Wie der „Kleinen Freiheit“ geht es vielen Klubs. Die staatlichen Hilfen reichen gerade so fürs Überleben. Man existiert weiter, irgendwie. „Das große Sterben ist bisher ausgeblieben“, sagt Gunnar Geßner, Vorstandsmitglied im Klubnetz, dem Verband der niedersächsischen Konzertkulturschaffenden, und in der Livekomm, dem Bundesverband der Musikspielstätten. „Aber die Lage ist ernst, und natürlich bröckelt viel weg.“
Gunnar Geßner, Vorstand Klubnetz Niedersachsen
Was passieren muss, damit sich die Situation bessert? Die Kultur, sagt Geßner, brauche einen neuen Stellenwert: „Warum, zum Beispiel, ist ein Gottesdienst in einer Kirche erlaubt, ein Konzert in einem Klub aber nicht?“ Unverzichtbar sei, die Finanzhilfen zu erhalten, „so unvollständig und klein sie auch sind“. Und die Klubs müssten „endlich als Kulturstätten anerkannt werden, juristisch.“
Gerade daran hakt es jedoch. Als „Vergnügungsstätten“ stehen Klubs derzeit noch immer auf einer Stufe mit Wettbüros, Pornokinos, Spielhallen und Bordellen. Ende 2020 ist Eva Viehoff, kulturpolitische Sprecherin der Hannoverschen Landtagsfraktion der Grünen, mit dem Antrag „Förderung der Club- und Festivalkultur – nicht nur unter Corona“, der das ändern wollte, an den Koalitionsfraktionen von SPD und CDU gescheitert (taz berichtete). Deren eigenes Konzept war weit wässriger.
„So was versteht man einfach nicht“, sagt Grünen-Politikerin Viehoff frustriert. Schon lange kritisiert sie, dass die Kultur in Niedersachsen „so schleppend gefördert wird“, auch finanziell. „Wenn wir uns mit Berlin oder Hamburg vergleichen oder mit Baden-Württemberg, stehen wir ziemlich schlecht da.“
Zwar nimmt sich auch die Kommunalpolitik der Klubs an, doch auch hier läuft die Hilfe nicht immer einvernehmlich, wie sich in Osnabrück sehen lässt. Eines der Kernthemen hier ist die Vergnügungssteuer. Bei Klubs wie der „Kleinen Freiheit“ soll sie, so der Vorschlag der Finanzverwaltung der Stadt, für 2021 und 2022 nicht erhoben werden. Frank Henning, SPD-Fraktionsvorsitzender im Osnabrücker Rat und Landtagsabgeordneter in Hannover, verbucht das als Erfolg eines „dringenden Appells der SPD-Ratsfraktion“.
Vorausgegangen war ein „Club- und Szenegipfel“ Anfang September 2020. Eine der Forderungen der 100 Vertreter der örtlichen Klub-und Diskothekenszene: die Vergnügungssteuer zu stunden oder zu erlassen. „Durch meine Gespräche mit unserem sozialdemokratischen Kämmerer und Finanzvorstand“, sagt Henning, „konnte erreicht werden, dass eine Verwaltungsvorlage erstellt wurde“.
Volker Bajus, Fraktionschef der Grünen im Stadtrat Osnabrück und ebenfalls Landtagsabgeordneter, relativiert das: Der Erlass der Vergnügungssteuer sei auf einen Antrag der grünen Ratsfraktion Mitte Dezember 2020 beschlossen worden.
Dieser Antrag, kontert SPD-Mann Henning, sei „gar nicht mehr notwendig“ gewesen, „da die Verwaltung bereits aufgrund des ‚Club- und Szenegipfels‘ an dem Thema dran war“. Mehr noch: Die SPD habe ein 2,5 Millionen Euro schweres „Sondervermögen Veranstaltungswirtschaft und Kulturerhalt“ vorgeschlagen, als „kommunalen Rettungsschirm“, die Grünen hätten das abgelehnt. „Ihnen war der Erlass oder die Nichterhebung der Vergnügungssteuer wichtiger.“ Die SPD finde das „sehr bedauerlich, denn wir wollten beides“.
Und so geht es immer weiter, keine der beiden Seiten lenkt ein. Hennings Forderung nach einem kommunalen Fördertopf, so Bajus, sei „mehr als fragwürdig“, dafür seien allein Bund und Land zuständig. Henning: „Wo steht geschrieben, dass nur Bund und Land den Betroffenen helfen dürfen?“
Kurioserweise haben beide recht, zumindest teilweise, Politik ist eben kompliziert. Eine Großtat ist der Vergnügungssteuerverzicht übrigens nicht. Klubnetz-Vorstand Gunnar Geßner schüttelt jedenfalls den Kopf: „Steuererlässe greifen viel zu kurz. Sinnvoll wäre es, diese Steuer für Klubs komplett abzuschaffen!“
Guido Remmert ist für seine „Kleine Freiheit“ dankbar für jede Staatshilfe. Aber die Hürden dafür, die sind „viel zu hoch“, findet er. Und dann rechnet er vor, was allein sein Steuerberater kostet, den er braucht, um die Anträge zu bewältigen. „Für große Firmen ist so was kein Problem. Die haben den Apparat dafür, das alles zu organisieren. Aber wir Kleinen fühlen uns da oft ziemlich verarscht. Uns fehlt eben eine starke Lobby.“
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