Programm zum Holocaust-Gedenktag: „Da ist das Schweigen groß“
Mittwoch wird der Opfer der Naziherrschaft gedacht. Die Volksbühne bietet ein umfangreiches Kunst- und Kulturprogramm.
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Tímea Junghaus
Am Mittwoch, den 27. Januar, ist es 76 Jahre her, dass die Rote Armee Auschwitz befreite und das Massenmorden der Nazis beendete. Der Tag ist seit 25 Jahren Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus.
Die jüdische Kulturjournalistin Shelly Kupferberg und Tímea Junghaus, Leiterin des Europäischen Roma-Instituts für Kunst und Kultur, nehmen das zum Anlass, das von ihnen kuratierte Programm „Diaspora Europa“ in der Volksbühne digital zu präsentieren. Es gehe darum, eine ansonsten kaum sichtbare Kopplung zwischen Sinte:zza, Rom:nja und Jüd:innen aufzuzeigen, sagt Kupferberg: „Wir müssen betroffene Communitys aus ihrer Perspektive sprechen lassen.“
Vor allem müsse die Sichtbarkeit von Sinte:zza und Rom:nja verbessert werden: Da fehle in der Gedenkarbeit „fast alles“, so Junghaus, an Orten des Holocausts gebe es nicht einmal Gedenkstätten. Doch könne die Dehumanisierung durch den Holocaust von keiner Community allein bewältigt werden: „Heilung kann nur gemeinsam, mit der Mehrheitsgesellschaft zusammen, geschehen“, so Junghaus.
Auch Tätergeschichten erzählen
Der Opfer des Naziregimes wird am Holocaustgedenktag am 27. Januar trotz Pandemie gedacht.
Von 13 bis 14 Uhr plant der Zentralrat der Sinti und Roma eine virtuelle Gedenkveranstaltung.
Der Lesben- und Schwulenverband lädt zum ganztägigen stillen Gedenken am Denkmal für verfolgte Homosexuelle im Tiergarten ein.
In Präsenz rufen der VVN/BdA und die Kommission für Bürgerarbeit um 17 Uhr zu einer Mahnwache an der Berliner Straße 120/121 in Pankow auf. (tk)
Es sei deshalb wichtig, nicht nur Opfer-, sondern auch Tätergeschichten zu erzählen: „Da ist das Schweigen groß. Die meisten wissen nichts von dem, was ihre Großeltern im Krieg getan haben“, so Kupferberg.
„Diaspora Europa“ reflektiert diese Ziele: Hochklassige Sinti:ze Jazz-Acts erinnern daran, dass sie seit Jahrhunderten fester Bestandteil europäischer Kulturen sind. In Dor Alonis und Raban Witts Schauspiel „Hitler Baby One More Time“ geht es um das Wechselspiel zwischen kollektiven Traumata und individueller Identität.
Und auch der künstlerische Geist Tatjana Barbakoffs kann für einen Moment wieder lebendig werden: Oxana Chi und Layla Zami Zuckerman schaffen eine tänzerische Hommage mit biografischen Elementen.
Dabei gilt stets, „Gedenkarbeit mit Fragen des Hier und Jetzt“ zu verbinden. Laut Kupferberg ist so auch die Webreihe „Position mit Abstand“ entstanden, eine Diskursplattform gegen rechtsoffene Allianzen – als direkte Abgrenzung zu den sogenannten „Hygienedemos“, die die Volksbühne häufig als Kulisse missbrauchten.
Antisemitismus und Rassismus heute
Denn die Proteste der Coronaleugner:innen bieten immer wieder Boden für Holocaust-Relativierungen, etwa, wenn sich Menschen Judensterne anstecken und damit Infektionsschutzmaßnahmen mit dem Holocaust gleichsetzen.
Dies kann fruchten, da Antisemitismus weiterhin bis in die Mitte der Gesellschaft verbreitet ist. Laut der Leipziger Autoritarismus-Studie glaubt ein Fünftel der deutschen Bevölkerung, dass „die Juden“ zu viel Macht besäßen. Das erst ermöglicht den konstanten Anstieg antisemitischer Gewalttaten, verübt (zumeist) durch das rechtsextremistische Spektrum.
Und auch Sinte:zza und Rom:nja sind gerade in der Pandemie von Antiziganismus bzw. Rassismus betroffen. Immer wieder wurden die Communitys mit dem Virus in Verbindung gebracht – ganz ähnlich wie schon bei Pest und Cholera, kritisierte Romani Rose vom Zentralrat Mitte 2020.
Erschwerend kommt hinzu, dass auch die Statistik diskriminiert. So werden antiziganistische Straftaten überhaupt erst seit 2017 gesondert erfasst. Noch 2019 bezeichnete die Bundespolizei Sint:ezza und Rom:nja als „Personen aus fremden Kulturkreisen“ – über 600 Jahre nach ihrer Ankunft in Deutschland.
Insgesamt halten die Kuratorinnen Kupferberg und Junghaus Berlin aber dennoch für eine weltoffene und inspirierende Stadt. Und sie warnen davor, sich zu sehr mit Vorurteilen zu beschäftigen: „Stereotype zu benennen, bringt uns nicht weiter“, sagt Junghaus. Diversität muss eben gelebt werden – kämpferisch, jeden Tag.
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