piwik no script img

Kitesurfen im Nationalpark WattenmeerVon Störenden und Gestörten

Schadet das Kite-Surfen den Vögeln im Wattenmeer? Schwer zu sagen. Klar ist nur: Vögel brauchen keine Kitesurfer – aber Kitesurfer brauchen Vögel.

Unterwegs im selben Gebiet: Kitesurfer und Wasservögel vor Norderney Foto: dpa / Eilert Voss

K i­te­sur­fe­r*in­nen dürfen anscheinend doch im Nationalpark Wattenmeer außerhalb der festgelegten Kitesurfgebiete surfen. Warum? Das Land Niedersachsen hätte das Surfen dort gar nicht verbieten dürfen, da allein das Bundesverkehrsministerium zuständig ist.

Unter ei­nem*ei­ner Ki­te­sur­fe­r*in stellte ich mir bisher einen enorm sportlichen, jungen Menschen vor, der in halsbrecherischer Geschwindigkeit über das Wasser braust. Der NDR hat einen mit fetziger Musik untermalten Film gedreht, der mir half, meine Vorstellung etwas zu korrigieren. Und, nun ja, man braucht dazu ein Kite, ein Board und ein Trapez, dazu noch die passende Kleidung, den Kitekurs, dies und jenes Zubehör, vielleicht einen Dachgepäckträger, ein Auto sowieso. Es ist also ein Hobby für Leute, die ein bisschen Geld über haben und die Möglichkeit, ab und zu an die Küste zu fahren. Anwälte zum Beispiel.

Im NDR-Bericht wurden ein paar Kitesurfer zum „Streit“ befragt und da sieht man ihn dann, den Kitesurfer, der recht betrübt ist, weil er „schlicht und ergreifend nicht gehört wurde“. Ein anderer Kitesurfer wünscht sich einen rechtssicheren Raum, die Gemeinschaft wachse, manchmal wären 80 bis 100 Menschen gleichzeitig auf dem Wasser und sie bräuchten nun – mehr Raum. Genau das hat ja der Nationalpark – Raum. Wenn da nicht die wären, die das einfach nicht wollen, die die Ki­te­sur­fe­r*in­nen sogar „kriminalisieren“, das ist nämlich auch etwas, das sie verstimmt, dass sie kriminalisiert werden, wenn sie, zum Beispiel, einfach mal abgetrieben werden und sich plötzlich auf Gebiet befinden, auf dem sie gar nicht kitesurfen dürfen.

Natürlich wäre es das beste, sie dürften überall kitesurfen. Aber die, die das nicht wollen, hatten bisher die Trümpfe in der Hand, die Umweltschützer*innen, die Nationalparkverwaltung, denen jetzt diese Trümpfe aus der Hand genommen wurden, weil es sich eben herausgestellt hat, dass ganz allein der Bund für diese „Verkehrswege“ auf dem Wasser zuständig ist.

Ein Kitesurfer ist recht betrübt: Er wurde schlicht und ergreifend nicht gehört
Lou Probsthayn
Katrin Seddig

ist Schrift­stellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Sicherheitszone“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.

Eins zu Null für die Kitesurfer*innen, die sowieso nicht glauben, dass sie den Wasservögeln schaden. Aus einer Studie dazu: „Die vielleicht wichtigste Schlussfolgerung, die aus der vorliegenden Studie gezogen werden kann, ist, dass es unmöglich ist, die potenziellen Auswirkungen des Kitesurfens zu verallgemeinern.“ Im Übrigen würden Menschen durch jede Tätigkeit in Schutzgebieten sich störend auf Vögel auswirken.

Die eventuell Störenden behaupten also, gar nicht zu stören, die eventuell Gestörten, die Vögel, können nichts behaupten, Na­tur­schüt­ze­r*in­nen behaupten, die Vögel werden wohl gestört, und auch in diesem Sinne gibt es Gutachten. Mir fehlt die Sachkenntnis, um das realistisch einzuschätzen. Aber ich stelle hier einmal Sachverhalte nebeneinander, die vielleicht unbestritten sind.

1. Was ist der Nationalpark Wattenmeer?

„Das Wattenmeer zwischen Den Helder in den Niederlanden und dem dänischen Esbjerg ist die größte zusammenhängende Wattlandschaft der Welt und eines der letzten Gebiete in Europa, in der Natur sich noch weitgehend vom Menschen unbeeinflusst entwickeln kann.“ Und: „Das Wattenmeer ist das vogelreichste Gebiet in Mitteleuropa, zentrale Drehscheibe auf dem Ostatlantischen Zugweg der Küstenvögel. Über 2 Millionen Vögel ziehen durch das schleswig-holsteinische Wattenmeer, etwa 100.000 Paare brüten im Nationalpark.“ (Quelle: nationalpark-wattenmeer.de)

2. Warum wollen Leute Kitesurfen?

Dazu lässt sich nach ausführlicher Recherche vor allem eines sagen: Es schockt. Immer mehr wollen es. Der ihnen dafür zur Verfügung stehende Raum reicht ihnen deshalb nicht mehr aus.

3. Brauchen Vögel Kitesurfer*innen?

Nein.

4. Brauchen Ki­te­sur­fe­r*in­nen Vögel?

Ich denke, irgendwie, in letzter Konsequenz, wegen der für uns alle bestehenden Abhängigkeit von einem halbwegs intakten Ökosystem, schon. Das sind so die Sachen, die ich mir überlege. Es ist natürlich, wie meistens, alles nicht so einfach.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • Kitesurf-Verbote sind ein Reizthema für die, die den Sport ausüben und all jene, die sich daran stören. Sei es aus Gründen des Natur- oder Vogelschutzes oder ganz persönlichen Interessen von Anwohnern, Urlaubern etc.



    Gerne werden Kite-Surfer als rücksichtslose Adrenalinqunkies dargestellt oder wie hier im Artikel als Besserverdiener, denen Ihre Umwelt auch herzlich egal ist. Ernsthaft? Muss man sich auf dieses Niveau begeben ohne auch nur mit einem Kitesurfer selbst gesprochen zu haben? Dies ist jedenfalls nicht meine Vorstellung von qualitativ hochwertigem Jounalismus...



    Ohne Frage gibt es berechtigte Interessen die Nutzung und den Zugang zum Wattenmeer und anderen potentiellen Kite-Spots zu regulieren. Dann aber doch bitte für alle Nutzer gleichberechtigt (Spaziergänger mit Hunden eingeschlossen) auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse.



    Jedem, der bislang noch nicht mit dem Sport in Berührung gekommen ist, kann ich nur empfehlen sich einmal vorurteilsfrei damit zu beschäftigen. In mehr als 10 Jahren Sportausübung habe ich die überwältigende Mehrheit der Kitesurfer als sehr naturverbundene und umweltbewusste Zeitgenossen wahrgenommen, mit denen man (für manche vielleicht überraschend) auch sachlich disskutieren kann. Eine Gruppe von Menschen aus der Ferne in eine Ecke zu stellen, bringt alle in der Sache jedenfalls nicht weiter - ganz im Gegenteil

  • Wenn ich mich nicht irre, ist der Nationalpark Wattenmeer Standort extrem vieler Windkraftwerke. Und die haben keinen Einfluss auf die dort anwesenden Vögel?

  • Manchmal ist es eben doch einfach: Wir haben die Wahl: Ist und der Schutz unserer Naturschätze von größerer Bedeutung, oder ist die freie Ausübung eines Fun- Sportes wichtiger, der unbestreitbar eine größere Auswirkung auf Vögel hat, wenn er an den falschen Stellen ausgeübt wird (ein Nationalpark dient nun einmal bestimmten Zielen). Die wachsende Fangemeinde dieses Sports kann kein Argument dafür sein, dass man weniger auf Vogelschutz achtet. Zudem würde ich die Konfliktlinie nicht nur beim Vogelschutz ziehen: Es gibt an den meisten Stränden ja recht diverse Nutzungen; und oft eine Aufteilung: Badestrand, Hundestrand, Schutzzone (Ruhezone I), abgesperrte Bereiche für Strandbrüter (z.B. Seeregenpfeifer, Zwergseeschwalbe). Würde man größere Flächen für Kitesurfer zur Verfügung stellen, wäre der Konflikt zwischen "einfachen Badegästen" und Kitesurfern vorprogrammiert : "Schadet das Kite-Surfen den Badegästen im Wattenmeer?"

    Wir haben wie so oft die Wahl; wir erklären immer wieder, wie sehr uns Umwelt- und Natur am Herzen liegen. Gilt das denn nur, wenn es wirklich absolut keinem anderen Interesse entgegensteht?

    Ach ja, und noch eine Kleinigkeit: Was ungebremstes Wachstum von Fun- Sportarten mit einer Naturregion macht, lässt sich in den bayerischen Alpen beobachten.

    • @Axel Donning:

      Er hat eben laut unzähliger Gutachten nicht mehr Auswirkung als alle anderen Aktivitäten im Nationalpark.



      Mit dem Motorboot, Segelboot oder Windsurfer darf ich auch bis in den Letzten Winkel des Nationalparks fahren.