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Der Sturm auf das KapitolVom Algorithmus getrieben

Kommentar von Barbara Junge

Verschwörungstheorien haben Trump zur Macht verholfen und zur Radikalisierung der US-Republikaner beigetragen. Und sie verbreiten sich weiter.

Am Mittwoch stürmten QAnon-Anhänger*innen, Trump-Fans und Nazis das Kapitol Foto: Kevin Dietsch/imago

V or vier Jahren stürmte der 28-jährige ­Edgar Welch bewaffnet das Lokal ­Comet Ping Pong, fünf Kilometer vom US-Kapitol entfernt. Er wollte dort einen vermeintlichen Kinderhändlerring um Hillary Clinton ausheben. Diese irre Verschwörungserzählung unterfütterte Donald Trumps Wahlkampf.

In der Pizzeria gab es kein Hinterzimmer, in dem Kinder gequält wurden. Aber eine Person, die sich Q oder QAnon nennt, verbreitet seitdem mit wachsendem Zuspruch die Verschwörungstheorie, eine liberale Elite rund um Clinton und Bill Gates entführe Kinder, um sich mit deren Blut jung zu halten. Diesen Dienstag schließlich stürmte eine Menge aus Trump-Anhänger.innen, Nazis und QAnon-Anhänger.innen das Kapitol. Ein Putsch oder ein breiter Aufstand war das nicht. Die USA stehen auch nicht kurz vor dem zweiten Bürgerkrieg. Live übertragen wurde vielmehr ein geplanter militanter Angriff, eingebettet in einen über soziale Netzwerke und Chatgruppen stimulierten Wutrausch. Aus einem Angriff auf eine Pizzeria ist eine gefährliche Bewegung geworden, die nicht nur den Präsidenten Trump überleben wird, sondern algorithmusgetrieben weiterhin wächst. Deshalb ist der Sturm auf das Kapitol so angsteinflößend.

Spätestens seit dem Ende der Bush-Ära radikalisiert sich die Republikanische Partei im Turbotempo. Mit fast jeder parteiinternen Vorwahl rutscht ein noch halluzinatorischerer oder noch extremerer Kandidat oder eine solche Kandidatin in die erste Reihe. Selbst nach dem Angriff am Dienstag waren nicht alle Republikaner.innen im Kongress bereit, die demokratische Wahl von Joe Biden zu bestätigen.

Parallel dazu stimuliert der Algorithmus weitgehend ungestört eine Radikalisierung im Netz. QAnon hat sich weltweit verbreitet, auch in Deutschland laufen Anhänger auf Corona­demonstrationen mit. Diese Leute glauben, dass die verhasste Elite die Weltherrschaft an sich reißen wolle – und sehen in Donald Trump den Erlöser, der die Apokalypse und damit die Reinigung der Welt herbeiführe.

Miteinander verwobene Verschwörungen

Auf den Livebildern konnte man erkennen, dass sich in den vergangenen vier Jahren Trumpist.innen und Verschwörungsanhänger.innen aufeinander zubewegt, sich gegenseitig bestärkt und ihre Verschwörungstheorien miteinander verwoben haben. Seit der Wahl im November sitzt eine QAnon-Anhängerin für die Republikaner im Kongress.

Angesichts der Ereignisse, schrieb die gerade in Georgia unterlegene Senatorin Kelly Loeffler am Dienstagabend, könne sie die Bestätigung von Joe Biden nicht mehr mit gutem Gewissen blockieren. Sie hat die Grenze gezogen. Diese Grenzziehung ist für die Republikaner nicht nur nötig, sie ist dringend. Der Algorithmus wartet nicht.

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9 Kommentare

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  • Man stelle sich nur einmal vor, eine wütende Gruppe von Afroamerikanern hätte einen Angriff auf das Capitol gestartet. Richtig: Sie wären weder bis ins Capitol gekommen, noch hätte auch nur einer von ihnen den Angriff überlebt.



    Es sind dieselben Apologeten von „Law and Order“, die bei Bedarf schnell und wie selbstverständlich auch mal zu rassistisch selektiven Tathelfern und Strafvereitlern werden - und das ist ja keineswegs nur in Amerika so.

  • Eine empfehlenswerte Analyse des QAnon-Phänomens aus der Sicht eines Spieleentwicklers hier [1].

    Und ja, dass die Querdenker hier eine lokalisierte Filiale von QAnon ist liegt wohl auf der Hand. Symbolfetischisten die die sind, mussten sie das "Q" rüberretten.

    Ist Euch übrigens aufgefallen, dass das "Q" aussieht, wie eine Pizza, in der ein Messer steckt? Unheimlich...

    Frohes neues, kann man jetzt ja nicht oft genug wünschen ;-D

    [1] medium.com/curious...qanon-580972548be5

  • ein offensichtliches grosses übel und ekel wurde abgewählt-ein anderes weniger offensichtliches aber keineswegs geringeres gewählt-die usa sind und bleiben ein hoffnungsloser fall

    • @satgurupseudologos:

      Biden mag vielleicht nicht die große Hoffnung für alle sein, aber wenigstens bringt er wieder etwas Normalität in die US-Politik. Trump hat nicht nur einmal Vereinbarungen mit anderen Staatsoberhäuptern wenige Minuten später per Twitter revidiert.

      Biden ist da eher wie Putin: er vertritt vielleicht eine komplett andere Politik, und komplett andere Standpunkte als sich das viele wünschen, aber er bleibt dabei wenigstens verlässlich und steht zu seinem Wort.

      Doch, Biden ist auf jeden Fall ein weit geringeres Übel als Trump.

  • Sie haben halt das Denken komplett eingestellt. Gibt es irgendwo irgendeinen Beweis dafür, dass der Konsum von Kinderblut tatsächlich jung hält? Wie kommt QAnon auf so eine absurde Idee? Ist das ein Test, welchen Quatsch die Leute zu glauben bereit sind? Wäre es nicht eher interessant zu schauen, was da so an Hormonen im Kinderblut rumschwimmt und von den Eliten aufgenommen würde. Vielleicht finden sie es ja toll, im hohen Alter wieder zu wachsen zu beginnen, aber die Pubertät unterdrücken? Kein Sex mehr? Echt? Das wollen die Eliten? Das glauben die Verschwörer?

    • @Stechpalme:

      "Wie kommt QAnon auf so eine absurde Idee?"

      Das ist leider keine neue Idee, sondern der absolute Klassiker unter den Verschwörungstheorien, der hier nahezu unverändert wieder aufgewärmt wird.

      "Historisch besonders wirksam waren Ritualmordanklagen im europäischen Christentum, die behaupteten: Die Juden bedürften des Blutes von Christenkindern für ihre Pessachfeier und zu verschiedenen magischen oder medizinischen Zwecken."



      (siehe Wikipedia: Ritualmordlegende)

  • Däh&Zisch - Mailtütenfrisch - merkt an -

    “ "Vom Algorithmus getrieben" taz.de/Der-Sturm-a...-Kapitol/!5741580/ & Däh!

    Wer sich wegen geschäftlicher Verbindungen nicht traut, den Namen eines GAFA-Mitglieds zu nennen, soll einfach umschreiben, wo denn dieser Algorithmus tätig ist. Der Euphemismus "Social Media" tut`s doch auch.“

    kurz - Ooch wieder wahr

  • Okay, Trump als Erlöser oder als Antichrist. Das kennen wir.

    Man sollte sich aber vielleicht auch noch mal daran erinnern, mit welch weltferner Begeisterung sich der progressive Bevölkerungsanteil dieser Erde einen Präsidenten Obama zum Heilsbringer erkoren hat. Und wie er bei den anderen verhasst war.

    Tatsächlich war Obama jetzt kein explizit Böser, aber halt auch nur ein Präsident.

    Es ist jedenfalls keine spezifische Domäne der Rechten, sich eine Phantasiewelt zu erträumen.

    • @Numitor:

      Obama hat, wie alle US-Präsidenten, Schmutz am Stecken oder blutige Hände. Z.B. Nach seinem Friedensnobelpreis eben Exekutionen per Drohnen verstärkt. In Syrien versagt. Etc. Aber er hat keinen Mob aufs Parlament gehetzt oder überhaupt gehetzt. Und: Ich hätte vor 15 Jahren niemals geglaubt, einen George W. Bush im Vergleich zu DT als Intellektuellen zu betrachten, mit dem man auch mal zusammen grillen könnte.