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Wirtschaftsweise und CoronavirusDie kapitalistische Pandemie

Timm Kühn
Kommentar von Timm Kühn

Der Weltbiodiversitätsrat empfiehlt, die Wirtschaft umzubauen, um künftige Pandemien zu vermeiden. Das würde einen Systemwechsel bedeuten.

Truthähne werden auf einer US-Autobahn zum Schlachthof gefahren Foto: Zoonar/Valmedia/picture alliance

A ls herauskam, dass Sars-CoV-2 vermutlich auf dem Huanan-Markt im chinesischen Wuhan auf den Menschen übertragen wurde, fehlte es in den Beschreibungen des Marktes nicht an Orientalismus: Der Business Insider meinte, es habe dort „alles“ gegeben und spricht von „Fledermaus-Suppen“ und „Schuppentier-Embryos“, die Handelszeitung untertitelte ihren Beitrag mit der Formulierung „von der Bambusratte bis zum Sonnendachs“.

Das Narrativ ist klar: Es waren die Hunde-und-Katzen-essenden Chinesen, welche die Covid-19-Pandemie ausgelöst haben. Damit rettete sich der globale Kapitalismus wieder einmal durch kulturrassistische Stereotypen. Denn wie aus einem Ende Oktober veröffentlichtem Report des Weltbiodiversitätsrates IPBES hervorgeht, geht die Entstehung von Pandemien nicht etwa primär auf chinesische Esspraktiken, sondern auf industriell betriebene Umweltzerstörung zurück.

Es ist bemerkenswert, dass der IPBES-Report, der sich auf mehr als 700 wissenschaftliche Journalbeiträge stützt, von der Medienlandschaft mehrheitlich ignoriert wurde. Denn die UN-Organisation macht deutlich: Wenn wir nicht aufhören „business as usual“ zu betreiben, dann stehen wir am Beginn einer „Pandemic Era“.

Denn Viren werden dort auf den Menschen übertragen, wo dieser Biodiversität vernichtet. Vor allem die Ausbreitung und Intensivierung industrieller Landnutzung spielt hier eine Rolle. Durch Ressourcenausbeutung (Holz, Bergbau, Öl), Agrarwirtschaft, Massentierhaltung und Wildjagd werden natürliche Ökosysteme zerstört, sodass sich die Viren neue Wirte suchen. Zudem kommt es zu intensiviertem Kontakt zwischen Wild- und Nutztieren sowie Menschen – Infektionspotenziale entstehen, die in Pandemien enden können.

Timm Kühn

studiert Politikwissenschaften an der Freien Universität Berlin. Aktuell schreibt er seine Bachelor-Arbeit über ideologische Spaltungen in der AfD in Fragen der Sozialpolitik.

Urbanisierung führt zu Ausbreitung von Viren

Ist eine Krankheit erst einmal ausgebrochen, führen Urbanisierung, Slumisierung sowie globale Handels- und Reiserouten zu einer schnellen Ausbreitung des Virus. Es ist deshalb kein Zufall, dass Pandemien meist in den Peripherien entstehen, danach aber primär die Zentren des Globalkapitalismus treffen. Und hier stoßen die Viren auf neoliberalisierte Gesundheitssysteme, die solchen Belastungen nicht mehr gewachsen sind.

Der Report führt praktisch alle Ausbrüche der letzten Jahrzehnte auf die derzeitige Art zu wirtschaften zurück. So etwa den Sars-Ausbruch 2002, ebenfalls in China. Da unter anderem in Massen gehaltene Waschbären als Zwischenwirte identifiziert wurden, waren auch hier Wildtiermärkte schnell ein zentrales Gesprächsthema. Ignoriert wurde indes, dass die Tiere für die westliche Fashionindustrie gezüchtet wurden.

Der globale Wildtierhandel ist übrigens hauptsächlich auf die westliche Nachfrage nach Haustieren zurückzuführen. Ein kapitalträchtiger Markt, der seit den 1980er Jahren um 2.000 Prozent wuchs. 2003 führte der Import exotischer Tiere in den USA bereits zu einem Ausbruch der Affenpocken – und weitere Infektionen sind zu erwarten, werden hier keine einheitlichen und effizienten Regulierungen geschaffen.

Schließlich kann auch nicht ignoriert werden, dass es die globale Fleisch- und Agrarindustrie ist, welche die Umweltzerstörung systematisch betreibt. Diesen Aspekt umgeht die UN-Organisation allerdings geschickt. Durch Verweis auf eine angebliche „Corporate Responsibility“ wird erklärt, Konzerne täten im Grunde nur, was Kon­su­men­t*in­nen ihnen befehlen – als sei das Kapital inhärent demokratisch.

Epidemien kosten jährlich ca. eine Billion US-Dollar

Dagegen weist der marxistische Epidemiologe Rob Wallace darauf hin, dass das Pandemierisiko direkt mit der kapitalistischen Produktionsweise zusammenhängt. Es gebe Belege dafür, dass in Guinea die Enteignung und Kapitalisierung der Palmölwirtschaft den Ausbruch der Ebola-Epidemie ermöglichte. Auch in Ägypten habe die unter dem Mubarak-Regime vollzogene Konzentration von Agrarwirtschaft und Viehzucht zunächst für eine Slumisierung gesorgt, da Millionen Menschen an die Stadtränder gedrängt wurden – und anschließend für Ausbrüche der Vogel- und Schweinegrippe.

Natürlich hat der IPBES mit vielem recht: Es braucht eine internationale Institution, welche die Forschung koordiniert, Risikogebiete ausmacht und zum kollektiven Handeln befähigt – ein Pandemiependant zu den Pariser Klimaverträgen. Teilweise braucht es Aufklärungsarbeit oder schlicht die Bereitstellung von Kühlkettentechnologie. Auch sind Marktmechanismen nicht immer falsch: Selbstverständlich sollten Pandemierisiken in die Finanzierungen von Großprojekten einkalkuliert und ebenso selbstverständlich sollten im Wiederaufbau nach der Pandemie ökologisch vorteilhafte Projekte bevorzugt werden.

Doch wenn ein Gesundheitssektor kaum Tropenkrankheiten erforscht, weil die betroffenen Menschen nicht zahlungskräftig sind, wenn künstliche Profitbarrieren den freien Austausch von Forschungsmaterial verhindern, wenn profit­orientierte Gesundheitssysteme darin versagen, angemessen auf Pandemien zu reagieren – dann ist der Markt keine Lösung, sondern das Problem. Der Gesundheitssektor muss deshalb von den Zwängen des Marktes befreit werden, weltweit.

Wem traut man zu, eine wirklich nachhaltige Landwirtschaft zu betreiben? Den Großkonzernen, die in Biodiversität eine auszubeutende Ressource sehen, oder demokratisch organisierten Landbevölkerungen, welche diese häufig als schützendes Gemeingut wahrnehmen? Mit Blick auf Organisationen wie Tarun Bharat Sangh aus Indien, die Wasserläufe durch traditionelle Schlammsperren wiederherstellt und der hierfür ein Nobelpreis verliehen wurde, scheint die Antwort klar – und weitere Beispiele finden sich weltweit.

Derweil kosten vermeidbare Krankheitsausbrüche durch industrielle Umweltzerstörung circa eine Billion US-Dollar jährlich, wie der IPBES vorrechnet. Können wir uns den Kapitalismus also überhaupt noch leisten?

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12 Kommentare

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  • Kapitalismus *ist* die Pandemie. Zumindest in der ungehemmten Form, in der wir in betreiben.

    • @tomás zerolo:

      Interessanter Artikel. Dann hätten wir ja schon mal Eckdaten für das was den Sozialismus ausmacht.

      Bezogen auf Berlin würde das bedeuten:

      Reisebeschränkungen, Zuzugsbeschränkungen, Verlagerng von Einwohnern nach Brandenburg (Deurbanisierung), Einschränkung der Mobilität (Abbau Straßenverkehr und ÖPNV, kein Flugverkehr mehr), Verbot/Einschränkung des Fleischkonsums., Verbot von Haustieren?

  • Es liest sich so, als ob händeringend Probleme gesucht werden, die man unbedingt durch einen nicht erklärten Wandel des „Systems“ lösen muss.

  • Das ist ein guter Artikel, der es verdient hätte, ganz oben in der öffentlichen Aufmerksamkeit zu stehen. Leider habe ich ihn gestern verpasst, und wie der Autor bemerkt, hat ja auch die "Medienlandschaft" den bereits im Oktober veröffentlichten "Report des Weltbiodiversitätsrates IPBES ... mehrheitlich ignoriert".

    Erkenntnisse über die Zusammenhänge von Umweltzerstörung, Verarmung, Globalisierung und Pandemien sind natürlich nicht völlig neu. Seit der Corona-Pandemie habe ich auch gelegentlich Artikel dazu gelesen und vor bereits rund 20 Jahren hat der amerikanische Soziologe Mike Davis wichtige Bücher zu dem Thema geschrieben.



    Bemerkenswert finde ich es daher jetzt vor allem, wenn ein Gremium wie der Weltbiodiversitätsrat auf die großen Gefahren hinweist und einen Umbau der Weltwirtschaft empfiehlt, was, wie der Autor schreibt, einen "Systemwechsel" bedeuten würde.

    Doch um welches System handelt es sich?



    Und da meine ich, dass es notwendig ist, über den "Kapitalismus" hinauszugehen: Umgebaut werden muss das System militärisch rivalisierender Staaten, das keineswegs nur ein Nebenprodukt der kapitalistischen Ökonomie oder ein "Strukturmerkmal" einer neuzeitlichen kapitalistischen Gesellschaftsformation ist.



    Das System militärisch rivalisierender Staaten ist entstanden in den Anfängen unserer Zivilisation und es kann kein Zufall sein, dass alle Themen, die die Menschheit gegenwärtig bewegen am Anfang der menschlichen Zivilisationsgeschichte 10000 bis 3000 vor unserer Zeitrechung stehen: die starken Klimaveränderungen, das Patriarchat, das Privateigentum, Sesshaftigkeit und Migration, Tierhaltung und Pandemien, Verdichtung der Handelsbeziehungen durch private Unternehmer, Metallbearbeitung, Umweltzerstörung, Sklaverei, absolute Herrscher und Militarisierung.

    Eine solche Perspektive ermöglicht keinem Menschen mehr, sich auf die Position des Kapitalismuskritikers zurückzuziehen, der von undemokratischen Konzernen zur Teilnahme an einem zerstörerischen und verdummen

    • @Sailor:

      Der fehlende Text vom Vortag:

      Eine solche Perspektive ermöglicht keinem Menschen mehr, sich auf die Position des Kapitalismuskritikers zurückzuziehen, der von undemokratischen Konzernen zur Teilnahme an einem zerstörerischen und verdummenden Konsum gezwungen wird.

      Ja, die Menschen können human nur mit einem "Systemwechsel" überleben (was schwierig genug ist), aber dazu gehört auch die Bereitschaft praktisch jedes einzelnen Menschen aus der Sesshaftigkeit seiner Normalität in ein anderes Leben aufzubrechen.

  • „ Und hier stoßen die Viren auf neoliberalisierte Gesundheitssysteme, die solchen Belastungen nicht mehr gewachsen sind.“



    Also hier muss man doch einmal kritisch nachfragen: z.B. Das deutsche Gesundheitswesen ist eines der Besten der Welt. Wogegen bitte wollen Sie das dann vergleichen? Das der 80iger der BRD, das der DDR, China?

    • @Heinz Strunk:

      Nun ja, selbst wenn "das deutsche Gesundheissystem eines der Besten der Welt" ist, ist es doch immer eine Frage wo die Messlatte angesetzt wird.



      Natürlich ist der Einäugige der König unter den Blinden.

      Fakt ist, dass das deutsche Gesundheitswesen in den letzten Jahrzehnten enorm unter ökonomische Druck geraten ist, Weil der Kapitalismus im Gesundheitswesen (wie übrigens auc in der Bildung) eine Ressource zum geldschöpfen entdeckt hat.



      Patienten werden nach DRG behandelt und nicht nach dem was wirklich für die Menschen sinnvoll ist. Dies führt dazu, dass zu wenig Personal an Bord des Gesundheitswesens ist.

      Mehr dazu unter:



      gesundheit-soziale...emen/mehr-personal und die Sites drum herum.

  • Danke, sehr angemessen.

  • „Der Weltbiodiversitätsrat empfiehlt, die Wirtschaft umzubauen, um künftige Pandemien zu vermeiden. Das würde einen Systemwechsel bedeuten“



    Gut so! Aber auch schon früher hatten Ökonomen wie Marx, Lenin u. v . a, die Unvollkommenheit des kapitalistischen Wirtschaftssystems erkannt. In der Notwendigkeit der Abschaffung des Kapitalismus waren sie sich noch (weitgehend) einig. Aber ein erster konkreter Feldversuch, das sozialistisch/kommunistische Planwirtschaftssystem in der Sowjetunion und deren Satellitenstaaten, hat inzwischen eine große Zukunft hinter sich. Die sozialistische Planwirtschaft war überall, wo sie praktiziert wurde, eine Mangelwirtschaft: Anstelle der versprochenen Umverteilung von oben nach unten gab es nur eine Umverteilung des Mangels zwischen Privilegierten und Nicht-Privilegierten.



    Die betreffenden Staaten sind inzwischen wieder zum Kapitalismus zurückgekehrt. Ausnahme ist China: Dort steckt in einer kommunistischen Hülle ein knallharter kapitalistischer Kern, der eher dem Manchester-Kapitalismus des 19. Jh. ähnelt.



    Also an die Arbeit, lieber Weltbiodiversitätsrat! Entwerfen Sie ein neues Wirtschaftsmodell, das alle Nachteile, Risiken und Nebenwirkungen von Kapitalismus, sowie Sozialismus/Kommunismus vermeidet, keine neuen mit sich bringt - und trotzdem funktioniert!

    • @Pfanni:

      Danke für Ihren letzten Absatz!



      Ich wollte gerade fragen, ob der Sozialismus/Kommunismus eine Alternative bietet, die Pandemien ausschließen würde. Die für mich logische nächste Frage wäre dann, wieso die aktuelle Pandemie in einem kommunistischen Land ausbrechen konnte.

      "Ausnahme ist China: Dort steckt in einer kommunistischen Hülle ein knallharter kapitalistischer Kern, der eher dem Manchester-Kapitalismus des 19. Jh. ähnelt."

      Kennt jemand eigentlich einen chinesischen Führer/Chef-Ideologen, dem es gelungen ist, das dortige System als kommunistisch zu erklären? Oder gibt's dafür inzwischen eine neue Theorie des chinesischen Was-auch-immer-ismus?

      • @Rehunger:

        "Dort steckt in einer kommunistischen Hülle ein knallharter kapitalistischer Kern"

        Der Kommunismus kann nichts falsch machen, denn wenn es schief läuft, isses ja nicht Kommunismus. Oder es sind einfach notwendige Widersprüche auf dem Weg zum Kommunismus 🤣

  • Nur, dass die Anfangshypothese eines Überspringens auf Menschen erst in Wuhan seit langem nicht mehr haltbar ist. Da geschah nur das erste Superspreading von Mensch zu Mensch. Ein wirtswechselndes Virus braucht erst mal eine Periode der Anpassung an den neuen Wirt, bevor es sich mit voller Geschwindigkeit ausbreitet, und Mutationsstudien - von den existierenden SARS-CoV-2-Stämmen sozusagen zurückrechnen auf ihren letzten gemeinsamen Vorfahren - legen nahe, dass der Übergang von Fledermäusen auf Menschen spätestens Mitte 2019 erfolgte, irgendwo in Ostmittelchina, und das Virus von einem Wanderarbeiter nach Wuhan kam. Das erklärt auch, warum schon vor dem Huanan-Superspreading 1 oder 2 Personen in Wuhan erkrankten, die nie auf dem Markt waren (der sich um die Ecke beim zentralen Wanderarbeiter-Bahnhof der Region befindet).



    Bei SARS-1 wurde auch vermutet, es käme von Schleichkatzen, nur dass sich letztlich herausstellte, dass diese (wie auch Tanukis und Sonnendachse) sich schlicht bei Menschen angesteckt haben, so wie die Nerze im Fall von SARS-CoV-2.

    Das alles ändert aber nichts an den korrekten Schlussfolgerungen des Weltbiodiversitätsrats, denn dass kapitalismusspezifische Absonderlichkeiten des menschlichen Verhaltens aus einem mäßig gefährlichen, mäßig übertragbaren Fledermausvirus einen global verbreiteten Killer machten, ist eine Tatsache. Ohne Faktoren wie prekäre Arbeitsmigration, globale Billigflugreisen, und eine egozentrische Spaß- und Konsumgesellschaft wäre eine Handvoll älterer Bauern in Chinas Karstgebirgen an einer seltsamen "Turbo-Grippe" gestorben, und das Virus wäre ausgestorben, bevor irgendjemand außer ein paar Spezialist*innen davon erfahren hätte. So lief das seit Jahrtausenden mit Corona-, Filo- und Tollwutviren, ohne dass es mehr Spuren hinterlassen hätte, als in Eurasien und Afrika eine abergläubische Furcht vor Fledermäusen und Flughunden zu etablieren.