Minusgeschäft Regionalflughäfen: Eine Luft-Nummer
In Dortmund zahlt jeder mit der Wasserrechnung für den Betrieb eines Flughafens. Doch schon bald könnte dem „Airport 21“ das Ende drohen.
Wie auch an allen anderen deutschen Flughäfen sind die Passagierzahlen in Dortmund massiv eingebrochen. Vor der Pandemie hatte die Geschäftsführung des Airports 21 übers Jahr gerechnet 2,95 Millionen Passagiere eingeplant. Jetzt rechnet Sprecher Guido Miletic bestenfalls noch mit 1,22 Millionen Fluggästen, die von Dortmund vor allem Ziele in Osteuropa wie Katowice in Polen oder Cluj-Napoca in Rumänien, aber auch München ansteuern können. 2019, vor Corona, waren es rund 2,7 Millionen.
Tristesse prägt das Nahverkehrsterminal vor der Abflugebene. Hier wartet ein einziger leerer Bus. In warmer schwarzer Winterjacke steht davor Mario Krüger. Der 63-Jährige war bis 2016 Landtagsabgeordneter, davor elf Jahre Fraktionschef der Grünen im Stadtrat.
Heute ist Krüger Vorsitzender der „Schutzgemeinschaft Fluglärm“ – und würde das Flugfeld am liebsten sofort dichtmachen. „Niemand braucht diesen defizitären Regionalflughafen“, sagt er. „Nordrhein-Westfalens größter, vor Corona profitabler Airport Düsseldorf hat 2019 etwa 25 Millionen Fluggäste gezählt – und ist mit der Bahn wie mit dem Auto in 45 Minuten erreichbar“, so seine Begründung.
Was Krüger besonders verärgert: Im Gegensatz zu Düsseldorf hat Dortmunds Flugplatz seit 1998 in jedem einzelnen Jahr Millionenverluste geschrieben – mal waren es 28 Millionen wie 2004, mal 24 Millionen wie 2009. 2019 steckte der Betrieb mit 10,36 Millionen Euro tief in den roten Zahlen. Offiziell summieren sich die Verluste der vergangenen 22 Jahre auf mehr als 356 Millionen Euro.
„Dazu kommen noch 78,5 Millionen durch Darlehen und Kreditübernahmen durch die Stadtwerke als Hauptanteilseigner“, rechnet Krüger vor. Außerdem habe es Pensionszusagen und indirekte Subventionen, etwa für die Flughafenfeuerwehr, gegeben. Insgesamt, schätzt der langjährige grüne Ratsfraktionssprecher, habe der Flugbetrieb damit im Lauf der Jahre etwa 500 Millionen Euro an Subventionen verschlungen.
Ein Flughafen im Mehrheitsbesitz der Stadtwerke
Bezahlen muss die jede Dortmunderin und jeder Dortmunder. Schließlich gehört die Flughafen Dortmund GmbH zu 26 Prozent der Stadt selbst – und zu den restlichen 74 Prozent den Stadtwerken, die wiederum eine 100-prozentige Stadttochter sind. Vermeiden können die Bürger:innen die Quersubventionierung des Flugbetriebs nicht: Spätestens bei der Müllentsorgung sind sie Zwangskund:innen der Stadtwerke.
Unterstützt werden mit diesen Subventionen Billigfluglinien wie Wizz Air. Im August hat die ungarische Airline in Dortmund eine Basis eröffnet und in Dortmund drei Maschinen stationiert. Die aber seien sofort weg, wenn Gewerkschaften für eine Verbesserung der prekären Arbeitsbedingungen kämpfen würden, erklärte der Chef von Wizz Air, József Váradi, gegenüber dem Portal aerotelegraph: „Das machen wir überall so. Gewerkschaften zerstören das Geschäft“, glaubt der 54-jährige Ökonom. „Wenn die Gewerkschaften versuchen, uns zu erwischen, dann schließen wir einfach die Basis und ziehen weiter.“
Dortmunds Flughafen ist von Wizz Air abhängig. Rund 70 Prozent des Passagieraufkommens habe die Billigfluglinie 2019 gestellt, sagt Krüger – und blickt dabei auf die Abflughalle, in der nur wenige Fluggäste warten. Vielen ist anzusehen, dass sie schlecht bezahlte Arbeitsmigrant:innen sind: Statt teurer Aluminium-Rollkoffer besteht ihr Gepäck oft aus Plastiktüten und mit Folie umwickelten Paketen.
Gehalten werden könne Wizz Air nur mit massivem Preisdumping, sagt auch der Unternehmer Johannes Kleinschnittger, der die Zwangssubventionierung seit Jahren kritisiert: Im Jahr 2000 seien pro Passagier:in noch Gebühren von 11,64 Euro fällig gewesen, rechnet der Dortmunder mit Blick auf die Entgeltordnung des Regionalflughafens vor. Heute zahle Wizz Air „keinesfalls“ mehr als 5,86 Euro.
„Wenn Sie im Sommer bei uns im Garten sind, verstehen Sie Dutzende Male am Tag ihr eigenes Wort nicht mehr“, sagt Rolf Reinbacher. Der 68-jährige frühere Bankkaufmann sitzt in der Küche der rotverklinkerten Doppelhaushälfte im Stadtteil Aplerbeck, die er zusammen mit seiner Frau Regina in den Achtzigern gebaut hat. „Normalerweise donnern hier morgens, mittags und abends Jets drüberweg“, klagt der Rentner – denn das Haus der beiden liegt direkt in der Abflugschneise des keine fünf Kilometer entfernten Airports. „Im Moment“, sagt Reinbacher, „hören Sie natürlich nichts – am Flughafen ist ja tote Hose.“
Als das Ehepaar Reinbacher 1988 in Aplerbeck einzog, bestand am Airport nur ein kleines Geschäftsterminal. 1.050 Meter war die bis heute einzige Start- und Landebahn lang. Doch der lange in Dortmund allein regierenden SPD galt das Flugfeld als Prestigeprojekt, das den Anschluss der selbsternannten „Westfalenmetropole“ an die Welt sichern sollte – und das wurde ausgebaut: 1997 wurde die Startbahn erst auf 1.450, zur Jahrtausendwende dann auf 2.000 Meter verlängert.
Und der Flughafen soll weiter wachsen. Beantragt ist die Aufhebung der sogenannten Landeschwellen – um die Anwohner:innen auch im benachbarten Unna zu schützen, dürfen bisher nur 1.700 Meter der Landebahn genutzt werden. Für Fluglinien bedeutet das: Je nach Wetterlage können ihre Maschinen nicht voll besetzt landen.
„Unverantwortlich“ sei die faktische Verlängerung der Landebahn, findet der Dortmunder Vorsitzende des Umweltverbands BUND, Thomas Quittek. 725.000 Tonnen Kohlendioxid würden jedes Jahr am Flughafen in die Luft geblasen, sagt Quittek, der mit dem Fahrrad nach Wickede gekommen ist. Dabei seien gerade innerdeutsche Ziele wie München auch bequem mit der Bahn erreichbar.
Lärmgegner hoffen auf Brüssel
Mario Krüger, Vorsitzender der Schutzgemeinschaft Fluglärm, hofft deshalb auf die Europäische Union. Die hat die massiven Subventionen für die insgesamt 14 deutschen Regionalflughäfen wie Frankfurt-Hahn, Kassel-Calden oder Erfurt-Weimar geprüft. Vor sechs Jahren verfügte die Europäische Kommission, dass all diese mit Staatsgeld künstlich am Leben gehaltenen Flughäfen bis zum 1. Januar 2024 schwarze Zahlen schreiben müssen.
Doch danach sieht es gerade nicht aus: Schon im Geschäftsjahr 2018 war etwa Frankfurt-Hahn mit 15,1 Millionen, Kassel-Calden mit 5,9 Millionen und Erfurt-Weimar mit 2 Millionen Euro in den Miesen. Zu einem regelrechten Desaster entwickeln sich die Zahlen in diesem Jahr. „Alle Flughäfen werden in den nächsten Jahren kein Geld verdienen“, musste Ralph Beisel, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft deutscher Verkehrsflughäfen (AdV), bei einer Anhörung im nordrhein-westfälischen Landtag im September einräumen.
Durch den „Corona-Hammer“ liege das „Luftverkehrsaufkommen zurzeit weit unter 10 Prozent“, sagt AdV-Sprecherin Isabelle Polders. „Da kann man nur defizitär sein.“ Der Regionalflughafen Paderborn-Lippstadt hat deshalb bereits Insolvenz angemeldet. Und für den Airport Münster-Osnabrück, der 2018 ein Minus von 6,5 Millionen Euro einfuhr, beziffert Geschäftsführer Rainer Schwarz die „covidbedingten Verluste“ auf 1 Million Euro – pro Monat.
In Brüssel kämpft der Flughafenverband deshalb um eine Fristverlängerung – die regionalen Airports sollen auch über 2023 hinaus subventioniert werden dürfen. CSU-Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer will außerdem der gesamten Luftverkehrsbranche unter die Arme greifen: Von der EU-Kommission hat der Bayer im August coronabedingte Unterstützung in Höhe von 1,36 Milliarden Euro genehmigen lassen. Bei einem Luftverkehrsgipfel Ende November war von weiteren „Entlastungen“ in Höhe von einer Milliarde Euro die Rede.
Doch ob und wie viel Geld wohin genau fließen wird, bleibt unklar – die Verkehrsministerien in Berlin und in Düsseldorf ließen entsprechende Anfragen der taz unbeantwortet. „Völlig intransparent“ seien Scheuers Versprechen, sagt deshalb der Verkehrsexperte Werner Reh. Bundesverkehrsminister Scheuer müsse die Hilfen endlich offenlegen.
Reh ist Mitautor einer im August veröffentlichten Studie zum Thema Regionalflughäfen. „Ökonomisch und klimapolitisch unverantwortlich“ sei deren Dauersubventionierung, lautet das Fazit. „Nur durch Steuergeld werden Billigflüge, etwa von Dortmund nach München für 39,90 Euro, möglich“, sagt Reh. Der Staat sorge damit selbst dafür, dass sein eigenes klimafreundliches Unternehmen Bahn kaum konkurrenzfähig sei.
Rettungsbemühungen des Oberbürgermeisters
Doch aller aktuellen Coronahilfen zum Trotz: Bleibt EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager beim Verbot staatlicher Subventionen ab dem Jahr 2024, sei mit den 14 defizitären deutschen Regionalflughäfen wie Erfurt-Weimar, Saarbrücken & Co in vier Jahren „Schluss“, glaubt auch Reh. In Dortmund bringt SPD-Oberbürgermeister Thomas Westphal deshalb bereits eine „Flughafen-Allianz“ mit Münster-Osnabrück und Paderborn-Lippstadt ins Gespräch.
„Bevor die Flughäfen einfach so verschwinden, können wir eher darüber reden, wie wir sie nutzen und wie über einen solchen Verbund ein leistungsfähigeres Luftverkehrssystem hier in Westfalen aufrechtzuerhalten ist“, wirbt Westphal. Die Reaktionen sind mehr als skeptisch: „Uns konnte bislang noch niemand erklären, worin eigentlich die Vorteile eines solchen Zusammenschlusses liegen sollen“, sagt etwa der Sprecher des Flughafens Münster-Osnabrück, Andrés Heinemann.
Im Stadtrat ist eine Mehrheit aus Grünen, CDU und Linken schon einen Schritt weiter. In einem gemeinsamen Antrag fordern ihre Fraktionen von Westphals Verwaltung, „Nachfolgeszenarien für die Wertschöpfung auf der Fläche des Dortmunder Flughafens zu identifizieren“. Die drei Parteien haben das Ende des Airports also bereits im Blick – beraten wird der Antrag pandemiebedingt Anfang Februar.
Auf der Hunderte Quadratmeter großen Besucherterrasse des Flughafens in Dortmund steht ein einziger, einsamer Planespotter. Auf dem Flugfeld verlieren sich nur drei Maschinen von Wizz Air, Lauda und Eurowings. „Nichts los hier“, sagt der Mann, dessen Hobby die Flugzeugbeobachtung ist – und geht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Abschiebung von Pflegekräften
Grenzenlose Dummheit
Altvordere sollen Linke retten
Hoffen auf die „Silberlocken“
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein