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Meinungsfreiheit in IranZombies im Iran

Sie inszenierte sich als Zombie-Version von Angelina Jolie: Nun ist der iranische Instagram-Star Sahar Tabar zu zehn Jahren Haft verurteilt worden.

Das Foto stammt aus dem vermeintlichen Geständnis-Video nach ihrer Verhaftung Foto: RIB TV/afp

Auf einem Foto ziehen sich mit rotem Faden zugenähte Narben über die Wangen, hellgrüne Strähnen leuchten im Haar, glasblaue Augen werfen tiefschwarze Schatten ins leichenblasse Gesicht. Sahar Tabars Instagram-Account muss früher einem Gruselkabinett geglichen haben, inzwischen wurde der Account von der iranischen Regierung gesperrt und seine Inhaberin am vergangenen Freitag zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt.

Hinter der Kunstfigur Sahar Tabar steckt die 23-jährige Iranerin Fatemeh Khishvand. Make-up und Photoshop hatten ihr den Ruf als „Fake Angelina Jolie“ eingebracht, gepaart mit etwas Gothic und Pop-Surrealismus von Tim Burton. Ihre Gruselkunst verschaffte ihr über 480.000 Follower auf Instagram – doch am 5. Oktober 2019 wurde sie dafür verhaftet. Die Vorwürfe: Blasphemie, Aufstachelung zur Gewalt, Missachtung der Kleidungsvorschriften, Geldeinnahmen durch unangemessene Mittel und Ermutigung der Jugend zu Verderbnis.

Tabar wurde bekannt als die Frau, die Angelina Jolie doubeln wollte, aber als Tim Burtons Charakter der Leichenbraut endete. Zu ihren schrägen Bildern erfand sie die Geschichte, dass sie mindestens 50 Schönheitsoperationen gehabt habe. In einem Interview im Dezember 2017 sagte sie aber, dass es in Wharheit nur drei Operationen gewesen seien: Sie habe nur eine Nasenkorrektur machen lassen, Botox in die Lippen gespritzt und Fett abgesaugt bekommen.

Ein paar Fotos auf dem Instagram Kanal „Sahar Tabar before“ zeigen ihr Gesicht, darunter Fotos mit weißem Verband um die Nase. In Iran ist die Anzahl der vorgenommenen Nasenoperationen weltweit am höchsten. Die Geistlichen erlauben es, da Gott die Schönheit liebe.

Jedes Mal, wenn ich ein Foto veröffentliche, gestalte ich mein Gesicht auf immer witzigere Weise

Fatemeh Khishvand alias Sahar Tabars

In Iran sind Facebook und Twitter gesperrt

Sahar Tabar erlangte Aufmerksamkeit und schließlich weltweit Berühmtheit. Zeitungen aus Indien, Belgien, den arabischen Staaten berichteten über die Frau, die „alles tun würde“, um wie Angelina Jolie auszusehen. Einem russischen Nachrichtenportal sagte sie im Dezember 2017: „Jedes Mal, wenn ich ein Foto veröffentliche, gestalte ich mein Gesicht auf immer witzigere Weise.“ Es sei ihre Art, sich auszudrücken, eine Art Kunst. Das stieß den Behörden übel auf. In Iran sind Facebook und Twitter gesperrt. Weil Instagram jedoch nicht von der Regierung blockiert wird, ist es eine beliebte Plattform für junge Menschen geworden, provokative Kleidung und Make-up zu zeigen.

Einen knappen Monat nach Fatemeh Khish­vands Verhaftung im Oktober 2019 sendete der iranische Staatssender ein Interview mit dem Star. In dem Beitrag zeigt Khishvand ein Foto auf ihrem Handy. Darauf zu sehen ist ein Mädchen mit braunen Augen und locker sitzendem Kopftuch. „So ähnlich sehe ich heute aus“, sagt sie, ihr Gesicht ist vom Sender unscharf gezeichnet. Dargestellt wird Fatemeh Khishvand hier als Kind geschiedener Eltern, eine junge Frau mit einer psychischen Störung.

Es war nicht das erste vermeintliche Geständnis-Video im iranischen Staatsfernsehen. Über die Bildschirme liefen bereits „Entschuldigungen“ von Tänzer*innen oder Tanztrainer*innen mit zehntausenden Followern. Die iranische Regierung hat 2020 Dutzende im Iran prominente Instagramer*innen eingesperrt, darunter Models, Athlet*innen oder Schauspieler*innen, wie das Zentrum für Menschenrechte Iran mitteilt.

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5 Kommentare

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  • Türken, Perser und Arabaer (und eventuell Israelis) brauchen dringend eine Säkularisierung ihrer geselleschaftlichen Ordnung. Diese kann jedoch nicht von außen kommen, sondern muss immer von innen her geleitet werden und am besten ohne Einfluss des Westens. Das wird zwar noch lange dauern, aber ich hoffe mal, dass es irgendwann klappt.

    • @Montagsdepression:

      Gute Idee! Der Westen macht also gar nichts, es darf weiter gefoltert und gemordet werden.

      Erheben sich die Menschen und fordern ihre selbstverständlichen Rechte ein, wird der Protest vom Regime im Blut erstickt.

      Der Westen tut gar nichts.

      Müssen wir wohl noch hundert Jahre warten und einstweilen eben Geschäfte mit dem Iran machen.

      • @Jim Hawkins:

        Wie es sich um geschäftliche Verbindungen zum Iran hält, habe ich hier nicht thematisiert. Hier sehe ich in der Tat einigen Spielraum um einen westlichen Standpunkt klar zu machen. Wovon ich aber dringenst abrate, ist eine militärische Einmischung.

        • @Montagsdepression:

          Das ist klar. Ich bin ja auch nicht für eine militärische Intervention.

          Aber zwischen dieser Option und der des Nichtstuns gibt es ja doch eine Palette von Möglichkeiten.

          • 9G
            90564 (Profil gelöscht)
            @Jim Hawkins:

            ohne eine militärische intervention hätte saddam hussein atomwaffen gehabt, militärische interventionen KÖNNEN ein mittel sein, aber eben auch ein sehr gefährliches, welches gut durchdacht sein sollte. allerdings sind die menschenrechtssituation im iran und die bemühungen der islamischen republik die atombombe zu bauen zwei unterschiedliche sachverhalte