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Jeremy Corbyn in der LabourparteiErst draußen, dann wieder drin

Ein parteiinterner Ausschuss hat den Ex-Vorsitzenden wieder aufgenommen. In die Parlamentsfraktion könne er aber nicht, so Labour-Chef Keir Starmer

Der ehemalige Labourführer Jeremy Corbyn: Seit Dienstag wieder Parteimitglied Foto: Henry Nicholls/reuters

London taz | Der ehemalige Labourführer Jeremy Corbyn ist seit Dienstag wieder Mitglied der Partei. Am 29. Oktober war seine Mitgliedschaft suspendiert worden, weil er kurz nach dem vernichtenden Urteil der britischen Menschenrechtskommisions EHRC über Antisemitismus in der Labourpartei unter Corbyn sich beeilt hatte, den Antisemitismusvorwurf als übertrieben zu bezeichnen. Zur Rücknahme der Suspendierung bedurfte es einer Klarstellung auf Facebook von ihm, in der er seiner Aussage von damals direkt widersprach. Zum Ende der Suspendierung verhalf ihn dann der erst am Freitag neugewählte Parteivorstand (NEC), in dem der linke Parteiflügel eine leichte Mehrheit genießt.

Corbyn wieder drin, bevor sich Labour gründlich mit dem EHRC-Bericht auseinandersetzen konnte – dies sorgte noch am Dienstag abend für zornige Reaktionen aus jüdischen Rängen, darunter der Verband jüdischer Labour-Mitglieder JLM. Auf der anderen Seite gab es große Erleichterung unter Corbyn-Anhänger*innen, die prompt begannen, ihre Gegner wieder als „Blairites“ und „Zionisten“ zu beschimpften.

Doch beide Seiten hätten sich die Reaktionen sparen können. Kurz vor Mittwochmittag kündigte Parteiführer Keir Starmer an, dass Corbyn nicht mehr in die Labour-Parlamentsfraktion aufgenommen werde. Starmer hatte das Urteil der EHRC akzeptiert und betont, bei Antisemitismus in der Partei gelte für ihn Nulltoleranz.

„Jeremy Corybns Handeln hat unsere Arbeit, die Glaubwürdigkeit und Zuversicht und die Fähigkeit Labours zum Kampf gegen Antisemitismus wiederherzustellen, untergraben und zurückgeworfen“, so Starmer. „Unter diesen Umständen habe ich mich entschieden, die Fraktionsmitgliedschaft Jeremy Corbyns nicht wiederherzustellen. Ich werde diese Situation beständig überprüfen.“ Weiter sagte er, die Aufhebung von Corbyns Suspendierung zeige, dass die Glaubwürdigkeit der Partei in den Augen der jüdischen Gemeinschaft keineswegs wiederhergestellt sei.

Die Linke in der Partei fühlt sich düpiert

Die widersprüchlichen Entscheidungen beider Seiten – des Vorstands und Starmers – stehen im Widerspruch zu einer EHRC-Kernempfehlung an Labour, nämlich dass Anschuldigungen wegen Antisemitismus in Zukunft von einem parteiunabhängigen Gremium verhandelt werden sollten. Dieses Gremium existiert noch nicht. Derweil fühlt sich die Linke düpiert. Die Gruppe „Red Labour“ twitterte an Keir Starmer, dass seine Entscheidung rachsüchtig, spaltend und provokativ sei. „Wir haben eine Botschaft für Sir Keir: Vor Dir steht ein Kampf“, warnten sie.

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5 Kommentare

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  • „Jeremy Corybns Handeln hat unsere Arbeit, die Glaubwürdigkeit und Zuversicht und die Fähigkeit Labours zum Kampf gegen Antisemitismus wiederherzustellen, untergraben und zurückgeworfen [...] Unter diesen Umständen habe ich mich entschieden, die Fraktionsmitgliedschaft Jeremy Corbyns nicht wiederherzustellen. Ich werde diese Situation beständig überprüfen.“

    Vielleicht sollte ich mich korrigieren. Sieht aus, als hätte die Sitte der Kelten, im Problemfall (ausgewählte) Anführer zu opfern, doch überlebt. Wobei Parteiführer Keir Starmer ja eigentlich nicht „die Partei“ ist, sondern nur ihr Repräsentant. Repräsentant einer Partei, wohl gemerkt, die als Ganze ein Antisemitismus-Problem hat. Ob nun aktiv, passiv oder beides, sei noch dahingestellt.

    Aber womöglich ist es ja gar nicht zu begrüßen. Dass die keltische Opfer-Kultur überlebt hat. Denn heutzutage sind die Hierarchien steil. Und (zu) viele Menschen neigen dazu, Schuld von sich selbst weg und anschließend anderen in die Schuhe zu schieben. Wenn sie keine vernünftige Erklärung haben für das Versagen einer von ihnen repräsentierten Gruppe und/oder diesem Versagen nicht abhelfen können qua Funktion, sich aber nicht haftbar machen lassen wollen dafür, nutzen sie die Gelegenheit jedes Mal, um ihre Konkurrenz zu dezimieren. Und das ist ja wohl auch nicht unbedingt im Sinne der Erfinder des Prinzips Verantwortung.

    • 0G
      06438 (Profil gelöscht)
      @mowgli:

      "" Repräsentant einer Partei, wohl gemerkt, die als Ganze(s) ein Antisemitismus-Problem hat.""



      ==



      Dieses Antisemitismusproblem hat sich bis zur Unerträglichkeit erst unter Corbyn zugespitzt.

      Die Signalwirkung seiner politischen Zuwendung zu Hamas hat wohl die Antisemiten aus der Mottenkiste gelockt - wobei Corbyn den ersten Parteiaustritten aus der Labourpartei wegen Antisemitismus nicht die notwenidige Bedeutung zugemessen hat.

      Movimiento - und mit dieser Bewegung sind es wohl die Gruppierungen am linken Rand die permanent antisemitische Ausfälle generieren.

      Die Chance das abzustellen hat Corbyn nicht genutzt - im Gegenteil - trotzdem ihm auch das Stimmen bei der Wahl 2019 gekostet hat.

      Das das Antisemitismusproblem den linken Rand betrifft können sie an den wutentbrannten "Blairity" und "Zionisten" Anfeindungen aus dieser Richtung gegenüber den Moderaten leicht erkennen. Warum sollten die Linksextremisten ätzende Schmährufe gegen einen Teil der Partei ablassen - wenn es nicht diejenigen wären, die unter Keir Starmer dem Antisemitismus ein Ende bereiten wollen?

  • Also, dass ich das richtig verstehe: Ein Bericht bekundet Jeremy Corbin, dass unter seinem Parteivorsitz Antisemitismus in seiner Partei existierte. Der solchermaßen öffentlich angegriffene bezeichnet den Vorwurf als übertrieben. Eine Verteidigung, die jedem zusteht, der öffentlich angegriffen wird.



    Und dafür wird er aus der Partei ausgeschlossen?

  • Da hat Sir Keirs mühsam zurechtgelegte Hinterzimmertaktik einfach nichts genutzt: Die Parteibasis hat dem Starmer-Ukas einen herben Dämpfer verpasst. Die Dominic-Cummings-Methoden könnten Starmer noch zum Verhängnis werden...