Eine Person mit Mund-Nasen-Schutz geht vor einer Wand mit bunt gefärbten Blättern

Teil einer Risikogruppe? Das sieht man den Menschen nicht unbedingt an Foto: dpa

Risikogruppen und die Coronakrise:„Ich lass mich nicht unterkriegen“

Vier Menschen erzählen von der Angst vor einer potenziell tödlichen Infektion, der Wut über Coronaleugner und ihrer Hoffnung auf den Impfstoff.

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1.11.2020, 19:05  Uhr

Je länger die Coronakrise dauert, desto unsolidarischer – oder unvernünftiger – scheinen manche Menschen zu werden: Was sollen „wir Gesunden“ uns einschränken, wenn das Virus nur für einige gefährlich ist? Doch „die Risikogruppe“ abschirmen geht nicht, zu eng verwoben sind unsere Leben. Vier Menschen berichten von der Angst vor einer potenziell tödlichen Infektion, von der Wut über Coronaleugner und der Hoffnung auf den Impfstoff.

„Mit diesem Virus darf ich mich nicht anstecken“
Rebecca Maskos sitzt im Rollstuhl auf ihrem Balkon

Rebecca Maskos Foto: privat

Ganz am Anfang wurde ja gesagt, dass sich 70 Prozent der Bevölkerung anstecken müssen, bis die Pandemie vorbei ist. Und sie sich auch anstecken werden. Ich hab mir gedacht: Wie soll ich es denn schaffen, ausgerechnet zu den paar Glückskeksen zu gehören, an denen Corona vorbeigeht? Mein Beschluss: Ich bleib zu Hause bis zur Impfung, gehe höchstens mal um den Block oder in den Wald. Denn mir war klar: Mit diesem Virus darf ich mich auf keinen Fall anstecken. Mit meinem halben Liter Lungenvolumen sah ich mich anderenfalls schon auf der Intensivstation.

45, wohnt im Corona-Superhotspot Neukölln. Am heimischen Schreibtisch arbeitet sie an einer Promotion in den Disability Studies. Außerdem schreibt sie als freie Journalistin zu behindertenpolitischen Themen. Sie lebt mit der sogenannten Glasknochenkrankheit.

Ich war anfangs ziemlich panisch. Klebt das Virus an den Lebensmitteln, muss ich die Verpackungen abwaschen? Fängt man sich das schon im Vorbeigehen ein? Wann kommt endlich diese verdammte Impfung? Ich hörte mir so ziemlich jeden Virologen-Podcast an und war ständig auf Nachrichtenseiten. Nach und nach sanken die Zahlen, und es wurde klar: Draußen und mit Abstand, da dürfte eigentlich nichts passieren. Ab Mai ging ich wieder öfter raus, traf mich mit Freund*innen. Das konsequente Zuhausebleiben hält sowieso keiner durch. Endlich wieder ein Sozialleben zu haben, ein bisschen Normalität, Abwechslung zum öden Alltag am Homeoffice-Schreibtisch – das hat mich erleichtert. In Gebäude ging ich aber noch nicht rein. Keine Umarmung, keine Besuche in der Wohnung vertrauter Menschen außer bei solchen, die sich für mich ebenfalls vor Corona schützten.

Allmählich wurde ich unvorsichtiger, für meine Verhältnisse. Irgendwann muss man draußen mal aufs Klo und dafür rein ins Café. Oder Haareschneiden oder zum Arzt. Mir fiel auf: Wie die Freund*innen mir draußen am Cafétisch gegenübersitzen oder Bekannte mir beim Quatschen auf der Straße gegenüberstehen, das sind garantiert keine eineinhalb Meter. Trotz allgegenwärtiger Masken und Abstandsgebote vergessen manche, dass sie mir viel zu nahe kommen. Irgendwann fing ich an, immer selbst auf Abstand zu gehen.

Zu vermeiden, einen Infekt mit eventuell anschließender Lungenentzündung zu bekommen, fand ich schon vor Corona jeden Winter anstrengend – da schleppte sich doch jede*r vollgerotzt zur Arbeit oder auf die Party. Ich bin gespannt, ob sich das nach Corona ändern wird. Was ich mittlerweile anstrengend finde: dass Corona für viele Leute sehr weit weg oder sogar erledigt zu sein scheint. Dass sich viele so unverletzlich vorkommen, nicht nur junge Leute. Auch nach vielen Berichten über gravierende Spätfolgen, gerade bei leichten Verläufen. Dass das Problem der Pandemie immer noch nur in „der Risikogruppe“ lokalisiert wird – und dass es deshalb angeblich ausreicht, Altenheime besser zu schützen.

Statt Menschen in Heime einzusperren, sollten wir uns lieber vor Augen führen: Corona hält sich nicht an konstruierte Gruppen und abgegrenzte Orte. Nur ein Bruchteil der viel zitierten „Alten“ und „Schwachen“ lebt überhaupt im Heim. Alle Gefährdeten haben alltäglich Kontakt zu Menschen, die Kontakt mit dem Virus haben können. Je nach Rechnung macht „die Risikogruppe“ bis zu 40 Prozent der Gesellschaft aus. Wir haben als Ganzes Corona – und nur als ganze Gesellschaft werden wir es los.

Die zweite Welle, der Blick in Länder wie Belgien ist beängstigend: Mit den steigenden Infektionszahlen wächst auch wieder die Gefahr der Triage, der Priorisierung intensivmedizinischer Behandlungen je nach Allgemeinzustand. Das schließt ein, dass im schlimmsten Fall behinderte Menschen wie ich keine Intensivbehandlung bekommen.

Wen Corona erwischt Es gibt nicht die, die auf jeden Fall schwer erkranken, und jene, die kein Risiko haben. Auch jüngere Menschen ohne Vorerkrankungen sind nicht gegen schwere Verläufe gefeit, wie Ärzte und Wissenschaftler beobachten und berichten.

Risikofaktoren Es gibt aber laut Robert-Koch-Institut Risikofaktoren, die einen schweren Verlauf deutlich wahrscheinlicher machen. Schon ab 50 Jahren steigt das Risiko an und erhöht sich mit jedem Lebensjahrzehnt deutlich. Faktoren wie Rauchen und Übergewicht können sich ebenfalls negativ auswirken. Außerdem sind Menschen mit akuten und chronischen Erkrankungen des Herzens, der Lunge, der Leber, der Nieren, Krebserkrankungen, Organtransplantierte und andere mit einem geschwächten Immunsystem gefährdeter. Das gilt insbesondere mit zunehmendem Alter, bei schlechter medikamentöser Versorgung oder mehreren Grunderkrankungen. In Berlin sind übrigens allein fast 40 Prozent der Bevölkerung 50 Jahre und älter.

Triage Hohe Infektionszahlen und damit die Überlastung des Gesundheitssystems sind für Menschen mit erheblichen Vorerkrankungen besonders problematisch. Im Falle von Engpässen entscheiden Notfallmediziner*innen anhand verschiedener Kriterien, wer Vorrang etwa an Beatmungsgeräten hat. Diese Einteilung wird auch Triage geannt. (mah)

Ich bin nun noch mehr zu Hause als vorher. Damit ich nicht vereinsame, hab ich mir einen Heizstrahler gekauft und lasse jetzt öfter mal jemanden auf meinen Balkon als noch zu Zeiten des ersten Lockdowns. Meine Eltern, die ebenfalls in einem Hotspot leben, beide über 80, kann ich erst mal nicht mehr besuchen. Zeit, viel zu arbeiten, aber mit weniger Freude, denn es gibt kaum einen Ausgleich. Mein Leben ist im Stand-by-­Modus, ich hoffe, nicht auf Dauer.

„Mich kann man nicht komplett abschotten“
Richard Bauer mit Atemmaske

Richard Bauer Foto: privat

Ich bin 30 Jahre alt geworden im März, eine Woche vorm Lockdown. Das war Timing! Meinen Geburtstag konnte ich noch groß feiern. Ich wohne seit mehr als 10 Jahren in Berlin. Nach meiner Ausbildung in Potsdam bin ich hergezogen, weil es hier 24-Stunden-Assistenz gibt, ohne die ich nicht allein leben könnte. Ich gehöre zur Risikogruppe, weil ich Muskeldystrophie Duchenne habe. Das ist eine angeborene Muskelerkrankung, die auch Lunge und Herz betrifft. Ich kann noch ein bisschen den Kopf und die Hände bewegen. Seit fünf Jahren werde ich dauerhaft beatmetet. Damals hatte ich eine Herzmuskelentzündung durch zwei Viren, keiner weiß, wo die herkamen. Wenn ich die Beatmung nicht gehabt hätte, wäre mein Leben zu Ende gewesen.

30, lebt in Friedrichshain – „mittendrin“, wie er sagt. Er hat eine Ausbildung zum Bürokaufmann, ist aber erwerbsunfähig und lebt mit Muskeldystrophie Duchenne, einer fortschreitenden genetisch bedingten Erkrankung. Sein jüngerer Bruder ist vor einem Jahr daran gestorben.

Viele Duchenne-Patienten sterben früh. Auch meinen Eltern hat man damals gesagt, dass ich nur 18 bis 20 Jahre alt werde. Jetzt bin ich schon 30, es gibt wenige von uns, die so alt werden dürfen. Dafür bin ich ganz schön aktiv: Ich bin im Sportverein TuS ­Hohenschönhausen und spiele ­Powerchair-Hockey – früher E-Rollstuhl-Hockey genannt. Unsere Mannschaft, die Rocky Rolling Wheels, spielen auch in der Bundesliga. Ich bin gern auf Reisen und sehr ­aktiv für die Deutsche Duchenne-Stiftung. Ich bestärke andere Duchenne-Patienten darin, so selbstständig wie möglich zu leben. So wurde ich auch von meinen Eltern erzogen. Mein Kopf ist klar, nur mein Körper kann nicht so. Das heißt aber nicht, dass ich mein Leben lang bei meinen Eltern wohnen bleiben muss, das wollte ich auch gar nicht. Es ist für Kinder mit Duchenne wichtig, selbstbewusst mit der Krankheit umzugehen.

Wenn mich jetzt Freunde oder Verwandte besuchen, tragen sie die ganze Zeit Mund-Nasen-Maske, meine Assistenten sowieso. Nur meine Eltern nehmen bei mir in der Wohnung die Maske ab, die wissen aber auch, was da dranhängt, und passen überall sonst total auf. Ich selbst trage ja im Prinzip auch die ganze Zeit Maske – die Beatmungsmaske. Die Luft wird von außen angesaugt und läuft durch einen Filter. Das ist schon mal ein kleiner Schutz. Aber die Angst bleibt natürlich, ich hab einfach ein geschwächtes Immunsystem. Ein Atemwegsinfekt kann für mich tödlich sein. Deshalb geben mir Gesichtsmasken und mehr Hygiene bei anderen generell mehr Sicherheit – nicht nur was Corona betrifft.

Im August hat die Duchenne-Stiftung eine Aktion auf dem Pariser Platz gemacht, am Rand der großen Demo gegen die Coronamaßnahmen, um auf uns als Risikogruppe aufmerksam zu machen. Ich selbst war aus Sorge vor einer Ansteckung nicht dabei. Ich habe stattdessen mit den Duchenne-Jungs einen Ausflug in den Zoo gemacht – mit Abstand natürlich und nach den offiziellen Öffnungszeiten. Mir wäre das auch zu viel geworden auf dem Pariser Platz, mit den vielen Menschen ohne Mundschutz. Mir war das unheimlich.

Nur die Risikogruppen abzuschotten, damit alle anderen wieder ein ganz normales Leben führen können, halte ich übrigens für totalen Blödsinn. Ich muss komplett versorgt werden, mich kann man nicht komplett abschotten. Die Ansteckungsgefahr bleibt dieselbe, weil ständig wechselnde Assistenten bei mir notwendig sind.

Und für mich heißt Abschottung: kein Sport, keine Sozialkontakte. Dann liege ich nur im Bett und sitze zuhause allein im E-Rolli. Gerade für mich ist es doch aber wichtig, meine kurze Lebenszeit, die mir noch bleibt, ausschöpfen zu können. Ich warte jetzt auf den Impfstoff, das ist die große Hoffnung. Ich lass mich da nicht unterkriegen.

Wenn ich draußen Menschen ohne Mundschutz begegne und die sich direkt neben mich stellen, werde ich extrem angespannt. Das macht mich auch sehr wütend, richtig sauer. Die reden dann von unzumutbaren Einschränkungen. Das ist doch völlig überzogen. Die sollen mich mal anschauen, und dann reden wir noch mal von Einschränkungen und Freiheit! Ich habe seit 5 Jahren meine Beatmungsmaske auf der Nase und ich habe nicht die Möglichkeit, sie zu Hause abzunehmen, weil ich keinen Bock mehr habe oder die Nase wundgescheuert ist. Das sind Einschränkungen!“

„Uns geht es doch vergleichsweise wirklich gut“
Brigitte Lommel-Overhaus

Brigitte Lommel-Overhaus Foto: privat

Ach, diese ganzen Verschwörungstheoretiker, das Schlimmste ist jetzt noch QAnon, das wurde ja viel zu spät wahrgenommen. Zum Glück habe ich niemanden in meinem Freundeskreis, ich wüsste gar nicht, wie ich meinen Zorn bremsen sollte. Menschen, die vor Polizisten ausspucken und sagen, so, jetzt kriegst du auch Corona! Das hätte ich nicht erwartet, dass Menschen so werden. Aber: Während des ersten Lockdowns habe ich viel gelesen. Ich hab mich mal wieder mit Camus auseinandergesetzt. Sie wissen schon: Die Pest. Und dieses tolle Buch einer amerikanischen Schriftstellerin: 1918. Die Welt im Fieber. Über die Spanische Grippe. Da gab es das alles auch schon. Das ist schon irre, wie sich das wiederholt.

ist Pensionärin, war früher im Sonderschuldienst und ist im Juli 80 Jahre alt geworden. Seit fast einem Jahr Berlinerin, wohnt sie mit ihrem Mann in Tempelhof. „Da sieht es mit den Infektionszahlen ja auch nicht so gut aus“, sagt sie.

Also mit Lesen kam ich gut durch diese Zeit. Eigentlich ist vor allem mein Mann der Risikopatient, er ist zu 100 Prozent schwerbehindert und hat COPD, eine chronische Atemwegserkrankung. Das ist besonders gefährlich bei Corona.

Vor einem Jahr sind wir nach Berlin gezogen, weil unser Haus nicht behindertengerecht war und mein Sohn hier lebt. Ich wollte schon mein Leben lang nach Berlin.

Damals, als das losging mit Corona, dachten wir, China ist weit weg. Bis dann mein Sohn sagte, das ist jetzt ernst. Dann haben wir uns komplett abgeschottet. Mein Sohn und die Enkel sind für uns einkaufen gegangen – mein Sohn die Lebensmittel, der Enkel hat Bücher gebracht. Das haben sie vor die Tür gestellt, keiner hat unsere Wohnung betreten. Wenn ich doch mal rausmusste, zum Arzt, dann mit dem Taxi. Ich hatte mein Auto verkauft, als ich nach Berlin zog, dann kann ich das Geld ja jetzt ins Taxi stecken. Ich habe mir angewöhnt, immer beim Bestellen zu sagen: Aber bitte eins mit Trennscheibe. Das klappt gut. Inzwischen fahre ich auch wieder Bus, der 184er hält direkt vor unserer Tür.

Ein bisschen zwanghaft kam ich mir vor, weil ich jeden Morgen die Zahlen und die Coronalage nachgelesen habe. Das mache ich immer noch. Aber für mich relativiert sich das alles auch ein bisschen. Ich habe vor einiger Zeit eine junge Armenierin kennengelernt auf einer Studienreise, sie hat uns dann auch besucht, wir haben einen ganz besonderen Draht zueinander. Und nun schrieb sie mir: „Jetzt ist nicht mehr Corona an erster Stelle, sondern der Krieg.“ Das berührt mich wirklich.

Da geht es uns doch vergleichsweise wirklich gut. Aber was mir noch einfällt: Ich hatte bis März eine englische Konversationsgruppe in einer Senioreneinrichtung, ich liebe die englische Sprache. Das ist natürlich weggefallen, auch die Kontakte. Und mein Mann hatte mir zu Weihnachten eine Jahreskarte für die Staatlichen Museen geschenkt. Da war ich im Januar einmal im Bodemuseum und das war’s. Aber ich würde das auch als sekundär bezeichnen, für einen überschaubaren Zeitraum können wir das alles aushalten.

Im Sommer war auch mein 80. Geburtstag, da wollte ich eigentlich zum ersten Mal eine richtige große Feier machen. Dann waren aber doch nur mein Sohn, die beiden Enkel, mein Mann da. Ob ich das jetzt für den 90. aufhebe, weiß ich nicht. Meine Mutter ist 102 geworden – aber wie! So alt möchte ich nicht werden, das ist nicht mein Ziel. Wie gefährlich Corona für mich als 80-Jährige ist, damit beschäftige ich mich eigentlich nicht. Wenn man so denkt, ab 60 wird es gefährlich – na dann ist ja auch die Hälfte der Politiker weg. Nein, das führt nicht sehr weit.

Aber wenn es Leute gibt, die meinen, dass wir Alten ja nicht so schützenswert sind, weil wir eh bald versterben … Diese Menschen werden auch alt, das vergessen sie manchmal.“

„Den Winter überstehe ich“

Max Kiefner Foto: privat

Ich bin Mukoviszidose-Pa­tient, das ist auch der Grund, warum ich zur Risikogruppe gehöre. Das Thema Viren und Bakterien ist für uns immer präsent, das ganze Leben. Manche wissen ja, dass Mukoviszidose mit einem zähen Schleim in der Lunge verbunden ist. Das ist eh ein Nährboden für Bakterien. Deshalb sind viele von uns die ganze Zeit mit einer chronischen Lungenentzündung dabei. Viele Mukoviszidose-Patienten verbringen die Hälfte ihres Lebens im Krankenhaus, um sich von irgendwelchen Keimen „reinzuwaschen“. Ich bin jedes Jahr ein bis fünf Mal für jeweils 14 Tage im Krankenhaus. Im Winter muss ich besonders aufpassen. Wenn man sich als Mukoviszidose-Patient eine Grippe einfängt, kann einem das die ganze Lebensrealität auseinanderhauen, und zwar dauerhaft.

28 Jahre, lebt in Moabit. Er hat Psychologie studiert und arbeitet am Lernzentrum der Charité als Tutor. Schon als Kleinkind wurde bei ihm Mukoviszidose diagnostiziert, eine bislang unheilbare Stoffwechselerkrankung, die vor allem die Lunge betrifft.

Wegen Corona muss ich jetzt noch mehr aufpassen. Ich bin seit März quasi nur noch zu Hause, komplett abgeschottet, gehe mal einkaufen oder für einen Spaziergang raus, aber selbst das ist schwierig ohne viele Leute drumrum – ich wohne in Moabit. An meinem Geburtstag vor zwei Wochen war ich seit März das erste Mal wieder essen mit meiner Freundin.

Mit der Arbeit habe ich Glück. Ich hab Psychologie studiert und arbeite als Tutor für Medizinstudenten im Lernzentrum der Charité. Wir sind ohne Druck ins Homeoffice gewechselt, hatten viel Zeit, den Lehrbetrieb umzustellen. Jetzt nach einem Semester Onlineunterricht habe ich schon Lust auf reales Unterrichten, aber das wird für mich noch eine Weile dauern. Dass ich weniger Freunde sehe, ist schade, klar. Auch an Fami­lien­besuche trauen wir uns noch nicht so richtig ran – das findet meine Mutter natürlich nicht toll.

Die Einschränkungen durch Corona sind für uns Mukoviszidose-Patienten nicht so neu wie für alle anderen. Viele von uns fahren nicht Bus oder Bahn, meiden gerade im Winter große Menschenansammlungen und tragen zum Teil auch Mundschutz. Ich würde mir fast wünschen, das wäre etwas, was wir alle als Gesellschaft beibehalten, gerade im Winter. Für Menschen, für die Viren und Bakterien generell gefährlich sind, ist das eine große Erleichterung. Ich sehe das auch an mir: Ich habe sonst immer bis zu 10 Infekte im Jahr. Dieses Jahr hatte ich noch keinen.

Ich dachte eigentlich, dass das ein Mehrwert dieser Zeit sein könnte, dass die Leute sensibler werden. Nun sieht es gerade so aus, dass die Leute noch unsensibler werden. Aber es ist auch so, dass dieser Teil der Gesellschaft lauter ist als die anderen. Frustrierend ist es dennoch. Die Demos gegen Corona­maßnahmen ärgern mich schon sehr. Ich kann ja nicht einmal zu einer Gegendemo gehen, was ich vielleicht sonst machen würde. Ich kann das nur aussitzen. Ich habe auch in meinem engeren Bekanntenkreis Skeptiker, und selbst da kann ich nicht viel ausrichten. Die kennen mich und wissen, dass das für mich ein besonderes Risiko ist, und sagen trotzdem: kein Problem, dieses Corona. Ich habe versucht mit denen zu reden, ging nicht. Dann habe ich versucht, nicht darüber zu reden, ging auch nicht. Ich habe jetzt resigniert.

Nur die Risikogruppen abschotten? Ganz ehrlich, wenn das ein Weg wäre, durch diese Pandemie zu kommen, wäre ich persönlich sogar bereit dazu. Aber nach allem, was ich aus der Wissenschaft weiß, ist das überhaupt keine gangbare Option.

Das große Positive, was die Pandemie für mich gebracht hat, ist, dass ich mit meiner Freundin quasi zusammenziehen musste. Das hatten wir uns vorher nie vorstellen können und jetzt ist es ganz natürlich gekommen und wunderschön. Also: Den Winter überstehe ich.“

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