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Kritik von Bücherei-MitarbeitendenHochrisikogebiet Bücherei?

Ein Mitarbeiter der öffentlichen Bibliotheken schlägt per Twitter Corona-Alarm. Kultursenator Klaus Lederer verspricht, sich zu kümmern.

Bücher in der AGB am Halleschen Tor Foto: dpa

Die Fragen wurden schon während des Lockdowns im Frühjahr debattiert: Wer ist systemrelevant? Und müssen sich Systemrelevante jedem Infektionsrisiko aussetzen? Ein anonymer Twitterer hat sie neu aufgeworfen: Der Mann, der als Informatiker bei Berlins öffentlichen Bibliotheken tätig ist, prangert in einem an Kultursenator Klaus Lederer (Linke) gerichteten Thread zu hohe Risiken in den Büchereien an.

Gepostet hat der Mann, der sich „Bücherschubser“ nennt, seine Kritik privat, unterschrieben ist sie allerdings mit „Ihre Mitarbeitenden der Berliner Öffentlichen Bibliotheken“. Deren Arbeitssituation, so der „Bücherschubser“, passe nicht zum wachsenden Infektionsrisiko: „Mit jedem Tag, wo wir Dienst nach Vorschrift machen, Veranstaltungen planen und eine Normalität durchscheinen lassen wollen, die es so nicht gibt, fühlen wir uns unsicherer.“

Trotz aller Hygieneregeln gebe es mittlerweile mehr Corona-Infizierte unter den KollegInnen als im März. Die Räume würden nicht mit Luftreinigern ausgestattet, stattdessen „sitzen wir in kalten Bibliotheken mit ‚Lüftungskonzepten‘ bei Temperaturen unter 18°C.“ In Zeiten, „wo wir Bürger von unnötigen Reisen und dem Verlassen der Wohnung Abstand nehmen sollen, fahren wir Angestellte täglich durchs oder ins Risikogebiet im z. T. vollen ÖPNV, um den Bürger*innen ihr ‚Wohnzimmer der Stadt‘ zu öffnen“.

Das klingt, als würden sich die Angestellten am liebsten sofort zu Hause einschließen. Der Appell an den Senator liest sich aber schon wieder etwas versöhnlicher: Man sei ihm für „die tolle Zusammenarbeit“ dankbar, er solle nur bitte bei den künftigen Beratungen im Senat „genauso fürsorglich an uns Kultur- und Bildungsvermittler“ denken, wie er es gerade im laufenden Jahr „immer getan“ habe.

Tatsächlich antwortete Lederer prompt: „Was ich tun kann, werde ich tun.“ Sein Einfluss beschränke sich aber in erster Linie auf die Zentral- und Landesbibliothek (ZLB). Dort versuche man, „Standards und Hygienekonzepte so zu gestalten, dass die Kolleg*innen so sicher wie möglich sind“. Wo die Bezirke Personalverantwortung hätten, unterstütze man „nach Möglichkeit“.

Nachdem die öffentlichen Bibliotheken im März komplett dichtgemacht worden waren, begann Anfang Mai ein Öffnungsprozess, bei dem anfangs nur ein Abholservice für Onlinebestellungen angeboten wurde. Mittlerweile wurden viele Nutzungsmöglichkeiten wieder hergestellt, allerdings in deutlich abgespeckter Form.

So bietet die Amerika Gedenkbibliothek (AGB) am Halleschen Tor aktuell gerade einmal 49 Arbeitsplätze an, an denen sich NutzerInnen mit Büchern oder dem eigenen Laptop niederlassen können. Ohne Corona gebe es ein Vielfaches an Plätzen, sagt ZLB-Sprecherin Anna Jacobi. Auch ziehe man aktuell in Erwägung, ein Online-Buchungssystem für diese Plätze einzurichten, um den Andrang besser zu kontrollieren.

„Das werden einige wohl als Einschränkung erleben“, so Jacobi, „aber derzeit bilden sich mittags oft lange Schlangen vor unseren beiden Häusern.“ Die maximale NutzerInnen-Zahl sei in der AGB im September oft erreicht worden.

Was die Sicherheit der Mitarbeitenden angehe, habe sie persönlich nicht den Eindruck, dass die Stimmung kippe. Die ZLB nehme es mit den geltenden Hygienekonzepten sehr genau. Für die NutzerInnen gelte eine durchgehende Maskenpflicht, und die Angestellten, die an den durch Spuckschutzwände geschützten Arbeitsplätzen nicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes verpflichtet seien, könnten dies freiwillig tun. „Und die meisten tun das auch“, so Jacobi zur taz.

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3 Kommentare

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  • Für so Ausnahmewinter wie den kommenden muß es doch möglich sein, mal 2 Pullover und Hosen übereinander zu ziehen, und evt noch Handschuhe, um Temperaturen unter 20 Grad durchzustehen. Bau- und Gartenarbeitende können das auch.



    Und wo der wirkliche Mißstand sein soll, wird nicht klar. da hat Anuschka recht

  • „sitzen wir in kalten Bibliotheken mit ‚Lüftungskonzepten‘ bei Temperaturen unter 18°C.“

    Das Konzept hat mich auch verwundert.

    Auf der Arbeit kam das vor ein paar Monaten mal zur Sprache, wie es mit dem Lüften im Winter aussieht. Da war die ganz klare Aussage, die Arbeitsstättenverordnung sieht mindestens 20 Grad für Büroarbeit vor, die dürfen wir auf keinen Fall unterschreiten.

  • Ich bin ehrlich gesagt entsetzt, auf welche absolut beliebigen und unspezifischen Kritikpunkte eines anonymen Twitterers die taz sich hier draufsetzt: Es sind mehr Kolleg*innen infiziert als im März? Das gilt für die komplette Bevölkerung und hat vor allem damit zu tun, dass heute mehr getestet wird als im März, das ist doch nun wirklich allgemein bekannt. Wio bitte leitet sich darsaus ein besondere Risiko für Bibliotheksmitarbeiter*innen ab? Und dass manche von Ihnen den ÖPNV nutzen müssen, um zur Arbeit zu kommen, ist nun wirklich auch nicht branchenspezifisch. Und "Bücherschubser" spricht möglicherweise für sein eigenes Haus, wenn er darüber klagt, dass keine Luftreinigungsgeräte angeschafft werden. Für die rund 80 öffentlichen Bibliotheken gitl das natürlich nicht, sondern alle sind aktuell mit individuellen Lösungen befasst, so wie alle anderen Institutionen und Betriebe auch.Kein Wort in dem Artikel darüber, welche Bedeutung das Angebot der öffentlichen Bibliotheken insbesondere in Krisenzeiten hat. Sorry taz, verstehe ich wirklich gar nicht. was soll das?