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Proteste gegen Kohle-LeitentscheidungDörfer werden umgesiedelt

Es gibt kaum noch Hoffnung für die bedrohten Dörfer im rheinischen Braunkohlerevier. Die Landesregierung hält an den Umsiedlungen fest.

Für die bedrohten Dörfer gibt es kaum noch Hoffnung, der Bagger hier in Erkelenz rückt näher Foto: Rupert Oberhäuser/imago

Düsseldorf dpa | Trotz des beschlossenen Kohleausstiegs sollen noch fünf Dörfer im rheinischen Revier dem Braunkohletagebau weichen. Dieser zentrale Aspekt im Entwurf für die neue Leitentscheidung der schwarz-gelben Landesregierung zum Braunkohleabbau hat bei Umweltverbänden, Grünen und betroffenen Dörfern Empörung ausgelöst.

Nordrhein-Westfalens Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) verteidigte die bereits beschlossene Umsiedlung am Tagebau Garzweiler. Für eine gesicherte Energieversorgung sei der Abbau von Braunkohle in NRW bis zum Kohleausstieg Deutschlands erforderlich, sagte Pinkwart am Donnerstag im Landtag. Der Bund habe im Gesetz „insbesondere die energiewirtschaftliche Notwendigkeit des Tagebaus Garzweiler II“ festgestellt. Die Umsiedlungen müssten deshalb fortgeführt werden.

Eine Leitentscheidung ist die gesetzliche Grundlage für den Braunkohle-Abbau in NRW. Darüber muss der Landtag abstimmen. Die neue Leitentscheidung war nach dem Beschluss zum Kohleausstieg notwendig geworden. Spätestens 2038 soll in Deutschland Schluss sein mit der Kohleverstromung.

Dementsprechend kann auch die Braunkohleförderung reduziert werden. Die finale Fassung will die CDU/FDP-Landesregierung im Frühjahr 2021 beschließen. Bis zum 1. Dezember können Bürger, Kommunen und Verbände ihre Meinung zum Entwurf abgeben.

Fünf Erkelenzer Ortschaften

Die Umsiedlung von fünf Erkelenzer Ortschaften soll „sozialverträglich fortgesetzt und bis 2028 abgeschlossen werden“. Mehr als die Hälfte der Bewohner aus den betroffenen Dörfern sei bereits umgezogen, sagte Pinkwart. Rund 80 Prozent hätten ihre Umsiedlung verbindlich vereinbart. Der Tagebau in Garzweiler solle aber zunächst auf bereits unbewohnte Ortschaften ausgerichtet werden. Damit werde der zeitliche Druck bei der Umsiedlung genommen.

Das Bündnis „Alle Dörfer Bleiben“ nannte den Entwurf „eine Katastrophe“. „Die Menschen aus den Dörfern wurden mal wieder völlig ignoriert“, erklärte Britta Kox aus dem betroffenen Dorf Berverath. Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) mache sich erneut „zum Handlanger des Kohlekonzerns“ RWE. Das Bündnis kündigte für die nächsten Wochen und Monate „starken Widerstand gegen die Pläne von RWE und Landesregierung“ an.

Die Klimaallianz Deutschland erklärte: Die Umsiedlung und Zerstörung von weiteren Dörfern ist in Zeiten des beschlossenen Kohleausstiegs nicht mehr akzeptabel.“ Die Grünen warfen der Landesregierung vor, klare Entscheidungen zu scheuen. „Die Dörfer könnten gerettet werden, wenn Sie es wollten“, sagte die Grünen-Abgeordnete Wibke Brems.

Die Aufforderung an RWE, die noch bewohnten Dörfer so lange wie möglich zu verschonen, lasse vermuten, „dass sich die Landesregierung inzwischen auch nicht mehr sicher ist, dass die Kohle unter den Dörfern tatsächlich gebraucht wird“. Letztlich würden Gerichte entscheiden, ob die Umsiedlungen fortgesetzt werden müssten.

Klimaaktivisten sollen Wald räumen

Bereits seit längerem steht fest, dass der seit Jahren umkämpfte Hambacher Forst erhalten bleibt. Pinkwart rief die Klimaaktivisten auf, den Wald zu räumen. Der Wald solle nun mit anderen ebenfalls vom Tagebau verschonten Waldgebieten vernetzt werden. „Die Vernetzung der Wälder und ihre gedeihliche Entwicklung könnten dadurch gefördert werden, wenn die rechtswidrig errichteten Baumhäuser jetzt endlich geräumt würden.“

Die Zahl der Aktivisten im Hambacher Forst schwankt nach Polizeiangaben stark, nach Auskunft im Juni sollen es ungefähr 100 Personen sein. Die Waldbesetzer sollen an die 100 Baumhäuser errichtet haben.

NRW trage wesentlich dazu bei, dass Klimaziele Deutschlands und auch des internationalen Pariser Abkommens erreicht werden könnten, sagte Pinkwart. Bis in das Jahr 2028 erfolgten alle endgültigen Stilllegungen von Braunkohleblöcken ausschließlich im Rheinischen Revier. Bis 2029 übernehme NRW damit 70 Prozent der zu reduzierenden Braunkohlekapazitäten. Daraus folge auch der bei weitem größte Beitrag zur CO2-Einsparung.

Für die Dörfer, die direkt an den Tagebau Garzweiler II angrenzen, sieht die Leitentscheidung nun größere Abstände der Abbaugrenze des Tagebaus zu den Ortsrändern vor. Die Abstände sollen auf mindestens 400 Meter vergrößert werden.

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12 Kommentare

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  • „Die Vernetzung der Wälder und ihre gedeihliche Entwicklung könnten dadurch gefördert werden, wenn die rechtswidrig errichteten Baumhäuser jetzt endlich geräumt würden.“



    Wers glaubt, wird selig.

  • Wie ich schon mal an anderer Stelle schrieb:

    Von den 5 Orte in Garzweiler II waren 3 - Holzweiler, Immerath und Lützerath durch den Rot-Grünen Kohle-Kompromiss 2013 der damaligen Landesregierung eigentlich schon gerettet.

    Der "neue" Kohlekompromiss der Bundesreg. macht diese Absprache mit RWE leider wieder zur Makulatur:

    Weil egoistische Baum-Umarmer sich mehr für ihr "Gefühl für Bäume" interessieren als für andere Menschen, sollen diese jetzt als proxy-Klimaschützer weiter um ihre Dörfer kämpfen müssen.

    Denn in Hambach ist eines von zwei Dörfern bereits umgesiedelt und auf die Umsiedlung des zweiten könnte problemlos verzichtet werden wenn man Hambach etwas verkleinert hätte, - was angesichts der Verkürzung der Gesamt-Förderdauer auch keine Probleme machen sollte.

    Der Punkt ist aber: Eben besagte "hardcore"

    Klimaschützer sind an gar keinem Kompromiss interessiert.

    Sie haben leider, und das ist hier das Zynische, bewusst darauf spekuliert, dass die Einwohner besagter Garzweiler Orte natürlich nicht freiwillig auf ihre Dörfer verzichen werden.

    Man nutzt also das Leid der Anlieger bewusst aus um seine ganz persönliche Maximal-Lösung, die Einstellung beider Tagebaue durchzupreschen.

    Dabei sollte jedem klar sein, dass es in der Natur eines solchen Kompromisses liegt, dass genau das nie zur Debatte stand:

    Entweder ein mickriges Sück Restwald in Hambach, was kleiner ist als zwei benachbarte Wälder in der Umgebung und bereits jetzt zur Hälfte aus einer Kiesgrube und einer rel. jungen Neu-Anpflanzung besteht (s. akt. Sat.-Bilder) oder Menschen in Garzweiler...

    Die Camper in Hambach waren nur leider lauter als die dauerhaften Bewohner in Garzweiler.

    • @Ruhrpott-ler:

      ..ganz davon abgesehen, dass Immerath und Lützerath lange vor dem sogenannten Kohlekompromiss (der keiner war) und auch vor der Hambi-Räumung (September 2018) zerstört wurden (Immerather Dom: Januar 2018). Wenn Sie hier nahelegen, dass Immerath und Lützerath für den Hambi "geopfert" worden seien, dann entbehrt das jeder Grundlage.

    • @Ruhrpott-ler:

      Das dumme ist ja, dass das Klima bekanntlich keine Kompromisse macht. Es ist rational im Sinne der Menschenwürde und einer intakten Biosphäre, nicht an einem Kompromiss interessiert zu sein. Im übrigen ist es angesichts der enormen Solidarität der gesamten Klimagerechtigkeitsbewegung mit den Dörfern wirklich sehr konstruiert, wenn Sie hier "Egoismus" unterstellen. Wie möchten Sie denn begründen, dass das Ziel, das Erdklima nicht weiter anzuheizen, eine "ganz persönliche Maximal-Lösung" darstelle? Für welchen einzelnen Menschen soll das ausschließlich in seinem persönlichen Interesse liegen?

      • @Lurkus:

        Ja, dann kann man aber am Ende auch gar nichts erreicht haben.



        In Australien hatte die Labor-party [die schreibt man da ohne u ;-) ] auch für einen überhasteten (Stein)kohle-Ausstieg geworben und deshalb, - obwohl eine Mehrheit der Australier den Klimawandel durchaus für echt hält-, die Wahl an die Liberals verloren, die am liebsten gar nichts unternehmen möchten(!)... .

        Die Natur des Kohle-Kompromisses besteht nunmal darin, dass es ein Kompromiss ist; zwischen den beiden Maximal-Lösungen "Weitermachen wie bisher geplant" und "Alle Tagebaue schließen, sofort!".

        Und da ist es schon ziemlich verwöhnt("entitled") , als nicht direkt Betroffener ein kleines Stück Restwald über das psychologische Trauma des Heimat-Verlustes (Kindheitserinnerungen, Vertrautheit, Lebenspläne (Haus), usw. zu stellen.

        • @Ruhrpott-ler:

          Ich glaube, Sie verstehen die Klimakrise nicht. Diese Art der Politik führt uns direkt in die Heißzeit. Wenn alle Verträge und Gesetze, die jetzt gelten, so umgesetzt werden, dann ist sogar das 2 Grad-Ziel unerreichbar, wir landen beim worst-case-scenario von mindestens 3-4 Grad Erhitzung. Wir brauchen jetzt eine Politik, die genau für dieses Problem Lösungen sucht! Weitere Kohlekompromisse führen in die Katastrophe, in der es dann sowieso keine irgendwie liberale Politik mehr geben kann.

          Und nochmal: kein Dorf wurde dem Hambi "geopfert". Wenn Sie die Medien verfolgen würden, dann wüssten Sie, dass die breite Bewegung für Klimagerechtigkeit seit Jahren und seit diesem Sommer mit oberster Priorität den Kampf um die Dörfer führt. Wie Sie sich hier auch von einer direkt Betroffenen persönlich sagen lassen können:

          twitter.com/AlleDoerfer/status/1311700152005144577

    • @Ruhrpott-ler:

      Vielleicht bin ich nicht umfassend genug informiert und Sie können mich gerne aufklären, aber soweit ich weiß, wurde 2016 Holzweiler und Dackweiler aus dem künftigen Tagebaugebiet des Tagebaus Garzweiler rausgenommen. Von Immerath und Lützerath war doch nie die Rede. Und den Aktivist*innen in und um den Hambacher Forst vorzuwerfen, sie hätten Garzweiler II gegen Hambach quasi ausgespielt - na, ich weiß ja nicht. Die Entscheidungen wurden von der Politik getroffen, nicht von den Aktivist*innen und auch nicht von der Kohlekommission.

      • @J. Straub:

        Sie haben Recht. Und ich bin tatsächlich persönlich beruhigt, dass es doch nicht so schlimm ist, wie ich erst dachte.

        Zur Zeit der rot-grünen Landesregierung ging durch die Medien, dass statt 5 Dörfern 3, Holzweiler und zwei kleinere (hab mich da wohl beim Namen geirrt) gerettet werden sollten.

        Jetzt war aber plötzlich wieder von 5 noch abzubaggernden Dörfern, die Rede, so dass es schien als sei der damalige Beschluss (2013) wieder Makulatur geworden.



        Das dieser, - anfänglich wohl eher freiwillige Verzicht von RWE - zwischenzeitlich sogar rechtlich fixiert wurde, wusste ich nicht und stimmt zuversichtlich.

        Mich hat vor allem dieser Eindruck schockiert; dass wie es schien für Hambach nun, die Orte vermeintlich wieder abgebaggert werden sollten.



        Wenn das nicht der Fall ist, dann danke für die Aufklärung. *beruhigter*

        Aber dennoch Menschen haben im Gegensatz tu Bäumen Gefühle sodass ich pers. weiter sagen würde, dass es besser wäre Hambach so zu verkleinern, dass die dortigen Ortschaften (Manheim und irgendein - rath, leg mich da jetzt vom Namen her nicht fest;-) ) auch geschützt wären, so wie jetzt, - aber gleichzeitig auch noch wenigstens ein paar in Garzweiler!

        Und da stimmt leider schon, dass die persönlich überhaupt nicht direkt betroffenen Baumschützer vor allem lauter waren als die unmittelbar betroffenen Anlieger...

        • @Ruhrpott-ler:

          Morschenich hieß das zweite Dorf neben dem Hambi. Wissen Sie, welcher Tagebau tatsächlich von der KoKo verkleinert wurde? Inden. Da ist gar kein Dorf und kein Wald betroffen. War das auch die Schuld der lauten Aktivist*innen, ohne deren Engagement wir hier wahrscheinlich nicht mal über diese Skandale reden würden? War das nicht eher die Macht der fossilen Lobby und Politiker:innen, denen die Gefühle der Menschen wirklich egal sind - im Gegensatz zu den Besetzer:innen? So lautstark sie hier die angebliche Position der Betroffenen vertreten scheinen Sie mir doch recht uninformiert.

  • Und solch ein "Landesvater" will Kanzler ("Bundesvater") werden?



    Aufsichtsratsvorsitzender bei RWE wäre ehrlicher!, denn mehr Kompetenz ist wohl nicht vorhanden.



    Lassen wir uns nicht täuschen, in dieser "Scheindemokratie" bestimmen weiterhin noch immer die Lobbyisten.



    Eine traurige, unterirdische Politkaste zerstört unsere Werte.

    • @Sonnenhaus:

      "Und solch ein "Landesvater" will Kanzler ("Bundesvater") werden?"

      Genau das habe ich auch gedacht. Bloß nicht!

  • Frechheit sondergleichen!