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Waldbrand in den USACO2-Speicher löst sich in Luft auf

An der US-Westküste brennt mindestens ein Wald ab, für dessen Aufbau Unternehmen bezahlt haben, um ihre eigenen Treibhausgase wegzurechnen.

Die Brände vom September haben große Teile des Plumas National Forest in Kalifornieren zerstört Foto: AP

Berlin taz | Ein paar Minuten hatte Claudia Herbert vor irgendeinem Meeting im September noch Zeit. Routinemäßig warf sie einen Blick auf Satellitenbilder der Brände, die sie für ihre Doktorarbeit an der kalifornischen Uni Berkeley nutzt, und wurde stutzig. Die Promotionsstudentin erforscht die Risiken, die es mit sich bringt, wenn man Wälder zur sogenannten Klimakompensation nutzt. Das heißt: Privatpersonen, Unternehmen oder auch Staaten zahlen für den Aufbau und die Pflege eines Waldes, um den darin gebunden Kohlenstoff mit den eigenen Treibhausgasen zu verrechnen.

Kurz darauf verschaffte der Abgleich mit einer Karte Gewissheit, in der Herberts Arbeitsgruppe die Flächen solcher sogenannter Kompensationsprojekte verzeichnet: In Flammen steht auch mindestens ein Wald im US-Bundesstaat Oregon, der im Rahmen des kalifornischen Emissionshandels als Gegenwert für Emissionsrechte genutzt wird. Er gehört der Indigenen-Konföderation „Confederated Tribes of Warm Springs“ und fing am 16. August nach einem Blitzeinschlag Feuer. Brennt ein Baum ab, wird der darin gebundene Kohlenstoff wieder als Kohlendioxid frei – und heizt in der Atmosphäre den Klimawandel an.

Das ist besonders problematisch, wenn durch den vermeintlichen Klimaschutzeffekt an anderer Stelle mehr Treib­hausgas ausgestoßen wurde, wie es bei der Klimakompensation der Fall ist. „Ich war sehr überrascht, das in Echtzeit beobachten zu können“, erzählt Claudia Herbert. Sie twitterte ihre Beobachtung.

Klimakompensation ist generell ein umstrittenes Unterfangen. Gerade in der Klimabewegung ist die Ansicht verbreitet, es gehe nur um einen Ablasshandel für Unternehmen, die an ihren fossilen Geschäftsfeldern festhalten wollen. Es ist zum Beispiel nicht einfach sicherzustellen, dass das Kompensationsprojekt auch wirklich genau die Kohlendioxid-Reduktion bringt, die nötig ist, um die Emissionen der Zahlenden auszugleichen.

Waldprojekte entfalten ihren Klimaschutzeffekt spät

Verdrängt das mit dem Kompensationsgeld gebaute Windrad wirklich fossile Kraftwerke aus dem Stromnetz? Nutzen die Menschen, denen ein Solarkocher finanziert wurde, das Gerät überhaupt, statt weiter über dem offenen Feuer zu kochen? Und war das Kompensationsgeld überhaupt entscheidend dafür, dass eine Plantage aufgebaut wurde? Es gibt verschiedene Standards mit unterschiedlichem Anspruch, die solche Fragen prüfen sollen und Kompensationsprojekten ihre Effektivität bescheinigen. Wer seine Treibhausgase kompensieren will, sollte deshalb in jedem Fall genau hinschauen.

Bei Waldprojekten kommt aber noch hinzu: Sie entfalten ihren Klimaschutzeffekt erst über einen langen Zeitraum, denn Kohlenstoff wird mit dem Wachstum der Bäume gebunden, während die gegengerechneten Emissionen sofort in voller Höhe anfallen dürfen. Brennt der Wald ab, ist der Effekt dahin – dass das passiert, kann das beste Waldmanagement nicht mit Sicherheit verhindern.

Nicht alle Bäume sterben bei einem Waldbrand

Bisher habe man nur Kenntnis von einem betroffenen Wald, sagt Stanley Young von der zuständigen kalifornischen Regierungskommission, dem California Air Resources Board. Abschließend werde man aber erst später sagen können, welchen Einfluss die Waldbrände auf die Klimakompensation hatten. Waldbesitzer:innen haben 30 Tage Zeit, um eine „unbeabsichtigte Umkehr“ des bezahlten Klimaschutzeffekts zu melden. Danach muss der entstandene Schaden erst einmal gründlich bewertet werden. Bei einem Waldbrand sterben schließlich nicht alle Bäume.

Und dann hat Kalifornien noch eine Art Versicherung in das Klimakompensationsprogramm eingebaut. Nur 80 bis 90 Prozent der Emissionsrechte, die ein Waldprojekt theoretisch hergibt, werden auch wirklich ausgegeben. Der Rest bleibt als Reserve genau für den Fall, dass zur Kompensation genutzte Wälder ihren Klimaschutzeffekt einbüßen.

Kompensationseffekt

Claudia Herbert von der Uni Berkeley forscht genau daran, wie solche Risiken in Kompensationsprogrammen behandelt werden. „Ein Waldbrand bedeutet noch nicht zwangsläufig, dass das ganze System nicht funktioniert“, meint auch die Wissenschaftlerin. „Ich befürchte aber, dass bei der Berechnung der Klimawandel nicht ausreichend berücksichtigt ist, der die Zerstörung von Wäldern verstärkt“, sagt sie. „Das würde bedeuten, dass wir zurzeit die Risiken nicht ausreichend einpreisen.“

Gilles Dufrasne von der Brüsseler Denkfabrik Carbon Market Watch sieht noch ein ganz anderes Problem. „Ob die Puffer groß genug sind, ist eine wichtige Frage“, sagt er. „Was aber auch problematisch ist: Die meisten Kompensationsprogramme versichern Waldprojekte nur für 10 bis 40 Jahre“, kritisiert Dufrasne. In Kalifornien sind es immerhin 100 Jahre. „Danach werden die Waldprojekte nicht mehr überwacht.“ Die Kohlendioxid-Emissionen der Person oder Institution, die für den Waldaufbau bezahlt hat, sind zu diesem Zeitpunkt aber noch in der Atmosphäre – brennt der Wald also nach Ablauf der Versicherungsfrist ab, ist der Kompensationseffekt wiederum dahin.

Versprechen in der Zukunft sind nur schwer einzuhalten

Carbon Market Watch hält das Problem nicht für seriös lösbar. „Selbst wenn man jetzt versprechen würde, die Puffer für mehr als 100 Jahre bereitzuhalten, ist es fraglich, ob das überhaupt realistisch ist“, meint Dufrasne. „Der politische, wirtschaftliche und soziale Kontext ändert sich in so einer Zeitspanne – man kann nicht wissen, ob solche Versprechen in der fernen Zukunft eingehalten werden können.“

Der Experte hält es deswegen nicht für ratsam, überhaupt Wälder oder andere natürliche Kohlendioxid-Speicher wie Moore zur Klimakompensation zu nutzen. „Es bleibt immer ein Risiko, dass die Emissionen wieder freigesetzt werden“, warnt Dufrasne.

Die Herangehensweise ist allerdings weit verbreitet – nicht nur im kalifornischen Emissionshandel. Auch viele der privaten Anbieter, bei denen man etwa bei der Buchung eines Flug- oder Bustickets freiwillig seinen CO2-Fußabdruck kompensieren kann, arbeiten mit Waldprojekten zusammen. Im EU-Emissionshandel, über den die europäische Industrie- und Energiewirtschaft für ihre Emissionen zahlen muss, ist das aktuell ausgeschlossen. Das könnte sich aber ändern: Im Rahmen der „Farm Carbon Forest Initiative“ ist es bereits im Gespräch.

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4 Kommentare

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  • Wenn ich es richtig verstehe, wurden bei den Waldprogrammen nicht nur die aktuell im Wald gebundenen Kohlenstoffmenge - sprich das dort vorhandene Holz - zur Kompensation herangezogen, sondern auch die in der Zukunft erst noch erwartete Zunahme des Holzinventars.



    Selbst ein vollständiger Brand würde nur die bereits vorhandenen Holzmengen in Form von (jüngeren) Bäumen betreffen.

    Fragt sich nun, ob aus Versicherungsgeldern oder anderen Mitteln eine Neuanpflanzung erfolgt, die dann - mit entsprechendem Zeitverzug und falls es nicht erneut brennt - eine gleich starke CO2-Bindung erreicht, wie anfänglich beabsichtigt, nur Jahrzehnte später, oder ob das unterbleibt. Und ob das Defizit nun denjenigen zugerechnet wird, die in der Vergangenheit die Kompensation genutzt hatten.



    Ich denke da so an eine Rechnung von atmosfair: "Wenn Sie Ihren Flug im Jahr 2005 weiterhin kompensiert haben möchten, müssen Sie leider einen Betrag von xy nachentrichten".

  • "An der US-Westküste brennt mindestens ein Wald ab, für dessen Aufbau Unternehmen bezahlt haben, um ihre eigenen Treibhausgase wegzurechnen."

    Auweia! Wäre es vlt besser gewesen, es würde dafür ein alter, naturgewachsener, Wald abbrennen?

  • Der Kernsatz, der die ganze Unprofessionalität ihrer Arbeit offenbart: "Sie twitterte ihre Beobachtung."

  • "Gerade in der Klimabewegung ist die Ansicht verbreitet, es gehe nur um einen Ablasshandel für Unternehmen, ..." und trotzdem wird dieser "Ablaßhandel" von denselben Personen als Kompensation für Flug- und Zugreisen verwendet.

    Ich denke kein System ist perfekt. Vielleicht muss Kalifornien in Zukunft mehr Puffer einbauen, aber die Idee ist als *ein Baustein* doch ok. Und selbst wenn gar keine Bäume überlebt hätten, bliebe die Holzkohle für sehr lange Zeit im Boden - zur CO2-Speicherung und als (ungewollte) Bodenverbesserung, so wie das z.B. die Maya schon vor langer Zeit gemacht haben.