piwik no script img

Influencer*innen über Talkshows„Zeigen, wer im Fernsehen fehlt“

Deutsche Talkshows sind selten jung und divers. Aminata Belli und Tarik Tesfu erzählen, was sie in ihrer neuen Sendung besser machen.

Die Moderator*innen v.l.: Aminata Belli, Svenja Kellershohn, Tarik Tesfu und Mohamed El Moussaoui Foto: NDR/Hendrik Lüders
Erica Zingher
Interview von Erica Zingher

taz: Aminata Belli, Tarik Tesfu, ab dem 2. Oktober werden Sie als Talkshow-Moderator*innen gemeinsam mit Mohamed El Moussaoui (bekannt als MoTrip) und Svenja Kellershohn die Sendung „deep und deutlich“ im NDR moderieren. Es soll die junge Ergänzung zur „NDR Talk Show“ sein. Schauen Sie selbst gerne Talkshows?

Tarik Tesfu: Als Kind aus Nordrhein-Westfalen bin ich natürlich großer Fan vom „Kölner Treff“. Und natürlich feiere ich auch die „NDR Talk Show“ schon seit Ewigkeiten, denn ich bin einfach Generation Fernsehkind.

Aminata Belli: Als Jugendliche habe ich mir sehr viele Talkshows reingezogen. Das war eigentlich mein liebstes Programm im Fernsehen. Teilweise gehen die Talkshows von heute für mich in Ausdrucksweise und Ideenausrichtung in eine Richtung, die ich persönlich nicht mehr so interessant finde, weil ich einen anderen Blick auf die Welt habe. Wir mit „deep und deutlich“ wollen da nun etwas dazugeben, wonach sich junge Leute sehnen.

Was fehlt den deutschen Formaten?

Belli: Dass mehr Generationen und Ideen gemixt werden. Es reichen beispielsweise schon jüngere Gäste, die für neue Impulse sorgen.

Tesfu: Was schon fehlt, ist Diversität. Diversität heißt bei den Moderator*innen der großen deutschen Talkshows ja oft Frau sein, aber meistens auch weiße Frau. Da haben wir bei „deep und deutlich“ nochmal eine ganz andere Aufstellung und können zeigen, wie in Deutschland Moderator*innen aussehen können. Wenn man sich die Gästeauswahl bei klassischen Talkshows anschaut, dann ist da höchstens eine Person, mit der ich mich irgendwie ein bisschen identifizieren kann. Und die ist dann auch gleich „exotisch“.

Was heißt das?

Tesfu: Entweder wird sie von deutschen Medienmacher*innen als exotisch wahrgenommen, oder sie gilt als exotisch, weil sie etwas macht, das außerhalb des Mainstreams ist. Das kann dann auch schon bedeuten, einfach nur queer zu sein oder ein Kopftuch zu tragen.

Im Interview: Aminata Belli und Tarik Tesfu

Aminata Belli ist TV-Moderatorin, Journalistin, engagierte Reporterin und Social Media native.

Tarik Tesfu ist Moderator und Youtuber. Im Netz spricht und schreibt er über queere, feministische und antirassistische Themen.

Was werden Sie anders machen?

Tesfu: Wir wollen versuchen Menschen zu zeigen, die zum einen ganz selbstverständlich Teil des Mediensystems sind und zum anderen tolle Ideen haben, aktivistisch unterwegs sind. Und die für das Deutschland stehen, das ich jeden Tag auf der Straße sehe, aber leider nicht im deutschen Fernsehen.

Belli: Wir haben unsere erste Folge „deep und deutlich“ schon aufgezeichnet. Zu Gast waren da Katja Krasavice, die in Tschechien geboren ist. Nadia Kailouli, die marokkanische Wurzeln hat. Oder auch Younes Zarou, das ist einer der erfolgreichsten Tik Toker Deutschlands, dessen Eltern auch eine Migrationsgeschichte haben. Wir haben mit all diesen Gästen nicht über Herkunft gesprochen. Gar nicht. Außer mit dem Musiker Clueso, und der ist ein weißer Mann aus Thüringen. Genau das ist es, worum es uns in „deep und deutlich“ geht. Wir stellen Fragen, die das Thema des Gastes behandeln, und in den meisten Fällen muss ich dazu nicht die Herkunft thematisieren.

Tesfu: Wir wissen darum, dass es Rassismus und andere -ismen gibt. Aber wir sind doch mehr als unsere Diskriminierungserfahrungen. Wenn wir mit so einem Gefühl an unsere Gäste gehen, dann entsteht eine andere Form von Unterhaltung und Diskussion. Man fängt nicht erst bei Irmchen an, sondern kann direkt „deep und deutlich“ werden.

In den vergangenen knapp zwei Jahren wurden mehrere junge öffentlich-rechtliche Formate eingestellt, darunter „Softie“ und „Karakaya Talk“. Beides Sendungen, in denen queere und migrantische Perspektiven prominent waren. Welches Zeichen sendet man mit der Einstellung solcher Formate?

Belli: Eine Sendung wie „Karakaya Talk“ wird vielleicht eingestellt, weil es möglicherweise ein teures Format war und weil es erst mal sehr viel weniger Leute erreicht hat als beispielsweise ein Flynn Kliemann mit seiner Sendung „Kliemannsland“. Ich vermute, dass am Ende auf die Klicks geschaut wird: Wer hat wie viel erreicht. Und da wird dann nicht darüber nachgedacht wie das Absetzen in der Community wirkt.

Tesfu: So etwas passiert, weil gewisse Redaktionen nicht divers genug aufgestellt sind. Ich meine: Fynn Kliemann als weißer, gutaussehender Typ, der die ganze Zeit an Sachen rumschraubt. Das so etwas erst mal alle sehen wollen, ja woher kommt's denn? Natürlich weil Fynn Kliemann eine Sehgewohnheit reproduziert, die wir seit Jahren kennen.

Zur Sendung

„deep und deutlich“, eine NDR Talkshow, ab 2. Oktober in der Mediathek und am 3. Oktober im NDR, 0 Uhr

Belli: Für mich ist Fynn Kliemann aber ein Ausnahmetalent. Ich glaube, dass er ein schlechtes Beispiel ist für einen typischen weißen Mann, der erfolgreich ist.

Tesfu: Das ist keine Kritik an Fynn Kliemann, sondern an Strukturen. Wir sind es nicht gewohnt, dass Shows auch von queers, von People of Color (PoC), von Schwarzen Menschen übernommen werden. Deshalb brauchen diese Formate oft ein bisschen mehr Zeit. Die Tatsache, dass Formate wie „Karakaya Talk“ auch von Macher*innen wie von Zuschauer*innen als randständig definiert werden, zeigt einfach, dass wir der Meinung sind: Sobald Schwarze, queers oder PoC sprechen, wird das automatisch zu einem Nischenformat. Obwohl die Mehrheitsgesellschaft so einen krassen Nutzen davon hätte, wenn sie jeden Tag der Moderatorin Esra Karakaya zuhören würde.

In den Neunzigerjahren gehörten Moderator*innen mit diversen Hintergründen bei den Musiksendern Viva und MTV und den Privatkanälen zur Normalität. Was haben die damals besser gemacht?

Belli: Die Talkshows, die im Privatfernsehen liefen, waren meistens Unterhaltungssendungen, sowas wie „Arabella“ zum Beispiel. Ich glaube, da gab es eine Trennung: Für Souveränität stehen vermeintlich nur weiße Leute. Und Schwarze Menschen für alles mit Unterhaltungsfaktor. Ich glaube, deshalb hatten wir im öffentlich-rechtlichen Fernsehen damals wie heute kaum Moderator*innen, die People of Color sind.

Tesfu: MTV und Co. waren internationale Marken. Und Sender, die international aufgestellt sind und erfolgreich sein wollen, können es sich eigentlich nicht erlauben nur gewisse Moderator*innen zu präsentieren. Lustiger Fun Fact: Wenn wir mal gucken, wer die Neunziger- und Nullerjahre überlebt hat, dann sind das die ganzen weißen Moderator*innen. Bei MTV sind es Joko und Klaas und Palina Rojinski. Bei Viva Sarah Kuttner und Charlotte Roche. Bei den Talkshows der Privatsender ist Sonja Zietlow übrig geblieben, die jetzt das Dschungelcamp moderiert. Das heißt, die ganze Diversität, die wir mal hatten, ist in Deutschland krass flöten gegangen. Ein Grund dafür ist, wie ich denke, strukturelle Diskriminierung.

Verändert sich auch etwas bei den Öffentlich-Rechtlichen im Bezug auf Diversität?

Belli: Ich glaube, sie sind auf einem guten Weg. Dass funk als junges Angebot vor ein paar Jahren gestartet ist, finde ich toll. Dass wir da zum Beispiel Leute haben wie Leeroy, ein Schwarzer Mann im Rollstuhl. Das hätte es vor einigen Jahren so noch nicht gegeben, weil es die Sehgewohnheiten gesprengt hätte. Ich träume davon, dass alle Sendungen irgendwann divers besetzt sind, und wenn sie gesendet werden, auch gleich bewertet werden. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Dass wir aber mit „deep und deutlich“ zeigen können, wie man es anders machen kann, dafür bin ich dankbar.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • Dass „Karakaya Talk“ abgesetzt wurde, kann natürlich auch daran liegen, dass das Format sehr schlecht und langweilig war. Eine einzige sich selbst bestätigende Orgie der islamistisch gefärbten Woke Blase. Mal kann probehalber mal in die Sendung reinschauen, in der es ums Kopftuchtragen ging - ganz ganz alte Ideologie auf modern gemacht. Der Grundton der Sendung war, dass es ganz ganz schlimm ist, wenn "immer mehr Frauen" (angeblich, Zahlen hatte man nicht, das war mehr so "ein Gefühl") das Kopftuch ablegen.



    Darüber, dass manche junge Frauen oder Mädchen das Kopftuch auch aus familiären Zwang tragen könnten, wurde sich augenrollend lustig gemacht. Stattdessen wurde gefragt, was "falsch gelaufen ist", wenn eine das Tuch abgelegt.

    Eine der strengen jungen Damen wünschte sich sinngemäß eine Welt, in der es niemanden interessiert, was andere tragen. Um dann ein paar Minuten später zu sagen, wie entsetzt und erschüttert sie ist, wenn eine die "Sisterhood" und "Community" "verlässt", indem sie das Tuch ablegt. Doch nicht egal?



    Dass diese intellektuelle Dünnbrettbohrerei nicht sehr viele Zuschauer anzieht, ist klar.



    Die Reaktion darauf in diesem Interview: Es sind die rassistischen Sehgewohnheiten schuld. Nein, die "Mehrheitsgesellschaft" hätte keinen " krassen Nutzen davon , wenn sie jeden Tag der Moderatorin Esra Karakaya zuhören würde" - dazu ist Karakaya einfach intellektuell zu flach, wie die meisten Ideologen einfach flach sind.



    Den Sehgewohnheiten den Misserfolg zuzuschreiben, ist billig und hat einen totalitären Geschmack: Der Zuschauer hat nicht selbst zu entscheiden, was gut und richtig ist, sondern die Sehgewohnheiten müssen umtrainiert werden.

    PS: Ich hab als Sportlehrer mal erlebt, was passiert, wenn ein Mädchen es wagt, das Kopftuch zum Sport abzulegen - sofort kamen zwei junge Muslima mit Kopfuch aus der anderen Hallenhälfte angeschossen wie Pershing-Raketen im Tiefflug angeschossen und haben ein riesen Haram-Geschrei veranstaltet. Tolle Sisterhood!

    • @NameClaas:

      "Der Zuschauer hat nicht selbst zu entscheiden, was gut und richtig ist, sondern die Sehgewohnheiten müssen umtrainiert werden."

      Das steht da nicht, nicht mal implizit. Da steht, dass solche Formate "oft ein bisschen mehr Zeit" brauchen.

      • @mats:

        Ich füge noch an, dass ich "Datteltäter" ziemlich gut und ziemlich lustig finde!

      • @mats:

        mal reingeschaut in die genannte Sendung?

  • "Dass funk als junges Angebot vor ein paar Jahren gestartet ist, finde ich toll."

    Es ist nicht toll, es ist das Mindeste.

    Alle zahlen die Haushaltabgabe von 17,50 EUR, ein Großteil des Budget des ÖR in Höhe von 9,1 Milliarden EUR fließt an ARD, ZDF und die regionalen Sendeanstalten. Deren Zuschaueralter beträgt über 60 Jahre, in einem Land, wo das Durschnittsalter 44 ist.

    Funk bekommt 45 Millionen, die alleine schon Mai verdient hätte, funk ist das Eingeständnis, das man mit seinem Hauptprogramm immer weniger relevant ab einer gewissen Altersgruppe ist und auch für die Content liefern muss, denn man nimmt auch ihr Geld.

  • Zu behaupten, dass Sendungen floppen, nur weil es nicht den Sehgewohnheiten der Zuschauer entspricht, diverse Moderatoren zu sehen, ist schon eine steile These.

    Deutlich wahrscheinlicher ist, dass die Sendungen einfach nicht unterhaltsam genug sind fürs junge Publikum oder tatsächlich ein Nischenthema abdecken, das in dieser Form auch mit einem schönen weißen Moderator keinen Erfolg hätte.

    Zumal diese Behauptung nicht erklärt, warum nicht viele Zuschauer mit Migrationsgeschichte einschalten, die von diversen Moderatoren nicht abgeschreckt sein sollten.

    Und es widerspricht auch der These, dass früher vieles besser war mit schwarzen/internationalen MTV/Talkshow-Hosts, die in Deutschland durchaus



    erfolgreich unterwegs waren.