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Sexualisierte Gewalt im Sport„Bis ihr kotzt“

Martin Krauss
Kommentar von Martin Krauss

Sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen ist im Sport verbreitet: Viel Nähe und die große Macht von TrainerInnen begünstigen Übergriffe.

Viele Kaderathletinnen und -athleten haben sexualisierte Gewalt erlebt Foto: imago

W undern kann man sich nur über die, die sich wundern. Denn dass Sport ein Gesellschaftsbereich ist, in dem sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen begangen wird, ist nicht wirklich überraschend.

Einer Studie von 2016 zufolge haben 37 Prozent der Kaderathletinnen und -athleten sexualisierte Gewalt erlebt. Überwiegend sind Frauen und Mädchen die Opfer, die Täter meist Männer. Das legt nahe, dass sexualisierte Gewalt im Sport Normalität ist. Liegen dürfte es unter anderem am Leistungsdruck: Sportlerinnen und Sportler wissen, dass sie, um nach oben zu kommen, alles, wirklich alles zu ertragen haben. „Bis ihr kotzt“, um es in der Trainersprache zu sagen.

Hinzu kommt das enge, oft intime Verhältnis der oft noch kindlichen Sportler und Sportlerinnen zu ihren Trainern. Da entsteht Nähe in jeder Hinsicht – bei langen Fahrten zu Wettkämpfen, beim Vormachen von Übungen, in Trainingslagern, beim Trösten. Alles wichtig und unverzichtbar, aber es zeigt auch, wie viel Verantwortung Trainer und Trainerinnen haben. Wer sich umschaut, sieht jedoch, dass viele Übungsleiter dem kein bisschen entsprechen.

Möglich sind die vielen Übergriffe, weil der Sport so ein supertolles Image hat: Glaubt man den Verbänden, wird hier Gemeinsinn, Solidarität und Empathie vermittelt. Eine Integrationsmaschine sei der Sport, und gesund soll er ja auch sein. Gerade dieses Positivimage ist es jedoch, das Täter und Täterinnen schützt und das es Betroffenen so besonders schwermacht, zu sprechen.

Wer sich fragt, warum es kaum valide Daten gibt, muss sich die Spezifika sexualisierter Gewalt vergegenwärtigen: Das junge Alter der Betroffenen, die sich erst als Erwachsene klarmachen, was da mit ihnen passiert ist. Die Verdrängung, die aus Scham geschieht oder aus einer Traumatisierung resultiert. Und dann sind da noch die speziellen Strukturen im Sport, die es Betroffenen besonders schwermachen, Gehör zu finden: In den Vereinen sitzen die alten Männer, die über Karrieren entscheiden und die auf ihren Sport nichts kommen lassen.

Auch wenn es viele nicht hören möchten: Die sexistische Normalität hat auch etwas mit dem zu tun, was gern als „Schönheit des Sports“ gepriesen wird: eine leichte und jugendliche Erotik, die auf großer Bühne in vorgeschriebenen kurzen Röckchen dargeboten wird. Nicht wenige Sportarten, etwa Kunstturnen oder Eiskunstlauf, sind von männlichen Lolita-Fantasien geradezu zurechtgeformt worden.

Wer über Sport redet, darf zu Sexismus und sexualisierter Gewalt nicht schweigen.

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Martin Krauss
Jahrgang 1964, Mitarbeiter des taz-Sports schon seit 1989, beschäftigt sich vor allem mit Fußball, Boxen, Sportpolitik, -soziologie und -geschichte
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13 Kommentare

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  • Es scheint wieder mal an der Zeit das Thema Sexualisierte Gewalt im Sport aufzugreifen. Zufall?!

    Ernst nehmen, zuhören, aufarbeiten



    www.tagesschau.de/...uch-sport-101.html

    .....Um so wichtiger seien die Geschichten, die nun rund 100 Betroffene der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung von sexuellem Kindesmissbrauch aus ihrer Jugend im Sport erzählt haben, sagt Jugend- und Familienministerin Franziska Giffey. "Ihre Erfahrungen und Hinweise werden dazu beitragen, dass Kinder und Jugendliche heute und auch in Zukunft besser geschützt werden können." Es gehe bei sexualisierter Gewalt nicht um Einzelfälle, "sondern um ein gesamtgesellschaftliches Problem, das wir angehen müssen"......



    Franziska Giffeys Aussage im letzten Satz erinnert mich an was....



    Was ist mit Sportübertragungen?



    ARD überträgt die Tour de France 2020.Warum wohl?

  • Danke.

    Vielleicht sollten wir den letzten Absatz (der sich auf andere Bereiche, wie Werbung, mühelos erweitern lässt!) immer wieder vor Augen haben, wenn mal wieder ein Kinderpornoring ausgehoben wird.

    Wie so oft... werden die schlimmen Auswüchse mitten in der Gesellschaft ausgebrütet.

  • Der (sehr nette und coole) Trainer meines Sohnes nennt sich in der (obligatorischen) WhatsappGruppe "der nackte Walter". Schräg

    • @Henry Wilhelm vagt:

      Falls ihr Beitrag ernst gemeint sein sollte, würden bei mir als Vater die Alarmglocken klingeln.



      Nett und cool sagt nicht viel wie es hinter der Fasade aussieht.



      Vielleicht testet der Trainer nur aus wie weit er gehen kann bis die Eltern reagieren. So was kann in Richtung Grooming gehen.

    • @Henry Wilhelm vagt:

      ...und Ihnen kommt da nicht der Verdacht, dass der auch mehr als nur "nett und cool" sein könnte? Oder das vielleicht ne Masche ist?



      Wer sich als Pädagoge so nennt hat doch echt einen an der Klatsche.

      Übrigens können auch Jungs Opfer werden und die verschweigen das aus Heldentum oder Scham vielleicht noch mehr als Mädels.

  • anschließe mich.

    unterm——



    Nicht verschwiegen werden soll dabei.



    Daß gerade die besonders auffälligen Sportarten.



    Turnen als Leistungssport voran & insbesondere auf der Femalseite!



    Von gezielter Körperverletzung kaum zu unterscheiden ist.



    Der Stern hat das mal Mitte der 70er - garniert mit brutalen eindeutigen Röntgenfotos öffentlich gemacht. Wenn frauman die Leistungs/Anforderungsentwicklung bis heute & das relevante Leistungsalter dieser Kindfrauen hinzunimmt!



    Kann einem nur ekelig & schwindelig werden.



    &



    Alles. Aber auch alles: Staatlich 🇩🇪 gefördert!

    Na Mahlzeit - 🤮 -

    • @Lowandorder:

      der heutige Leistungssport ist doch in weiten Teilen (z.B. Beispiele oben) ritualisierte Darstellung von sexualisierter Körperlichkeit.

      Allerdings ist das nichts Neues.

      Ich denke da gerade an prämierte Fotos des Sportjournalismus von Hochspringerinnen die sich rückwärtig freischwebend in der Luft befinden, aber auch an grichische Speerwerferstatuen.

      Das ist gesellschaftlich gewollt.



      Wo fängt es an toxisch zu werden?



      Ganz am Anfang?

      Dieser irrsinnige Spruch vom gesunden Gesit der sich nur in einem gesunden Körper entwickeln kann ,,,,,,

      Auf die Spitze getriebene Phantasien neigen dazu kranke Fantasien zu werden, weil sie zunehmend andere Aspekte ausser Acht lassen;



      zuerst die Verhältnismässigkeit



      und vor allem schliesslich die Achtung der anderen Person.



      Hier der abhängigen Kinder und (jumgen) Erwachsenen.,



      Das erzeugen von Abhängigkeiten verwelbstsändigt sich.

      • @Friderike Graebert:

        "ritualisierte Darstellung von sexualisierter Körperlichkeit.



        [...]



        aber auch an grichische Speerwerferstatuen."



        Mit dieser Lesart übersehen sie aber wie sehr diese Dinge und Darstellungen in kulturell geprägt sind. Für die antiken Griechen war es schlicht der Normalfall unbekleidet Sport zu betreiben, mit Sex hatte das nichts zu tun. Diese Tendenz jede Form von Körperlichkeit oder Nacktheit in einen sexualisierten Kontext zu stellen is mE eine Entwicklung die sich vor Allem aus dem US-amerikanischem Puritanismus speist. Das Problem dabei: je mehr Dinge tabuisiert sind, desto mehr Dinge werden auch unterdrückt und brechen sich dann irgendwann in Form von Exzess und Missbrauch Bahn. Entsprechend ist es auch kein Wunder, dass die besonders krassen Fälle immer wieder da auftauchen wo man Moral und Sittsamkeit besonders hoch vor sich herträgt.

        • @Ingo Bernable:

          Stimme zu - aber man muss eben die Optik der Sportarten auch im aktuellen Kontext sehen, da fallen dann knappste Höschen und hochfliegende Miniröcke schon noch auf als "ungewöhnlich".

          Würden wir im Alltag auch alle so sexy rumlaufen, wär das ja normal, aber beim Leistungssport soll ja explizit auch eine besondere Wirkung der Körperlichkeit erzielt werden: zu der Ästetik der Bewegung gehört auch der Reiz des perfekten Körpers.



          Glaube kaum, dass eine Bodenturnerin im Kartoffelsack grosse Chancen hätte.

          Und auch die erwachsenen Männer tragen die Klamotten sehr knapp und eng, damit der muskulöse Körper betont wird.

          Trotzdem ist es auch etwas peinlich, dass nicht der Sport allein zählt, sondern auch der Sexappeal.

          Man sollte das aber unbedingt bei Kindern ausklammern und Missbrauch systematisch vorbeugen - durch Ansprechstellen und ggf. Doppelbetreuung.

          • @Mitch Miller:

            Däh&Zisch - Mailtütenfrisch - gibt Licht -

            “ MITCH MILLER: ".. besondere Wirkung der Körperlichkeit erzielt werden: zu der Ästetik der Bewegung gehört auch der Reiz des perfekten Körpers. "



            Soll ich nochmal Lichtenberg zitieren?“

            kurz - Mir - Schonn klar.



            Aber besser isses scheint‘s - Newahr.



            Normal - 🤫 -

          • @Mitch Miller:

            Ich stimme Ihnen natürlich zu, Sportarten mit Haltungsnoten werden immer Ambivalenzen haben. Gleichzeitig schützen Haltungsnoten die Sportler teilweise davor den menschlichen Körper zu weit auszureizen, weil die Leistung immer noch “schön“ sein muss.

          • @Mitch Miller:

            Ja wie? “…ausklammern…“

            Will Ihnen ja nicht zu nahe treten.



            Aber In welcher Welt leben Sie denn.



            Eine Freundin - Lersche hat einen sportiven blonden Engel - die den (türkischen) Jungs den Kasten voll hämmert. Daß die heulend zu Papa rennen.



            & Däh!



            Im Gymnasium erlebt sie auf Klassenfahrt völlig entgeistert. Daß fast alle Mädels gegen nach 4 Uhr aufstehen!



            Um sich für den Tag “praat zu machen!“



            Ausklammern ? Wie denn? 'n Auge drauf - ok & Geschickt gegensteuern. Ja.



            Aber Ausklammern? - mach Bosse.

            unterm—— btw



            Meine zwei Runden Kids - sind gut sportiv - Nicht nur aus meinen Erzählungen - wissens sehr was&wie krank das Leistungssportsystem ist!



            &



            Jenseits aller Phrasen für die Galerie!



            “If you want to built charakter. Try something else!“ Diese auf der Untersuchung von an die 20tsd Sportlern von Ogilvie/Tutko - ist - sorry - wahrer als wahr! Und bis heute nicht widerlegt! Wie auch!



            &



            Entspricht in vollem Umfang meinen Erfahrungen in diesem System.



            (In dem ich mal ne Weile vorne mitgefahren bin - 🚣‍♀️ - 🤫- ;)

            Ende des Vorstehenden

      • @Friderike Graebert:

        Schonn.

        Aber Juvenal war Satiriker



        &



        Schaunsemal bei Heul doch vorbei



        taz.de/Kolumne-Heult-doch/!5717241/



        Was die Zwei - Svennieboy & meine Wenigkeit dazu angemerkt haben.



        Daß das für jeden Scheiß - “…bis daß ihr kotzt…usw usf sadistisch herhalten muß



        Ist leider aber auch wahr - 😱 -