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Frauengespräche in BelarusPolitik in der Sauna

Wenns das Internet nicht gäbe, wäre alles gut. Olga Deksnis erzählt von stürmischen Zeiten in Minsk. Folge 44.

Frauengespräche in der russischen Banja Foto: PeJo/imago

I n meiner Heimatstadt war ich über ein halbes Jahr nicht mehr, dabei ist sie nur etwa 100 Kilometer von Minsk entfernt. 30.000 Menschen leben dort. Sie arbeiten vor allem in Fabriken und sind mehr an Stabilität als an steigende Löhne gewöhnt.

Записки из Беларуси

Записи из дневника на русском языке можно найти здесь.

Die städtische Banja ist mit Kindheitserinnerungen verbunden. Als ich noch klein war und es in unserem Haus weder Gas noch fließend warmes Wasser gab, gingen wir mit Familien aus unserem Viertel in die russische Banja, um uns mit Birkenzweigen zu reinigen. Als ich dieses Mal in die Stadt kam, tauchte ich wieder in diese Erinnerungen ein: Ich ging in die Banja.

„Heute hat die Miliz in der Zentralbankfiliale am Platz bei allen die Ausweise kontrolliert“, sagt eine Frau im fortgeschrittenen Rentenalter, während sie unter der Dusche steht und das Shampoo aus ihren Haaren spült. „Die Miliz führt Buch über die Bürger, die auf den Platz kommen. Dabei waren die da nur, um die kommunalen Dienstleistungen zu bezahlen – und man hat sie gleich zu so einem Stützpunkt gebracht.“

„Mein Mann und ich gehen seit August zu den Protestveranstaltungen“, sagt eine Frau um die 50, während sie eine Kaffeemaske aufträgt. „Leute in Schwarz fotografieren uns dabei. Und zu Hause haben wir jetzt immer Angst, Unbekannten die Tür zu öffnen. Sie haben uns eingeschüchtert.“

privat
Olga Deksnis

35 Jahre alt, lebt in Minsk und arbeitet bei dem Portal AgroTimes.by. Sie schreibt über besonders verwundbare Gruppen in der Gesellschaft: Menschen mit Behinderung, LGBT, Geflüchtete etc.

„Haben Sie gesehen, dass der neue Friedhof um drei Reihen erweitert wurde“, sagt ein junges Mädchen. „Wir waren entsetzt. Wahrscheinlich wegen der Covid-Kranken, aber im Fernsehen sagen sie, dass wir das Plateau erreicht haben. Die wirklichen Zahlen kann man ja verheimlichen, aber die Gräberreihen auf dem Friedhof nicht. Sie lügen permanent.“

„Wissen Sie, was ich denke: Wenn es kein Internet gäbe und diese ganzen Websites, wäre alles gut“, resümiert eine andere Rentnerin und übergießt im Dampfraum die heißen Steine mit Wasser. „Nicht dieses Covid, keine Proteste. Man sollte weniger lesen.“

„Und ich denke, dass alle diese Demonstranten Nichtsnutze sind“, sagt eine alleinerziehende Mutter mehrerer Kinder, die vor kurzem mit Hilfe staatlicher Unterstützung eine Zweizimmerwohnung gebaut hat. Was fehlt dem Typen, der in der Provinz 300 Dollar im Monat verdient? Warum geht er auf diesen Platz? Hat der nichts zu tun?“

„Sehr feuchter Dampf“, sage ich schließlich. „Das macht das Atmen hier heute schwer.“

„Vielleicht sagst du einfach danke dafür“, sagt die erste Rentnerin. „In Deutschland würde man in so einer Banja einen Horrorfilm drehen mit diesen verräucherten Wänden. Aber für uns ist sie das Paradies. Wir haben 26 Jahre geschwiegen, und das haben wir jetzt davon. Und man hört uns immer noch nicht zu.“

Inzwischen haben die Belarussen den Sacharow-Preis „für geistige Freiheit“ erhalten. Die Preisverleihung fand im Europaparlament statt. Die Preisträger waren in diesem Jahr die demokratische Opposition in Belarus und das ganze belarussische Volk. Während es den einen unter Lukaschenko gut geht, wollen die anderen nach wie vor einen Wandel und gehen weiter für diese Ziele auf die Straße. Selbst wenn sie dabei durch den Schmerz gehen müssen.

Aus dem Russischen Gaby Coldewey

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