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Dominic Johnson über den Streit zwischen London und BrüsselDer Brexit ist zurück

Der Herbst ist zurück und mit ihm der Brexit. Nach Monaten der Coronakrise, in der Boris Johnson keine gute Figur machte, kehrt der britische Premier nun zu seinem Stammthema zurück, das ihm 2019 seinen überragenden Wahl­triumph beschert hatte: Get Brexit Done – bringen wir den EU-Austritt endlich zu Ende. Plötzlich ist es London, das bei den Dauergesprächen mit Brüssel um die Ausgestaltung der zukünftigen Beziehungen die Agenda setzt und den Ton angibt: Bis 15. Oktober muss ein Abkommen stehen, sonst gibt es keinen Deal, und das wäre auch überhaupt nicht schlimm – und wenn die EU einen Handelsvertrag will, soll sie gefälligst etwas dafür tun.

Der Impuls hinter Johnsons zunehmend forschem Auftreten ist nachvollziehbar. In den bisherigen Verhandlungen ist es Brüssel, nicht London, das eine Sonderbeziehung fordert. Die britische Regierung will ein Handelsabkommen, das denen mit anderen Ländern entspricht. Die europäische Seite ist dazu aber nicht bereit. Sie sieht nicht ein, dass die Gewässer eines Nichtmitgliedes den Fischereiflotten Europas nicht genauso offen stehen können wie die eines Mitgliedes, und dass sie einem Nichtmitglied keine Vorschriften machen kann, die den britischen Handel nicht nur mit der EU, sondern auch mit dem Rest der Welt EU-Vorgaben unterwerfen würden. Wenn sie sich nicht bewegt, steht die EU am Ende mit leeren Händen da.

Der neue Konflikt über Nordirland hat damit aber formal nichts zu tun. Es geht um die Auslegung des Nordirlandprotokolls von 2019, das damals mit heißer Nadel gestrickt wurde. Vieles blieb damals bewusst unklar. Es wäre gut, es zu klären. Aber das kann nur in einer Atmosphäre gegenseitigen Vertrauens geschehen. Die ist momentan zwischen London und Brüssel nicht vorhanden.

Vor einem Jahr verwandelte Johnson Nordirland vom Stolperstein des Brexit in den Schlüssel zu seinem Vollzug. Diesen Geniestreich rückgängig zu machen, wäre nicht nur unklug. Die Folgen könnten auch die Monate der Coronakrise wie eine Idylle aussehen lassen.

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