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Kriminalisierung von Klimaktivist*innenWen schützt der Verfassungsschutz?

Gastkommentar von Ronja Weil

Klimaschutzgruppen werden vom Verfassungsschutz wie Rechtsextremisten behandelt. Undemokratisch sind aber die Strukturen unserer Gesellschaft.

Aktivist*innen von Ende Gelände Foto: Christian Mang, Warming Stripe: showyourstripes.info

I m Mai 2020 hat der Verfassungsschutz Berlin die lokale Ortsgruppe von Ende Gelände als linksextrem eingestuft. Daraufhin brach eine Debatte über Sinn und Unsinn der Behörde los. Macht der Verfassungsschutz, was der Name verspricht?

Die kurze Antwort darauf lautet: nein. Die lange auch, aber mit deutlich mehr schockierenden Details.

Der Verfassungsschutz (VS) schreibt sich auf die Fahne, die freiheitlich demokratische Grundordnung (fdGO) zu schützen. Dass Schutz gute Gründe haben kann, leuchtet wahrscheinlich recht schnell ein, wenn man an rechte Vernetzungen innerhalb der Bundeswehr denkt, die sich bewaffnet auf einen (politischen) Tag X vorbereiten. Allerdings sieht der VS die Bedrohung für die fdGO nicht (nur) bei Nazis, sondern eben auch in Klimagerechtigkeitsgruppen wie Ende Gelände.

Das liegt an der theoretischen Basis des Verfassungsschutzes: der Extremismustheorie, von der die Hufeisentheorie eine der bekanntesten Ausarbeitungen ist. Hufeisen deswegen, weil der Theorie zufolge politische Meinungen in links, Mitte und rechts einzuteilen sind, wobei die Mitte als klarer Orientierungspunkt gilt, und die äußeren Ränder nicht mehr inhaltlich zu sehen sind, sondern nur noch in ihren Extremen – wodurch sie sich annähern. Dadurch entsteht die Form eines Hufeisens und auch eine große Dummheit.

Erschreckende Gleichsetzung

Mit der Hufeisentheorie wird gesagt, dass eine Ideologie, in der Menschen nach Hautfarbe hierarchisiert werden und die nationale Abgrenzung als Lösung aller Probleme ansieht, Ähnlichkeiten mit einer Ideologie hat, die Gleichheit, Freiheit und ein gutes Leben für alle anstrebt.

In der Praxis sieht das Ganze noch erschreckender aus. Man kann nur mutmaßen, ob die Morde des NSU erst ermöglicht wurden durch die Zuschüttung der rechten Szene mit Geldern durch V-Männer.

Nur mutmaßen auch, weil der VS in manchen Bundesländern im Rahmen der Ermittlungen die „Aktion Konfetti“ durchführte und den Großteil der Unterlagen zum NSU schredderte.

Die Geschehnisse rund um den NSU sind wahrscheinlich das schockierendste Beispiel von der Bedrohung, die der VS selbst für unsere Demokratie darstellt, allerdings zeigen Personen wie Hans-Georg Maaßen, der ehemalige Präsident des VS, dass der VS immer wieder durch rechte Strukturen und Meinungen auffällt.

Der Kampf für Klimagerechtigkeit, der durch die Einstufung als „linksextrem“ kriminalisiert wurde, und somit delegitimiert werden sollte, ist nicht extrem, sondern notwendig. In einer Zeit, in der täglich Hitzerekorde und neue Dürren verkündet werden und in der der globale Norden systematisch seinen klimaschädlichen Lebensstil auf Kosten des globalen Südens auslebt, muss dafür gekämpft werden, dass genau dieses System überwunden wird.

Ganz einfach deshalb, weil das wirtschaftliche System, in dem wir leben, auf Ausbeutung und unendlichen Wachstum beruht, was mit unseren endlichen Ressourcen nicht möglich ist.

Diesen System Change, den die Bewegung fordert, als undemokratisch darzustellen, unterstellt nicht nur, dass Antikapitalismus auch antidemokratisch wäre; sondern es ignoriert die zutiefst antidemokratischen Strukturen unserer kapitalistischen Gesellschaft, in der Interessen von Konzernen (zum Beispiel in der Kohleindustrie) über die der Bevölkerung gestellt werden.

Diese intendierte Vermischung von Kapitalismus und Demokratie kriminalisiert den Kampf für ein gutes Leben für alle, für ein solidarisches, nachhaltiges und eben auch zutiefst demokratisches Zusammenleben.

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5 Kommentare

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  • Wenn Herr Seehofer sich weigert faschistische Strukturen in der Polizei aufzuklären, tut er dies weil, wenn er alle verfassungsfeindlichen rechtsradikalen Kräfte aus der Exekutive gezwungen wäre zu entfernen,(es gibt dort mehrere kleine "Massen´s")wäre möglicherweise sein Ministerium handlungsunfähig.



    Man bedenke nur die Mitarbeiter/innen im Innenministerium, die in fester Regelmäßigkeit Gesetze zur "inneren Sicherheit" vorlegen; durchs Parlament und Bundesrat prügeln, die dann vom Bundesverfassungsgericht als Grundgesetzwidrig eingestuft und für Unwirksam erklärt werden.



    Die meisten dieser Mitarbeiter haben eine Vita in denen "schlagende Verbindungen oder Burschenschaften" eine wesentliche Rolle spielen.



    Eine solche Vita spricht nicht pauschal für ein rechtsradikalen Hintergrund, weil es auch Beispiele gibt, dass sich jemand im Laufe seines Berufslebens auch ganz radikal von solchem Denken abgewandt hat.



    Wie die Historie der Leiter von Verfassungsschutzämter in den Ländern und im Bund zeigt sind diese Saulus - Paulus Änderungen eine Rarität sondern eher bei Richtern zu finden

  • 7G
    75787 (Profil gelöscht)

    Maximilian Pichl schreibt in "Extrem Unbrauchbar":



    "Auch wenn der Extremismusbegriff zusammenfassend unter der Maskerade der freiheitlich-demokratischen Grundordnung mittelbar zu einem Begriff der Rechtspraxis geworden ist, sollte es die Aufgabe von emanzipatorischen Kräften sein, ihn nicht mehr als tauglichen Begriff der Verfassungspolitik und -auslegung zu verwenden. Er war und bleibt ein Einfallstor für reaktionäre Kräfte, um den Handlungsmöglichkeiten einer emanzipatorischen Politik Schranken zu setzen."

    ...und zitiert den Kriminalsoziologen Moritz Assall: "Der Verfassungsschutz ist ein Hegemonieschutz. Er schützt nicht die Verfassung dieser Gesellschaft, er schützt ihre Verfasstheit."

    • @75787 (Profil gelöscht):

      Zu ergänzen wäre vielleicht, dass so etwas wie die "Hufeisentheorie" zum ersten Mal vor knapp 100 Jahren postuliert wurde. Von einem wenig bekannten Agitator, der eine neue politische Bewegung gegründet hatte, die weder "rechts" (monarchistisch) noch "links" (sozialistisch) sein wollte, sondern eine dynamische Kraft für das junge Bürgertum, die "Mitte", die sich nicht mehr länger von "Extremisten" verheizen lassen wollte.

      Sein Name war Benito Mussolini, und diese "anti-extremistische" Kraft der "bürgerlichen Mitte" war der Faschismus.

      • @Ajuga:

        Danke für diese Info.



        Das eröffnet doch Verständnis für die Selbstwahrnehmung des VS als Antiextremismus in der Mitte der Gesellschaft...

  • Zur sog. Hufeisen"theorie" gibt es ein sehr schönes Video von Martin Sonneborn: www.youtube.com/watch?v=bJWwU4M3BT0. Besser läßt sich politische Fundamentalkritik in sechs Minuten kaum verpacken.