piwik no script img

Demonstrationen von „Wer hat, der gibt“Ungleichheit ist kein Naturereignis

In Berlin und anderen Städten zieht das Bündnis „Wer hat, der gibt“ Tausende auf die Straßen. Gefordert wird eine Umverteilung des Reichtums.

Tausende Menschen beteiligten sich, wie hier in Hamburg, am Aktionstag „Wer hat, der gibt“ Foto: dpa

Berlin taz | „Anticapitalista“, schallte es am Samstagabend durch die Straßen von Charlottenburg, wo die Parole bei so manchen PassantInnen für Erstaunen sorgten. Die Demonstration unter dem Motto „Wer hat, der gibt“ zog mit etwa 1.000 TeilnehmerInnen vom Adenauerplatz über den funkelnden Kurfürstendamm und seine Nebenstraßen und endete gegen 21 Uhr am Wittenbergplatz.

Volker Lösch Foto: dpa

In der mit großer Verve vorgetragenen Eröffnungsrede prangerte der Theaterregisseur Volker Lösch die ungleiche Reichtumsverteilung in Deutschland an: „Ungleichheit ist kein Naturereignis, Ungleichheit ist nicht abstrakt. Sie ist ideologisch und politisch gemacht. Es kommt in der Geschichte ganz entscheidend auf Ideen und Ideologien an, und die sind veränderbar.“ Unter dem Jubel der DemonstrantInnen fügte Lösch hinzu: „Der Kampf für eine gerechte Gesellschaft ist noch lange nicht verloren.“

Der bunte Zug machte deutlich, dass es sehr unterschiedliche Vorstellungen davon gab, ohne dass sich die TeilnehmerInnen zerstreiten müssen. Neben Forderungen etwa nach der Wiedereinführung einer Vermögenssteuer wurden immer wieder auch Enteignungsforderungen laut.

Im Block der MieterInnen und im großen anarchistischen Block richtete sich die Wut etwa gegen das Büro der Briefkastenfirma Pears Global, die für die Räumung der Neuköllner Kiezkneipe Syndikat verantwortlich ist, ebenso gegen die Immobilienfirma Padovicz, die demnächst das Hausprojekt Liebig 34 räumen lassen will.

Leere im Millionärsblock

Viele DemonstrantInnen unterstrichen ihre Forderungen nach einer gerechten Verteilung der Corona-Krisenkosten mit humoristischen Einlagen. Es gab Opern-Arien über Umverteilung des Quartiersmanagement Grunewald; Kurt Jotter, der schon in den 1980er Jahren das Büro für Ungewöhnliche Maßnahmen gegründet hatte, präsentierte eine „Hai-Society“, die standesgemäß Sekt ausschenkte. Für Millionäre, die sich freiwillig am Umverteilen ihres Vermögens beteiligen wollten, wurde ein eigener Block mit eigenem Transparent vorbereitet. Er blieb aber leer.

Während des Umzugs hielten zahlreiche Initiativen Redebeiträge. Dazu gehörten MitarbeiterInnen des verdrängungsgefährdeten Geburtshauses Maja am Arminplatz und Beschäftigte des von der Schließung bedrohten Kinos Colosseum im Prenzlauer Berg.

Es sei das Ziel der Demonstration gewesen, unterschiedliche Betroffene, die sich gegen kapitalistische Zumutungen wehren, zusammenzubringen, erklärte Bündnissprecher Martin Richter gegenüber der taz. Man habe zum Ausdruck bringen wollen, dass in Zeiten von Corona „Abstand vom Profitdenken“ genommen werden muss.

Im Rahmen des Aktionstages gab es auch in Hamburg, Hannover, Flensburg und Kaiserslautern Aktionen für eine solidarische Umverteilung von Reichtum. Die größte Demo mit mehr als 2.000 TeilnehmerInnen zog dabei durch das Hamburger Villenviertel Rotherbaum.

Reiche für Corona zahlen lassen Foto: dpa

In einer Mitteilung verweis das neu gegründete Bündnis darauf, dass das „Diktat der schwarzen Null“ schon bald zurückkommen werde und dann „der Sozialstaat wieder einmal geschröpft“ werden wird: Für „Wer hat, der gibt“ soll es also weitergehen: „Die Gesellschaft wird noch lange mit den Folgen der Coronakrise beschäftigt sein – wir stellen uns auf einen langen Kampf ein.“

In Berlin werden die Themen Reichtumskonzentration und Umverteilung schon in der kommenden Woche weiter diskutiert: Angekündigt ist ein Ratschlag zu „Solidarischen Netzwerken in den Städten“ am Donnerstag und Freitag im Jugendhaus Chip. Am Wochenende will das Blackrock-Tribunal die weltweit agierende Kapitalgesellschaft unter die Lupe nehmen.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Ungleichheit ist selbstverständlich kein Naturereignis. Naturereignisse treten in gewissen Abständen regelmäßig oder unregelmäßig auf. Gegen Natureregnisse könnte man sich wappnen und vorbereiten.

    Ungleichheit ist ein Naturgesetz. Alles ist immer ungleich. Jeder Mensch unterscheidet sich vom anderen. Naturgesetze sind unabänderlich, Ungleichheit ebenfalls. Ungleichheit ist daher weder ideologisch noch politisch gemacht.

    • 9G
      90564 (Profil gelöscht)
      @DiMa:

      der bezug zu "reichtumsverteilung" ist doch mehr als offensichtlich und sozio-kulturelle verhältnisse, sind als sozio-kulturelle verhältnisse natürlich menschgemacht, nicht "natürlich" und damit auch "abänderbar"