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Wahlkampf in den USADas Entscheidende fehlt

Barbara Junge
Kommentar von Barbara Junge

Joe Biden setzt im beginnenden Wahlkampf auf die Versöhnung des Landes. Dabei braucht es jetzt Leidenschaft und Parteilichkeit.

Viele sehnen sich nach Führung, kann er das? Präsidentschaftskandidat Biden und seine Vize Harris Foto: Kevin Lamarque/reuters

D er stärkste Moment des Parteitags der US-Demokraten war zugleich der schwächste. „Erinnert Ihr Euch an Führung? Ja, für ein paar Minuten“, schrieb eine Reporterin der New York Times unter dem Eindruck der virtuellen Versammlung. Auf englisch liest sich das melodischer. „Remember leadership? For a few minutes, yes.“ Etwas wie Sehnsucht klang in den Worten an.

Es war aber nicht Joe Biden, der die Sehnsucht für diese wenige Minuten stillen konnte, und es war auch nicht Kamala Harris, die potentielle Vizepräsidentin. Gemeint war ein grimmiger, ein entschlossener Auftritt Barack Obamas. Und ja, der Kontrast zwischen Biden und Obama war desillusionierend. Er offenbarte unweigerlich eine Schwäche von Biden, die bisher als dessen Stärke galt: die Pose des Versöhners.

In einer Zeit von 175.000 Covid 19-Toten und einer zornigen Antirassismus-Bewegung brauchen die Demokraten keinen Versöhner, sie brauchen einen Angreifer.

Barack Obama hatte sich aus dem „Museum of the American Revolution“ in Philadelphia gemeldet, die US-Verfassung als Bildhintergrund. Gleich nach seiner Berufung auf das Gründungsdokument nannte Obama die Gründungssünden: die Sklaverei, den Ausschluss der Frauen und der Nicht-Besitzenden. Es war eine Huldigung ohne Verklärung und anschlussfähig an die Black Lives Matter-Proteste. Viele Beobachter wünschten sich an dem Abend die emotionale Qualität und intellektuelle Schärfe dieser Führungsfigur zurück.

Heldenverehrung? Mag sein. Aber wer außer einer Held.innenfigur sollte in der Lage sein, Donald Trump aus dem Amt zu jagen?

Der US-Präsident spitzt mit seiner Energie-, Wirtschafts- und Klimapolitik die globale Klimakrise noch zu. Seine erratische Außenpolitik ist eine Gefahr für die internationale Stabilität, sein Umgang mit Covid 19 eine Gefahr für die US-Bevölkerung. Aus dem Weißen Haus spornt er unkaschiert Rassismus und militante Rechtsextremisten an. Mit welchem Ergebnis?

Stabile 40 Prozent entscheiden sich in den Umfragen für Donald Trump. Diese Woche lagen die durchschnittlichen Umfragewerte bei 42,5 Prozent. Man kann anhand der gleichen Zahlen darauf hinweisen, dass Joe Biden 7,7 Prozent vor Trump liegt. Aber das sind nur allgemeine landesweite Werte. Wenn es nach diesen gegangen wäre, hätte Hilary Clinton 2016 mit mehr als zweieinhalb Millionen Wähler.innenstimmen Vorsprung gegen Trump gewonnen. Doch die US-Wahlen entscheiden sich in den jeweiligen Bundesstaaten. Außerdem hat das eigentliche Kräftemessen noch gar nicht begonnen. Und Trump entfaltet im Wahlkampfmodus eine Temperatur, die nur wenige erreichen.

Biden setzt dem leider nur wenig Entschlossenheit entgegen. Zwar rückte er im Wahlkampf verbal sanft nach links, aber eine klare Linie in der Wirtschafts-, Sozial und Klimapolitik lässt er nicht erkennen. Im Kampf gegen Covid 19 blieb er bisher sehr allgemein. Und: Biden hat es nicht geschafft, für die Black Lives Matter Bewegung eine Hoffnung zu werden.

Das Land brauche Biden als Versöhner, heißt es. Das Land stehe in Flammen und der mäßigende Kandidat entfalte abkühlende Wirkung. „Das ist nicht der Moment von Parteien. Dies muss ein amerikanischer Moment sein“, so krönte Biden denn auch seine Rede. Aber wird es im jetzt beginnenden Wahlkampf tatsächlich darum gehen, Überparteilichkeit zu zeigen, die Gemüter zu beruhigen?

Nein. Im Wahlkampf werden keine Gräben zugeschüttet. Auf den tödlichen Rassismus in den USA heißt die Antwort nicht Geduld und Verständnis. Trumps rücksichtsloser Wut-Kampagne kann man nicht mit dem Neuen Testament begegnen. Die Demokrat.innen müssen mehr als alles andere ihre Wählerinnen und Wähler mobilisieren, sie leidenschaftlich für sich gewinnen.

Hoffentlich wird Kamala Harris Biden an Entschlossenheit und emotionaler Kraft schnell überholen.

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Barbara Junge
Chefredakteurin
taz-Chefredakteurin, Initiatorin der taz-Klima-Offensive und des taz Klimahubs. Ehemals US-Korrespondentin des Tagesspiegel in Washington.
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15 Kommentare

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  • Abwarten. Es geht vor allem um die Wechselwähler in den Swingstates. Ich könnte mir vorstellen, dass gerade diese Menschen dankbar seriösere – mag sein langweilige – Töne vernehmen möchten - nach dem ordinären Dauergeschrei und der permanenten, pubertierenden Selbstbeweihräucherung ihres Staatsoberhauptes.

    • @Wufulus Wufus:

      Stimme Ihnen zu. Die Wechselwähler aus der Mitte in den traditionellen und den „neuen“ Swingstates geben den Ausschlag. Und das sind nicht die progressivsten!



      Also muss die Themenauswahl und Kommunikation stimmen. Dementsprechend muss ein Thema wie Black Lives Matter umsichtig eingebunden werden. Die Wechselwähler (eigene Hypothese!) werden nicht durch Defunding Police oder Vorwürfe des systemischen Rassismus (was sicherlich als moralische Kritik an ihnen selbst wahrgenommen wird) angesprochen, sondern eher darüber das gute Polizisten keine innocent citizens tötet, die Feds keine Demonstranten in ihrem Homestate einzukassieren, aber auch keine Läden geplündert werden!

      Und bitte keine Diskussion über Unisextoiletten, Microaggressions oder Save Spaces. Sondern über Arbeitsplätze, Krankenversicherung und Bildungschancen (auch aus der Perspektive der weißen unteren/mittleren Mittelklasse!)

    • @Wufulus Wufus:

      Yes. That’s the point.

      • @Lowandorder:

        Kann schon sein, dass das der point ist, aber gewinnen wird Biden die Wahl trotzdem nicht. Denn die US-Amerikaner scheren sich einen Dreck darum, was hier jemand für den point hält.

  • Danke meinen Vorrednern & anschließe mich.

    unterm—— btw 🇺🇸



    Mehrheit der Stimmen allein - reicht nicht. Leider. You know. Ne Satte!! Denn



    Wenn ich’s recht auf dem Schirm habe -



    War es in der letzten Zeit - der einzig unsägliche Georg Dubbelju Bush - der als Republikaner mit der tatsächlichen Mehrheit der Stimmen gewählt wurde.

    kurz - Wir können uns nur die Daumen drücken. Newahr.



    Normal.

  • Sehr geehrte Frau Junge,

    jede Person hat seine Perspektive. Allerdings scheinen Sie Joe Bidens Parteitagsrede nicht mitverfolgt haben zu können. In dieser Rede haben auch andere Kommentatoren, selbst bei Fox News, anerkannt, dass Biden nicht nur wohl die beste Rede seines Lebens gehalten hat, sondern gerade den Anspruch zur Führung mit dezidierten politischen Zielen verbunden hat, u.a. die Beendigung des systemischen Rassismus in den VSA, gleiche Bezahlung von Frauen und Männer, den Ausbau der Krankenversicherung, die Respektierung der Menschenrechte, den Kampf gegen den Klimawandel, etc.

    Eindringlich war seine Rede, eindeutig hat er sich als charakterstark, empathisch und ethisch anständig dargestellt als Alternative zum amtierenden Präsidenten.

    Schauen Sie sich die Rede noch einmal an. Wenn Sie danach immer noch bei Ihrer veröffentlichten Meinung bleiben, dann hab ich den Eindruck, dass Ihnen nicht nur Empathie fehlt, sondern auch die Fähigkeit, genau hinzuhören.

  • Der Einigkeitsredner ist doch klassischerwwise Obama. Biden macht es genauso.

    Wenn viel Streit herrscht, braucht man nicht noch jemanden, der zankt.

    Allerdings ist richtig: versöhnen kann man nur, wenn man eine klare Botschaft und Lust auf die Zukunft hat.

    Hoffen wir, dass Kamala Harris sich in diese Richtung bewegt. Ihr bestes Zugpferd ist glaube ich ihre juristische Kompromisslisigkeit. Sie soll ruhig zu ihrer Härte stehen. Immer wenn sie sich als gute amerikanische Hausfrau zeigt, die weiß, wie man einen Truthahn stopft, kommt sie wahnsinnig unglaubwürdig rüber.

    • @JuR:

      Ui, da können sich die Abgehängten jeglicher Hautfarbe freuen, wenn Kamala Harris an ihrem Law-and-Order-Grundsatz festhält und sich die Gefängnisse weiter mit ihnen füllen dürfen. Hat ja schon einige Knüller in ihrer Karriere rausgehauen die Frau.

  • inwiefern soll biden attraktiver sein als clinton bleibt mir schleierhaft und was für Trump spricht die Leute wollen grundsätzlich FÜR was wählen nicht gegen und ich wage fast zubehaupten Trump als Zugpferd zieht einfach auch in der zweiten runde

    • @Mario Rinder:

      Sehe ich genauso. Ein Wähler, nicht nur in Übersee, will wissen, was er bekommt, nicht, was es demnächst nicht mehr gibt. Und Bidens außenpolitischen Ziele dürften auch niemanden hinterm Ofen vorlocken.

  • Man stelle sich einmal vor auch von demokratischer Seite würde vergleichbar unversöhnlich, rücksichtslos und polarisierend agiert wie man es von Trump mittlerweile gewohnt ist. Auch so wird ja schon gelegentlich die, nicht komplett abwegige, Frage aufgeworfen ob die Machtübergabe nach einer Niederlage Trumps geordnet und friedlich verlaufen wird. Sich nun von Biden eine Strategie zu wünschen die nicht auf Integration sondern auf maximale Abgrenzung setzt, läuft darauf hinaus das Risiko, dass der Laden auseinander fliegt ganz erheblich zu erhöhen. Ein Szenario in dem die USA an inneren ideologischen Konflikten zerbrechen, wäre aber nicht nur für die US-Amerikaner*innen sondern auch für den Rest der Welt ein Desaster.

  • Man kann nur hoffen, dass sich genug Wähler nicht für Biden sondern gegen Trump entscheiden. So war es 2016, als ausreichend Wähler sich gegen Clinton (als Killary wegen ihrer aggressiven Außenpolitik verspottet) entschieden und damit Trump den Steigbügel gehalten haben. Dazu mischte sich 2016 die Hoffnung, Trump würde sich mäßigen, sobald er ins Oval Office eingezogen ist. Fehleinschätzung! Wie man hier sagt: People don't change; they only become more so!

  • Versöhnung mit den rassistischen faschistischen sexistischen, lichtscheuen Vollidioten, die Trump gewählt haben? Doch, doch, das ist der richtige Ansatz. Wählerbeleidigung funktioniert immer.

    • @Werner S:

      Das scheint mir eine ausgewogene, objektive Meinung zu sein.

    • @Werner S:

      Wenn nicht Versöhnung, woran denken Sie dann? Bürgerkrieg? Wieviel Tote hatten Sie eingeplant?