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Münchens Kantererfolg gegen Barcelona8:2 und 7:1 als Demütigung

Bayerns Sieg über Barcelona sagt etwas über den Stand des Fußballs. Großer Sport ist nicht mehr der Kampf gleichwertiger Gegner.

Rausgedrängt: Der FC Barcelona verlässt geschlagen den Platz Foto: ap/Fernandez

A uf was deutet es hin, wenn eine sehr gute Mannschaft eine andere sehr gute Mannschaft plötzlich 8:2 oder, wie vor sechs Jahren, 7:1 demontiert und demütigt?

Die Vermutung, das 2014er WM-Halbfinale der DFB-Elf gegen Brasilien sei ein einmaliges Fußballwunder gewesen, ist seit Freitagabend perdu. Diesmal war der Täter nicht die deutsche Nationalelf, sondern der deutsche Rekordmeister, und das Opfer war nicht das weltweit wegen seines technisch hochstehenden Fußballs verehrte Brasilien, sondern das ähnlich geachtete Weltklasseensemble des FC Barcelona.

Große Fußballspiele, das war noch vor wenigen Jahren breiter Konsens, sind Auseinandersetzungen auf hohem Niveau. Kantersiege kommen bloß im Jugendfußball vor, ansonsten kannte man sie aus der Frühphase dieses Sports, als 1912 Deutschland Russland mit 16:0 abfertigte.

Das 3:4 von Deutschland – Italien bei der WM 1970 gilt jedoch gerade wegen der Stärke beider Teams vielen als Jahrhundertspiel. Und denjenigen, die sich großen Fußball auch ohne deutsche Beteiligung vorstellen können, fällt vielleicht noch ein Spiel wie Argentinien – England bei der WM 1986 (2:1) ein.

Egal, welche Partien noch denkbar sind, allen gemein ist: Es waren Spiele mit knappem Ausgang. Diese Gleichwertigkeit begründet ja auch den besonderen Reiz von Elfmeterschießen.

Das Wort vom „Kannibalisieren“ ist zu hören

So, wie man Fußball zu Zeiten eines halbwegs funktionierenden liberal organisierten Marktes interpretiert hat, gehören das 8:2 vom Freitag oder das 7:1 von 2014 genauso wenig in die Reihe großer Spiele wie etwa das 12:0 von Mönchengladbach über Dortmund zum Ende der Saison 1977/78. Das war alles zu einseitig, kein großer Kampf.

Wenn sich dieser Blick auf den Fußball aber ändert – und die ersten begeisterten Kommentare aufs 8:2 deuten das ja an –, dann ist das ein untrügliches Zeichen, dass der Fußball bald in ein neues Zeitalter eintritt.

Übergang vom Konkurrenz- zum Monopolkapitalismus, das ist eine Erklärung, die sich aufdrängt.

Das gilt übrigens nicht nur für den Fußball. Beim Boxen etwa waren die großen Kämpfe der Vergangenheit die von ähnlich guten Gegnern: Der „Thrilla in Manila“, den sich Muhammad Ali und Joe Frazier 1975 geliefert hatten, war der Kampf zweier gleichwertiger Weltklasseboxer. Irgendwann, etwa zur Zeit der Weltmeisterschaft Mike Tysons, wurden Kriterien wie „schnellster K. o.“ zum Qualitätsmerkmal eines großen Boxkampfes erklärt.

Übergang vom Konkurrenz- zum Monopolkapitalismus, das ist eine Erklärung, die sich aufdrängt, schaut man sich Phänomene wie das 8:2 oder das 7:1 an. Der Konkurrent, den man ja noch aus früheren Zeiten als den gefürchteten und geachteten Gegner kennt, wird mittlerweile in einem sportlichen Sinne vernichtet. Auch das hässliche Wort vom Kannibalisieren ist mitunter zu lesen.

Es spricht für die Akteure, etwa 2014 Bundestrainer Jogi Löw oder 2020 Löws damaligen Assistenten und heutigen Bayern-Trainer Hansi Flick, keinen Triumphalismus walten lassen. Von einer „kleinen Duftmarke“ sprach Flick nach dem 8:2. Auf keinen Fall die Brasilianer „lächerlich zu machen“, war Löw damals wichtig.

Die Demütigung ist dennoch da, und die Honorigkeit der Akteure beweist nur, dass wir es nicht mit Ausnahmetrainern zu tun haben, die ihre Jungs mit besonderen Motivationstricks heiß machen. Nein, eindeutig verweisen das 8:2 und das 7:1 darauf, dass sich der Fußball, ja, der Sport allgemein gerade neu sortiert und dass wesentliche Charakteristika großen Sports keine Gültigkeit mehr haben.

Wer Sport liebt, hat früher den großen Kampf geschätzt, mittlerweile ist es die Demütigung des Gegners, die goutiert wird.

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Martin Krauss
Jahrgang 1964, freier Mitarbeiter des taz-Sports seit 1989
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10 Kommentare

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  • Ich mag die Bayern auch nicht, aber gewinne im Sport auch gern. Deswegen muss man dem anderen keine niederen Motive unterstellen. Im goldenen Bayern ist Tradition und Profit kein Paradoxon.



    Wenn man finanziell nichts auf die Beine bekommt, kann man mit Tradition spielen. Ökonomische Interessen sind in unserer Gesellschaft doch bis zur Selbstoptimierung unserer Körper eingedrungen. Warum dann nicht auch in den Fussball? Aber Verachtung???

  • Genau das Gegenteil ist wahr: 7:1, nach dem 5. Tor sprachen sich deutscher Trainer und Mannschaft ab, es nun gut sein zu lassen wg. sonst ewige Feindschaft/Demütigung. Das zeugt also von Respekt und Anstand. - Die weiteren Tore kamen vom ehrgeizigen Ersatzspieler. - Eigentlich hätte man nach ihrer bis zur Halbzeit noch zum 12:0 durchspiel müssen. - Barcelona - haben Sie das Spiel überhaupt gesehen? Weltfremder Artikel.

  • Das ist zwar eine interessante These, die auch nachvollziehbar und vielleicht nicht ganz verkehrt ist. Sie wird hier aber nur äusserst dürftig und kaum schlüssig belegt.

    Die beiden Spiele, die als "Beleg" dienen sollen liegen ganze sechs Jahre auseinander. Das sich Spieler, Fans und Journalisten über hohe Siege und viele Tore freuen, ist nun wirklich nichts Neues und auch nicht verwerflich.

    Für die Untermauerung der These, dass heutzutage ein größeres Interesse an der Demütigung des Gegners als an einem Kampf auf Augenhöhe besteht, bräuchte es beispielsweise qualitative Untersuchungen über die Motivation und Emotionen der Akteure. Vielleicht wäre auch ein exakterer analytischer Blick auf eine möglicherweise veränderte Berichterstattung ergiebiger als dieses dürftige Konstrukt hier.

    Wenngleich ich, wie gesagt, die These interessant und plausibel finde. Aber die hier dargebrachten Zusammenhänge erscheinen leider ziemlich unfundiert.

  • WARUM Herr Krauss haben Sie nicht Frankfurt gerügt, als sie Bayern 5:1 besiegten, abfertigten, der Lächerlichkeit preisgaben, das ein anständiger Verein sowas nicht macht ?

  • Möglicherweise gibt es hier auch einen Zusammenhang mit der steigenden sozialen Ungleichheit. Je ungleicher eine Gesellschaft ist, desto weniger Empathie empfinden ihre Mitglieder für diejenigen, die nicht zu ihrer Gruppe/sozialen Klasse/etc. gehören.

    Politisch zeigt sich das im Populismus. Im Sport hingegen finden die Leute dann möglicherweise Geschmack daran, den Gegner zu "vernichten".

  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    Ich habe noch verstanden, was daran spannend ist, Bayern-Fan zu sein. Da kann man auch das dicke Kind bejubeln, dass den anderen Kindern das Essen vom Teller klaut.

  • ".... mittlerweile ist es die Demütigung des Gegners, die goutiert wird."

    Unterstellungen hoch Zehn. Da lese ich doch lieber den Sportteil in der Bild.



    Nebenbei, ein geschossenes Tor in der Championsleag erhöht den Marktwert eines Spielers erheblich, und der Sinn des Fußballs ist das Schießen von Toren.

  • Sorry, aber das ist völlig an den Haaren herbeigezogen. Solche Ergebnisse sind immer noch die absolute Ausnahme. Das an zwei Ergebnissen aus den letzten 7 Jahren festzumachhen ist mehr als dünn.

    Bei Barca standen ausnahmslos Klasse-Kicker auf dem Platz. Da sich das Team aber mit internen Streitereien und Fehlbestzungen die gedsamte Saison versaut hat, die Bayern aber mannschaftlich geschlossen und in Topform daherkamen und die Corona-bedingten unterschiedliche Vorraussetzungen gegeben haben, kommt eben mal sowas zu stande. Und nutzen die Katalonen in der Anfangsphaser ihre Chancen, kanns auch ganz anders ausgehen.

    Dazu gabs vor 7 Jahren kein 7:1, sondern zwei Spiele, aus denen sich das Gesamtergebnis summiert. 4:0 und 3:1 sind Ergebnisse, die hats auch schon vor Hundert Jahren gegeben. Und auch Brasilien war mit Topstars gespickt, als sie ihre4 Jahrhundertniederlage bekamen. Aber eben auch völlig vercoacht und dem Dreuck der eigenen Fans nicht gewachsen.

    Im Profifußball läuft viel falsch. Aber das hat mit dem Ergebnis von Freitag absolut nichts zu tun. Und als echter Fußballfan kann man sich über so ein Spektakel, mit begeistenden Fußbal auch mal freuen und Stammtischparolen wie Kannibalismus den Boulevardgazetten überlassen.

    • @Deep South:

      Unterschreibe ich sofort.



      Bin übrigens KEIN Bayern-Fan.

  • Bei umgekehrtem Ausgang dieser beiden Ausnahmespiele wäre hier wohl von großer Fussballkunst zu lesen gewesen. Zu Recht.