: Vietnamesenhelfensichselbst
Wo machen Berliner Vietnamesen in diesem Jahr Urlaub? Nach Vietnam zum Familienbesuch kommen sie nicht. Die Coronapandemie brockte der vietnamesischen Community Probleme wie allen anderen Bevölkerungsschichten ein – und ganz spezifische. Über Massentests, das Nähen von Alltagsmasken, Essensspenden und den ausgesetzten Flugverkehr nach Vietnam
Von Marina Mai
Am Eingang des Ladens im Asiamarkt Dong-Xuan-Center in Lichtenberg steht ein Spender für Desinfektionsmittel. Wollen Kunden das Geschäft betreten, ohne sich zuvor die Hände zu desinfizieren, schickt die Verkäuferin sie zurück. Die Vietnamesin trägt selbstverständlich eine Maske wie die übergroße Mehrheit des Personals und der Kunden hier in Berlins größtem Asiamarkt. Coronavorsorge wird unter vietnamesischen BerlinerInnen großgeschrieben.
Anders als andere BerlinerInnen mussten sich Zuwanderer aus Vietnam auch gar nicht erst an Masken gewöhnen. In vietnamesischen Großstädten ist es seit Jahren üblich, Mundschutz im Straßenverkehr zu tragen. Nicht aus Schutz vor Infektionskrankheiten, sondern vor den Abgasen der Fahrzeuge und der Industrie. In Berlin tragen ebenfalls seit Jahren vietnamesische Angestellte in Nagelstudios Mund-Nasen-Schutz, um sich vor den giftigen Lösungsmitteln zu schützen.
Und doch gab es unbemerkt von den Medien Ende Mai bis Anfang Juli unter vietnamesischen BerlinerInnen eine kleine Coronawelle. Glaubt man dem Community-Journalisten Vu Luong Vu, der die Community kennt wie kaum ein anderer, dann kam es in zwei Fällen zu Krankenhauseinweisungen. Zudem soll bei drei schwangeren Frauen, die völlig symptomfrei waren, im Mai der Coronabefund bei einer Vorsorgeuntersuchung für Schwangere festgestellt worden sein. Eine amtliche Bestätigung dafür gibt es nicht, denn Corona-Erkrankungen werden grundsätzlich nicht nach Staatsangehörigkeit oder Nationalität erfasst.
Damit wollen die Gesundheitsbehörden rassistischen Ressentiments den Boden entziehen. Die taz hat sich aus diesem Grund auch entschieden, erst nach dem Abklingen der Fälle darüber zu berichten. Lediglich für die Gruppe der Asylsuchenden wird eine nach Staatsangehörigkeit unterschiedene Statistik im Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten geführt. Ihr zufolge gab es neun Coronafälle unter vietnamesischen Asylsuchenden, alle zwischen Anfang Mai bis Anfang Juli.
Die Einzelfälle sprachen sich herum, und es trat Panik auf in der vietnamesischen Gemeinde. Ängste gab es vor allem gegenüber solchen Landsleuten, die sich illegal in Deutschland aufhalten, weil die drei schwangeren Frauen lange gemeinsam mit vielen anderen illegal in Berlin gelebt hatten, bevor sie im achten Schwangerschaftsmonat Asyl beantragt hatten und kurz darauf die unerkannte Corona-Infektion festgestellt wurde. Ein gemeinnütziger Verein und sogar die vietnamesische Botschaft in Berlin warnten in Rundschreiben vor Coronafällen unter Vietnamesen in Berlin und Brandenburg und rieten zur freiwilligen Selbstquarantäne.
Mai Thy Phan-Nguyen, Ärztin
Laut dem Journalisten Vu Luong Vu führte die Panik dazu, dass VietnamesInnen kaum noch im Dong-Xuan-Center einkauften. Inzwischen gebe es aber keine neuen Fälle, und es kämen wieder mehr Kunden in den Asiamarkt, sagt der Mann, dessen Ehefrau dort ihr Geschäft hat. Um Vertrauen zu schaffen, wurden in den Gewerbehallen sogenannte Mieterwachen geschaffen. Die achten darauf, dass die Nachbarn einen Mund-Nasen-Schutz tragen und dass niemand zur Arbeit kommt, der eigentlich Quarantäne einhalten sollte.
„Ja, es gab ab Ende Mai relativ viele Fälle“, bestätigt die vietnamesischstämmige Ärztin Mai Thy Phan-Nguyen der taz. Ihre Arztpraxis habe an einigen Wochenenden in Sondersprechstunden in Absprache mit dem Lichtenberger Gesundheitsamt rund 800 VietnamesInnen getestet. Dabei habe es 60 positive Coronabefunde gegeben. Meist hätten die Menschen gar keine oder nur geringe Krankheitssymptome gehabt. „Die Leute sind alle freiwillig zum Test gekommen, das Bedürfnis, sich testen zu lassen, war riesig,“ sagt die Ärztin. Inzwischen sei die Welle abgeebbt.
Die Gründe für die recht zahlreichen Coronafälle sieht die Ärztin in Übertragungen im privaten Bereich. Beispielsweise gab es Geburtstagsfeiern und möglicherweise auch Zusammenkünfte zum Kartenspiel.
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