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Corona in Tönnies-FleischfabrikLaschet gegen Lockdown

Trotz mehr als 1.300 infizierter Mitarbeiter erkennt NRW-Ministerpräsident Laschet keine Ausbruchsgefahr für die Region.

Quarantäne wegen Tönnies: Im Verler Stadtteil Sürenheide sind mehrere Wohnblocks abgeriegelt Foto: David Inderlied/dpa

Berlin taz | Mehr als 1.300 Corona-Infizierte beim Fleischverarbeiter Tönnies im Landkreis Gütersloh – Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hält einen Lockdown dennoch nicht für notwendig. Es gebe zwar „ein enormes Pandemie-Risiko“, sagte Laschet am Sonntag nach einem Treffen mit dem Krisenstab in Gütersloh. Das Infektionsgeschehen sei aber klar bei der Firma Tönnies lokalisierbar, und es gebe keinen „signifikanten Übersprung“ hinein in die Bevölkerung. Das öffentliche Leben müsse nicht komplett heruntergefahren werden.

Die Zahl der Corona-Infizierten in der Tönnies-Fleischfabrik in Rheda-Wiedenbrück ist bis Sonntagnachmittag auf 1.331 gestiegen. Insgesamt 6.139 Tests seien gemacht worden, teilte die Kreisverwaltung mit. „Bei den Testungen zeigte sich, dass die Zahl der positiven Befunde außerhalb der Zerlegung deutlich niedriger sind als in diesem Betriebsteil“, hieß es weiter. Für 21 der Infizierten ist die Lage dramatisch, sie müssen stationär behandelt werden, 6 Personen liegen auf der Intensivstation. Fünf der sechs sind nach Angaben des Kreises Tönnies-Beschäftigte.

Laschet betonte, dass seine Regierung einen flächendeckenden Lockdown zwar auch weiterhin nicht ausschließen könne, „aber solang wir alles tun, dass es gelingt, dass es nicht überspringt auf die Bevölkerung, können wir andere, bessere, zielgerichtetere Maßnahmen ergreifen“, sagte der Landeschef. Sein Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) kündigte verschärfte Regeln für die Fleischindustrie an, um den Arbeitsschutz zu verbessern. Freiwillige Lösungen mit ihr könne es nicht mehr geben: „Jetzt ist es einfach so weit, jetzt muss es geregelt werden.“

Der Leiter des Krisenstabes, Thomas Kuhlbusch, berichtete von großen Problemen, an die Adressen der Mitarbeiter zu kommen. „Das Unternehmen hatte es nicht geschafft, uns alle Adressen zu liefern“, bemängelte Landrat Adenauer. „Das Vertrauen, das wir in die Firma Tönnies setzen, ist gleich null“, so Kuhlbusch.

Tönnies-Mitarbeiter verduften

Was die Ermittlungen zusätzlich erschwert: Der Kreis Gütersloh hat Hinweise, dass einige Beschäftigte abgereist sind. „Wir haben vermehrte Mobilität wahrgenommen“, sagte eine Kreissprecherin. Das sei dem Kreis von Bürgern zugetragen worden. „Eine Handhabe, das zu unterbinden, hatten wir zu der Zeit nicht.“ Der Kreis hatte die Quarantäne am Freitag angeordnet. Sie gilt auch für alle Haushaltsangehörigen der Beschäftigten.

SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach kritisierte den laschen Umgang der NRW-Landesregierung. „Die Entscheidung gegen einen lokalen Lockdown ist falsch“, schrieb er auf Twitter. „Der Ausbruch blieb so lange unentdeckt, dass er sich längst auf die Bevölkerung ausdehnen konnte.“ Auch jetzt könne die Quarantäne der Tönnies-Arbeiter nicht kontrolliert werden. Laschet mache sich und die gesamte Politik von Bund und Ländern im Umgang mit lokalen Infektionsausbrüchen „lächerlich und unglaubwürdig“, sagte Lauterbach der Rheinischen Post.

Die vereinbarte Grenze von 50 Neuinfektionen pro Woche je 100.000 Einwohner sei in Gütersloh klar überschritten. „Damit bekommen die Menschen den Eindruck, dass die Politik sich nicht an die eigenen Regeln hält.“ Lauterbach: „In NRW entsteht der Eindruck, als wolle man den Schweden-Weg durch die Hintertür einführen. (mit dpa)

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7 Kommentare

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  • Hätte Laschet gewusst, was wir heute wissen, hätte er Gangelt schon während der Karnevalssitzung komplett abgeriegelt. Das Gleiche mit dem Kitzloch in Ischgl. Ganz Europa wäre ein großes Leiden erspart geblieben.

    Nun wissen wir mehr und die betroffenen Arbeiterinnen sind genau umrissen und nicht über ganz Europa zerstreut. Mit einigen Tausend Infizierten müssen wir nun schon rechnen, da könnte trotzdem ein komplettes lockdown unangemessen sein.



    Wir Tazleser wissen natürlich, was zu tun ist und stehen Laschet mit unseren Ratschlägen zur Seite.



    In Göttingen besteht eine ähnliche Situation: Uneinsichtige, infizierte Bewohner in einem Wohnblock konzentriert. Bitte, Ideen, wie hält man Infizierte und Nicht-Infizierte auseinander? Mit Dunkelziffern würfeln?

  • "Eine Handhabe, das zu unterbinden, hatten wir zu der Zeit nicht."

    Bitte was? Die Pandemie ist seit einem halben Jahr aktiv. Wir hatten bundesweite Kontakt und Mobilitätsbeschränkungen. In Bayern und Sachsen durfte man "ohne trifftigen Grund" nicht einmal die Wohnung verlassen. Es wurden zig Konzepte zu Pandemiebekämpfung und Quarantänemaßnahmen erarbeitet. Und dann gibts Monate später in NRW einen Hotspot und es ist nicht möglich, zu verhindern, dass potentiell Infizierte sich völlig frei bewegen?

    Eigentlich kann ich Lauterbach zu diesem Thema nicht mehr zuhören, aber was Laschet abzieht an Ignoranz bzw. Inkompetenz kaum zu toppen.

  • Und sowas will Kanzlerkandidat werden?

    • @Rossignol:

      Natürlich! Und zwar als Speerspitze der Öffnung -- und als deren konsequenter Verteidiger.

      Herr Laschet schließt jetzt eine Wette ab, dass es zu keiner relevanten Streuung in der regionalen Bevölkerung kommt. Dann sind die anderen die "Bedenkenträger", die die "wiedergewonnene Freiheit" vorschnell wieder aufheben wollen.

      Das Bittere dabei ist, dass wir hoffen sollten, dass er seine Wette gewinnt.

      Die "zunehmende Mobilität" ist dabei übrigens kein Problem -- damit wird das Virus ja nur nach Bulgarien und Rumänien "zurückgeführt".

      Und ein bisschen Trommeln gegen die böse Fleischindustrie schadet da auch nicht -- dass man die bis vor ein paar Wochen noch mithilfe von aus Amtsstuben per Fax verschickten Fragebögen "kontrollierte", wird da gern verschwiegen.

  • Wenn Laschet den Ausbruch für eingrenzbar hält, sagt er doch sinngemäß, dass es gar nicht so schlimm ist, wenn die Arbeiter in Massenunterkünfte gequetscht werden.

  • "Die vereinbarte Grenze von 50 Neuinfektionen pro Woche je 100.000 Einwohner sei in Gütersloh klar überschritten. „Damit bekommen die Menschen den Eindruck, dass die Politik sich nicht an die eigenen Regeln hält“"

    Wie war das noch als unsere rechtskonservativen Eliten gegen Ramelow hetzten? Dies sind so was von Falsch!

  • Wusste ich‘s doch, dass sie ihre Entschlossenheit nicht durchhalten können, wenn mich alle anderen genau so entschlossen handeln wie sie selber.