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Reform von Bußgeld gegen Raser„Fahrverbote sind abschreckender“

Scharfe Sanktionen für Raser sollten wieder eingeführt werden, sagt ein Leiter aus dem Stuttgarter Verkehrsministerium – wie in der Schweiz.

Schnell: Lamborghini Foto: Karsten Thielker
Christian Rath
Interview von Christian Rath

taz: Herr Erdmenger, sind die verschärften Fahrverbotsregeln, die wegen eines Formfehlers derzeit nicht gelten, tatsächlich „unverhältnismäßig“, wie Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer meint?

Christoph Erdmenger: Nein. Um ein einmonatiges Fahrverbot zu erhalten, musste ein Autofahrer zum Beispiel in der Tempo-30-Zone über 54 km/h gefahren sein, also fast doppelt so schnell wie erlaubt.

Wie kommen Sie auf „über 54 km/h“? Im Bußgeldkatalog ist nur von 21 km/h Überschreitung die Rede

Zu addieren sind 3 km/h Messtoleranz beim Blitzgerät. Dazu kommen Ermessenstoleranzen und Abweichungen von der Tachoanzeige.

Viele Autofahrer sehen sich bei diesen Geschwindigkeiten nicht als „Raser“...

Das Schadenspotenzial ist aber beträchtlich. Wenn ein Fußgänger mit Tempo 30 angefahren wird, endet der Unfall in einem von zehn Fällen tödlich. Bei Tempo 50 ist der Aufprall in sieben von zehn Fällen tödlich.

Viele Tempo-30-Anordnungen dienen aber gar nicht der Verkehrssicherheit, sondern dem Lärmschutz...

Aber auch dort sterben bei einem Aufprall Leute. Im Übrigen dient der Lärmschutz ebenfalls der Gesundheit. Denn Verkehrslärm führt unter anderem zu mehr Herzinfarkten. Aus Sicht der Forschung sind die Lärmwerte, die Geschwindigkeitsbegrenzungen auslösen, sogar noch deutlich zu hoch.

Kerstin Sänger
Im Interview: Christoph Erdmenger

Der 50-Jährige ist seit 2013 Abteilungsleiter im baden-württembergischen Verkehrministerium. Er ist für nachhaltige Mobilität und auch für Bußgeldfragen zuständig. Zuvor war Erdmenger Fachgebietsleiter im Umweltbundesamt in Dessau und Landtagsabgeordneter der Grünen in Sachsen-Anhalt.

Bringen harte Sanktionen überhaupt etwas für die Verkehrssicherheit?

Fahrverbote haben eher abschreckende Wirkung als die Geldbußen in derzeitiger Höhe, die von vielen bewusst in Kauf genommen werden. In der Schweiz und in Skandinavien, wo die Sanktionen deutlich höher sind, gibt es deutlich weniger Verkehrstote.

Übersieht nicht jeder mal ein Verkehrsschild?

Autofahren ist gefährlich. Deshalb ist es wichtig, dass jeder Autofahrer sich beim Fahren konzentriert und wie ein Habicht aufpasst, auch auf die Verkehrsschilder. Die Schilder sind keine unverbindlichen Empfehlungen.

Aber nach einem langen Arbeitstag ist man nun mal müde und etwas unkonzentriert...

Für solche Fälle gibt es Hilfsmittel. Der Navi im Auto oder auch spezielle Smartphone-Apps können Geschwindigkeitsbegrenzungen laut ansagen.

Was gilt, wenn das Schild kaum lesbar war?

Dann kann dies in einem Einspruch geltend gemacht werden. Die Bußgeldbehörde überprüft dann, ob das Schild wirklich verschmutzt war.

Ist es erlaubt, in den Ort hineinzurollen, um Sprit und Bremsbeläge zu sparen?

Ausrollen ist sinnvoll, wenn man rechtzeitig damit anfängt. Eine Ortschaft kommt ja nicht überraschend. Ab dem Ortseingangsschild gilt dann aber das jeweilige Tempolimit. Menschen, die am Ortseingang wohnen, sind nicht weniger wert, als die Bewohner der Ortsmitte.

Für manche Autofahrer wirkt ein Fahrverbot wie ein Berufsverbot. Geht das nicht zu weit?

In der Regel muss der Führerschein nicht sofort abgegeben werden, sondern erst binnen vier Monaten. So lässt sich das Fahrverbot eventuell auf einen passenden Zeitraum legen, etwa die Urlaubszeit. Das ist doch eher großzügig.

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12 Kommentare

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  • Generell finde ich die Verkehrsregelung in Stuttgart mit 40 km/h völlig ok. Nicht hier 50 und da 30 km/h sondern flächendeckend 40 km/h. Eine sinnvolle Anpassung an e-bikes und Scooter.

    In dieser ganzen Diskussion sollte und darf nicht vergessen werden, dass gerade die massive Zunahme der e-bikes und s-pedelecs mit reingenommen wird.



    Letztlich rasen die Gleichen (Ärsche) die vorher mit dem Auto unterwegs waren jetzt als Umweltbewusste Rennsäue durch die Strassen und gefährden damit Passanten. Gerade e-bike Fahrende benehmen sich mit Vollspeed daneben, weil meist nicht identifizierbar (ohne Nummernschild), als gelten für sie keine StVo. Gefâhrden damit Fussgänger und natürlich sich selbst erheblich.



    e-scooter Fahrende sind eine Spezies für sich. Mitten drin (in Fußgängerzonen) - es reicht eine kleine Berührung und schon tut's weh.

  • Also, grundsätzlich finde ich härtere Strafen richtig; hier in Deutschland wurden Verkehrsübertretungen bislang viel zu sanft geahndet. Warum ich trotzdem die aktuelle Diskussion um die Fahrverbote kritisch sehe, möchte ich an folgendem Beispiel zeigen.



    Die Stadt Mainz hat vor einigen Wochen ein paar Durchgangs-strassen in der Innenstadt auf 'Tempo 30' gesetzt. Hier war früher '50', und wer den Stadtverkeht kennt, weiss, daß das in der Regel ein Durchschnittstempo von 55 war. Hat man also das '30' Schild nicht wahrgenommen, weil man vielleicht länger nicht mit dem Auto dort unterwegs war ... DAS WAR'S !!

    • @dodolino:

      Genau schauen und konzentriert fahren hilft. Das letztere können insbesondere die sogenannten schwächeren Verkehrsteilnehmer erwarten.

  • Sehr besonnen, der Mann! Schliesslich ist der Lappen ja nicht bei der ersten kleinen Übertretung weg, oder? Und dass diese bewegten Massen ziemlich gefährlich sind sieht man, wenn ein Auto vollkommen unbeteiligte Fussgänger oder Radfahrer schwer verletzt. Und da ist eben bei höheren Geschwindigkeiten viel mehr Wucht und Wahrscheinlichkeit.

  • Man sollte eine Regelung von der Schweiz übernehmen:Bei einer extremen Geschwindigkeitsübertretung,definiert in Prozent,wird das Fahrzeug beschlagnahmt und versteigert.Das tut richtig weh wenn der Lamborghini weg ist!

  • "[...] in der Tempo-30-Zone über 54 km/h gefahren sein, also fast doppelt so schnell wie erlaubt."



    Einmal runden: 30 zu 54 (bzw. 51) ist gerundet gibt ein Verhältnis von 3:2 und nicht 1:1 ("fast doppelt so schnell"), auch nicht fast.



    Die Toleranzgrenze dient dem Ausgleich etwaiger ungenauer Messwerte. Smog, Hitze, wabernde Luft, Regen, u.s.w. Die Messgeräte sind nur unfehlbar, wenn sie etwa im Vaakum messen.

    "Aber auch dort sterben bei einem Aufprall Leute."



    Dort sterben Leute, wo Unfälle passieren. Diese Aussage ist rein statistisch. Schließlich gibt es Straßen an denen es jahrzehntelang keine (tödlichen) Unfälle gibt, an anderen dafür jeden dritten Tag.



    Hier, ein Zitat anderen Ursprungs: "People die when they are killed." Bitteschön.

    "Autofahren ist gefährlich. Deshalb ist es wichtig, dass jeder Autofahrer sich beim Fahren konzentriert und wie ein Habicht aufpasst, auch auf die Verkehrsschilder."



    Autofahren ist gefährlich. Deswegen wird sichergestellt, dass eine Jede und ein Jeder, der ein Auto fährt eine amtliche Berechtigung dafür erhält und sich bei Umgehung dieses Prozesses strafrechtlich belangbar macht. Ebenso wird ein Maschinenführer (ein Auto ist eben eine Maschine) umso härter sanktioniert, je kürzer er seine Lizenz besitzt: Höhere Haltungskosten, Bewährungszeit, u.U. andere Bestrafung usw.



    Übrigens ist Aufmerksamkeit eine Frage der Kondition. Selbst Tai-Chi ist da viel nützlicher als jeder TV-Sport mit Bier in der Hand. Wer Autofahrer also sanktionieren will, sollte in Fahrschulen Sport als Pflichtmodul zum erfolgreichen Führerscheinerwerb einführen. Mit periodischen Fitnessprüfungen und staatlich geförderten Vorbereitungen.

    "Für solche Fälle gibt es Hilfsmittel [...]."



    Also Ich greife während der Fahrt nie zum Smartphone.

    "Menschen, die am Ortseingang wohnen, sind nicht weniger wert, als die Bewohner der Ortsmitte."



    Ich habe jedoch genug Ortsränder gesehen, die nahtlos in den nächsten Ortsrand übergehen. Gleich sind alle nur vor Gott und im Stau.

    • @Rheinsitzer:

      "Einmal runden: 30 zu 54 (bzw. 51) ist gerundet gibt ein Verhältnis von 3:2 und nicht 1:1 ("fast doppelt so schnell"), auch nicht fast."

      Das stimmt so nicht, 54 ist 24 mehr als 30, also 80% mehr und damit tatsächlich näher an "doppelt so schnell" als das was sie sich da zusammengerechnet haben.

      Wo ist das Problem mit dem Einhalten von Geschwindigkeitsbegrenzungen? Geht das gegen ihr Freiheitsgefühl?

      Die Schweizer bekommen das wunderbar hin und es dort unglaublich angenehm auf der Autobahn.

  • „Fahrverbote sind abschreckender,



    ... scharfe Sanktionen für Raser sollten wieder eingeführt werden"

    Für notorische Raser, d.h. "Wiederholungstäter": Ja, o.k. Aber auch für die, die versehentlich einmal deutlicher darüber liegen und beruflich auf "das Auto" angewiesen sind ?

    Hier sollte m.E. differenziert werden.

    • @Nicolai Nikitin:

      Der alte Bußgeldkatalog sah vor dass man 1 mal im Jahr mit 60kmh in einer 30er Zone erwischt (!) werden konnten ohne ein Fahrverbot zu bekommen. Immerhin 100 Euro kostet es hier Leben zu gefährden.

      Gerade für 30er Zonen würde ich mir sehr strikte Grenzen wünschen da hier die Schwächsten der Gesellschaft gefährdet sind. Direktes 1 monatiges Fahrverbot ab 45kmh (nach Abzug Toleranzen) fände ich hier durchaus angemessen.

    • @Nicolai Nikitin:

      Nach meinem Empfinden, ist jeder, der eine Maschine bedient, die potentiell Unschuldige tötet, dazu verpflichtet, Sorge zu tragen, dass er NIEMALS über dem gesetzlichen Grenzwert liegt.

      Jeder tolerierte Stundenkilometer über'm Limit ist bereits Kulanz. Und wer einmal innerorts bei 71 km/h erwischt wurde, hatte ja schon genug Gelegenheiten, Unheil anzurichten, bei den vielen Malen, wo er/sie nicht erwischt wurde.

      Aus Unachtsamkeit mal eben das Risiko um den Faktor 7 zu steigern (s.o.) kann doch kein Kavaliersdelikt sein. Sind uns Menschenleben wirklich so wenig wert?

      Vorschlag zu Güte: Vielleicht also eher nach oben differenzieren: bei Wiederholung längeres Fahrverbot.

  • "Fahrverbote haben eher abschreckende Wirkung als die Geldbußen in derzeitiger Höhe, die von vielen bewusst in Kauf genommen werden. In der Schweiz und in Skandinavien, wo die Sanktionen deutlich höher sind, gibt es deutlich weniger Verkehrstote."

    geldbussen bewirken bei den reichen und besserverdienenden unter den raser*innen nichts.sie sollten darum nicht für alle gleichhoch sein sondern der höhe nach vom einkommen abhängen.



    fahrverbote sind gerechter als geldbussen .sie haben den vorteil dass sie alle raser*innen unterschiedslos diziplinieren

    für raserei gibt es den motorsport .auf der strassen sollte sie nicht toleriert werden

    • @satgurupseudologos:

      Einkommensabhängige Bußgelder bevorzugen diejenigen Raser/innen, die H.IV beziehen und sich den Maserati mit extralegalen Tätigkeiten finanzieren oder den Lamborghini der Schwipptante oder des Großonkels fahren.

      Es sollte Fahrverbote für Raser/innen geben und gleichzeitig die Tatfahrzeuge temporär oder dauerhaft stillgelegt werden. Dann überlegen sich auch Tante oder Onkel, ob sie ihren Ferrari weiterhin so freizügig verleihen.