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Nervige HobbyfotografieDiese Lebenshaltung widert mich an

Alles wird heute fotografiert, damit man es sich später immer wieder ansehen kann. Dabei liegt der Wert des Lebens in seiner Vergänglichkeit.

Sehen allein reicht nicht mehr: Alles muss im Bild festgehalten werden Foto: Malte Christians/dpa

P flanzen- und Tierarten sollen schon ausgestorben sein, wegen der Hobby-Fotografen, erklärte der Sprecher des Nationalparks Harz die Tage. Das liegt an der Unbescheidenheit der Leute, sage ich. Das ist ein zurückhaltender Ausdruck für das, was ich meine. Kaum etwas geht mir so auf die Nerven wie diese irrsinnige Fotografiererei an allen Orten zu allen Zeiten überall und ohne Rücksicht auf Tiere, Pflanzen, Menschen.

Was es auch zu sehen gibt, es wird nicht gesehen, es wird fotografiert. Das Sehen allein reicht nicht mehr aus, allein etwas Schönes und Besonderes anzusehen, das ist überhaupt nichts mehr wert. Man muss es fotografieren.

Wozu? Um es zu Hause noch einmal anzusehen. Auf einem Bildschirm. Auf einem Ausdruck. Sieh mal einer an. Das ist doch wirklich da gewesen, ich kann es mir auf meinem Bildschirm ansehen. Da liegt der Wert, im Unvergänglichen, im Abbild.

Ich weiß nicht, ob den Leuten nicht klar ist, dass der Wert allen Lebens in erster Linie in der Vergänglichkeit liegt. Die Schönheit liegt im Vergänglichen, die Liebe, es ist ja alles nur ein Augenblick. Den wir verderben, indem wir ihn nicht mit allen Sinnen genießen, weil wir damit beschäftigt sind, ihn bestmöglich festzuhalten, ihn zu katalogisieren, mit ihm anzugeben, ihn zu instrumentalisieren, für unsere Selbstdarstellung zu nutzen, ihn auszubeuten und all den anderen Scheiß.

Und es ist ja nicht nur das. Wenn wir in den sozialen Netzwerken zu Hause sind, kennen wir beinahe alles schon. Wir haben diesen einsamen See im Harz ja schon gesehen, bevor wir ihn selbst erwandert haben, und komischerweise war er da viel blauer und der Himmel war so dramatisch und dann gab es da dieses kleine Tier, dass dann gar nicht da ist, wenn wir selbst wirklich einmal an diesen See gelangt sind.

Mich wundert es, dass so viele Menschen sich überhaupt nicht dafür schämen

Und so schleicht sich Enttäuschung in unser Leben, das, einmal selbst gelebt, sich nur noch als eine enttäuschende Kette schlechter Kopien der Instagrammmomente anderer entpuppt.

Als ich jung war, hat kaum jemand die Natur fotografiert, der nicht wirklich Fotograf war. Man hat die Oma fotografiert, die Freunde, man hat dann vielleicht das eine Foto an dem einen Ort gemacht, wo aber meist auch die Familie mit drauf war, und das war dann das Foto vom Urlaub. Meinetwegen hat man auch 30 oder 90 Fotos gemacht.

Aber jetzt gibt es Hunderttausende von Fotos, weil ununterbrochen fotografiert wird. Niemals wird man sich, als alter Mensch, irgendwann hinsetzen können und sein Leben anhand von Fotos an sich vorbeiziehen sehen können. Es sind ja viel zu viele und wir bräuchten noch ein zweites Leben, um all unsere Fotos noch einmal ansehen zu können.

Und deshalb mache ich nur noch sehr wenige Fotos. Es widert mich an, diese Lebenshaltung widert mich an. Ich glaube nicht, dass jemals schon in solchem Umfange und so hemmungslos geprahlt wurde wie heute. Prahlen ist nichts mehr, wofür man sich schämt, Prahlen ist eine akzeptierte Lebenshaltung.

Donald Trump ist ein großer Prahler, die meisten Instagrammer, Youtuber und sofort, sie sind alle große Prahler*innen, und das ist was Gutes, das ist was Normales, das ist unser Style. Mich wundert es nicht, dass im Harz die Menschen über Absperrungen klettern, Biotope tottrampeln, geschützte Bereiche zerstören, mit diesen beknackten Drohnen die Vögel verstören, deren Unversehrtheit ist einfach nichts, das ihnen etwas bedeutet, weil es nichts mit ihnen zu tun hat. Mit ihnen zu tun haben nur die Dinge, mit denen sie prahlen können.

Das ist unsere hemmungslose, anstandslose Zeit. Mich wundert es immer noch, und da bin ich vielleicht überholt, alt eben, dass so viele Menschen sich überhaupt nicht dafür schämen. Scham scheint in diesem Bereich gar nicht mehr vorzukommen. Rücksicht. Respekt. Wir haben ja nur noch so wenig Natur, so wenige wirklich geschützte Flächen hier in Deutschland.

Das ist was Großes, was Wichtiges, und wenn man das nicht versteht, dann ist man ein Mensch, der gar nichts versteht und der aus diesem Grund auch niemals ein gutes Bild machen und niemals die Natur wirklich erleben wird.

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Schriftstellerin

7 Kommentare

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  • Hahaha, der Tourist bekommt vom Urlaubsland nichts mit, weil er ständig den Fotoapparat vor der Gusche hat und muß sich deshalb zuhause alles nochmal per Video reinziehen.

  • Katrin Siddig hat ja so recht – und sie hat ihr Unverständnis und ihr Unbehagen sehr gut und völlig einleuchtend beschrieben. Ich stimme ihr ohne Einschränkung zu und möchte nur Folgendes ergänzen: All diese reflexhaft aufgenommenen Bilder werden höchstens in den ersten Tagen nach dem Knipsen mal angesehen oder, was wahrscheinlicher ist, anderen gezeigt; danach natürlich nicht mehr, denn dann sind sie ja bereits von neueren Schnappschüssen überlagert (oder verschüttet) worden. Und spätestens drei oder vier Jahre später macht ja auch schon die Technik nicht mehr mit. Von wegen: Bilder anschauen, wenn man Rentner*in ist und endlich Zeit hat ... Nein, diese Aufnahmen werden mit großer Dringlichkeit gemacht und gleichzeitig mit riesigem Desinteresse an allem, was mit ihnen zusammenhängt. Ziemlich widersprüchlich und sinnfrei, das Ganze. (Aber auch nicht viel anders, als sich Klamotten anzuschaffen, die man kaum oder gar nicht trägt, oder Lebensmittel zu kaufen, die man vergammeln lässt und wegschmeißt.)

  • Lassen sie den Leuten doch ihren Spaß. Vor 40 Jahren gab es noch keine Fotos. Zumindest keine digitalen, aber auch keine digitalen Akten, Formulare, Bewegungsprofile, Archive, Datenbanken, Serverfarmen, Exabytes.

  • Soviel Weihrauch um das eigene Haupt und das so kurz vor dem Verwesungsgeruch und der Schönheit des Vergänglichen.

  • 9G
    90946 (Profil gelöscht)

    Scham ist interessant, ebenso Schamlosigkeit. Beide Gefühle wohl eine Frage von Mehrheiten, was eben als sozial akzeptable Haltung /Verhaltensweise gilt. Wenn alle immer fotografieren und Fotos verschicken, schämt sich niemand. Aber es wird eben auch uninteressant. Ich schätze, das wird sich wieder einpendeln, wenn es alle ausprobiert haben und anfangen langweilig zu finden.



    Eine wachsende Zahl junger Leute soll es auch als uncool ablehnen ein Smartphone zu besitzen.

  • Wer selbst nur ein Abbild von Gedanken ist, sammelt und teilt halt am liebsten Bilder. Und verpasst damit das einzig Lebendige.

  • Wenn mir jemand sein Handy unter die Nase hält um mir nen' Strand, die Katze, frischgeborene Nichte, etc. zu zeigen (ich besitze zum Glück kein Smartphone), dann sag ich mit großer Begeisterung z:B.: "Wow, ein Baby!!! Hab ich ja noch nie gesehen!!!"



    Die Meisten haben aufgehört mir ihre belanglosen Fotos unter die Nase zu halten.