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Millionär*innen für die GemeinschaftEine ungewöhnliche Steuererklärung

Vermögen und Einkommen im Millionenbereich müssen stärker besteuert werden – fordern nicht etwa linke Rabauken, sondern Millionär*innen.

Vorbild Lenin? 83 Millionär*Innen mit Scheckbuch im Anschlag Foto: ap/dpa

Es ist nicht das erste Mal, dass sich gut vernetzte Neu- und Altreiche so zu Wort melden. Erst im Januar hatten rund 200 Millionär*innen im Vorfeld des Weltwirtschaftsforums in Davos eine angemessene Besteuerung großer Vermögen gefordert. Seitdem hat sich die Welt ein ganzes Stück weitergedreht. Die Coronapandemie lastet auf der Weltwirtschaft, den Preis dafür zahlen vor allem abhängig Beschäftigte, Menschen mit mittleren oder niedrigen Einkommen also.

Diese Situation nehmen nun 83 Millionär*innen aus sieben Ländern zum Anlass, erneut auf das obszöne weltweite Wohlstandsgefälle hinzuweisen. „Millionen Menschen werden ihre Arbeit verlieren, einige davon dauerhaft. Die Probleme, verursacht und offengelegt durch Covid-19, lassen sich nicht durch Wohltätigkeit lösen“, heißt es in dem Brief der „Millionaires for Humanity“.

Die Absage an Philantrophie, die ja immer der selbstherrlichen Willkür der Gebenden anheim fällt, kommt zur rechten Zeit. Seit Jahrzehnten geht die Schere zwischen arm und reich immer weiter auseinander. Sinkende Steuersätze für hohe Einkommen und die Verringerung, bzw. Abschaffung von Vermögenssteuern. Die Schlupflöcher bei der Besteuerung von Erbschaften lassen auf der einen Seite die großen Vermögen immer weiter wachsen. Auf der anderen entwickeln sich selbst die klassischen sozialdemokratisch geprägten Wohlfahrtsstaaten Westeuropas zu bürokratisch gängelnden Anstalten zur Vergabe von Almosen, die kaum das Existenzminimum bedienen.

Dass dieser Zustand ökonomischer Benachteiligung weiter Bevölkerungsschichten, bei gleichzeitigem Rückzug des Staates von den Aufgaben eines halbwegs fair anmutenden Ausgleichs auf Dauer keiner demokratischen Gesellschaft gut tun kann, erkennen also auch jene, die am meisten von den gegebenen Verhältnissen profitieren.

Die Unterzeichner*innen des Briefes lassen dabei keine Deutlichkeit vermissen: „Wir bitten unsere Regierungen, die Steuern für Menschen wie uns zu erhöhen. Sofort. Substanziell. Dauerhaft.“ Nun gibt es auf der Welt mehr als 45 Millionen Millionär*innen. Da sind 83 allerdings ein extrem kleiner Teil. Andererseits umfasste Lenins Reisegruppe von der Schweiz nach Petersburg im April 1917 auch nur 32 Personen. Was dann geschah steht in den Geschichtsbüchern. Meinetwegen dieses Mal statt aufs Winterpalais also ein Sturm aufs Finanzamt bitte, Scheckbuch im Anschlag.

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4 Kommentare

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  • " [...] erkennen also auch jene, die am meisten von den gegebenen Verhältnissen profitieren."

    Nein, andersherum: die am wenigsten unter den Verhältnissen leiden. Die sozioökonomische Forschung hat längst nachgewiesen, dass auch die Lebensqualität der Reichen unter zunehmender Ungleichheit leidet!

    Denn auch unter ihnen gibt es ja massive Ungleichheiten und entsprechenden Statusdruck. Der wirkt sich auch auf deren Gesundheit negativ aus, und auf vieles mehr. Entsprechender Aktivismus ist also durchaus im wohlverstandenen Eigeninteresse der Reichen.

    Quelle: Richard Wilkinson, Kate Pickett: Gleichheit. Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind, Haffmans & Tolkemitt 2016; 12,95 Euro (D)

  • Uiuiui. Das hat mal wieder die Apologeten der Reichen aus dem Unterholz gescheucht.

    Also: @ARGONAUT: es geht nicht darum, Menschen zu guillotinieren. Es geht lediglich um eine angemessene Steuer. Und um weniger Steuerschlipflöchern. Und @MICHAEL SCHMIDT. Weniger Staat? Niedrigere Steuern? So wie gerade in Chile? Danke aber auch.

    Was treibt Euch eigentlich? Seid Ihr reich? Gehört Ihr zu diesen oberen ein Prozent?

  • Was nach dem April 1917 geschah hatte für Millionen von Menschen in Russland bzw. Sowjetunion tödliche folgen. Ich kann darin kein Vorbild für irgendwas sehen.

    • @Argonaut:

      Vielleicht wäre der Ansatz weniger Staat und weniger Staatsausgabn und niedrigere Stuern besser, denn es wird immer Schlüpflöcher geben, gerade für vermögende Menschen.