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Die WahrheitO, du kühner Stachel

Lob des Abfalls: Ehrenrettung einer oft verkannten Materie, die keinen Vergleich scheuen sollte, ist sie doch ein Produkt unserer Gesellschaft.

Illustration: Leo Riegel

Es ist in letzter Zeit leider vermehrt zu beobachten, dass Müll und Abfall im Ruf der Durchschnittsbevölkerung sehr gelitten haben. Vielerorts wird „Abfall“ als Schimpfwort genutzt und vor allem verstanden; wer mit Abfall gleichgesetzt wird, fühlt sich aufs Tödlichste beleidigt und verletzt. Warum ist das eigentlich so? Ist Abfall wirklich so schlecht wie sein Ruf? Sollten wir nicht neu darüber nachdenken, was es eigentlich heißt, Abfall zu sein? Und uns um seine Ehrenrettung bemühen?

Abfall! Welch wundersamer Reichtum allein schon in dem Wort verborgen ist! Der Abfall vom Glauben, der Abfall semiautonomer Teilrepubliken, die abfälligen Bemerkungen, welche modische Wagnisse in der Büroküche zwangsläufig nach sich ziehen – Wagnis, Kühnheit, historischer Aufbruch, aber auch bizarre Hofintrigen und spannende Telenovelas, das und noch viel mehr strahlt aus der Vokabel.

Abfall hat eine Würde, einen Stolz; wer abfällt, ist kühner Stachel im Fleisch widriger Verhältnisse oder ein saftiger Apfel, der alsbald servierfertig vom Baum sprinten mag. Wo der grobe „Müll“ amorph vor sich hin rottet, wo der „Schrott“ spitzzackig in die Prosodie hineingrätscht, ist der Abfall das nobelste Entsorgungsprodukt, das der Welt bekannt ist; ein entehrter Landadliger, den es an ferne Gestade verschlagen hat, lebende Erinnerung an den Glanz früherer Zeiten – und stille Hoffnung auf ihre Wiederkehr.

Die Poesie des Rohstoffs

Abfall ist ein Rohstoff, verkündet lapidar der Verband der Abfallwirtschaft. Das wird der Poesie des Abfalls jedoch keineswegs gerecht! Abfall ist nicht Erdöl, ist nicht Mangan, muss nicht erst der Natur entrissen und mühevoll raffiniert werden, sondern ist bereits durch liebende Hände gewandert, wurde von Menschenwitz gestaltet, geformt und kalfatert, ist Produkt unseres Geistes, wie es auch Literatur, Kunst und der Quintenzirkel sind.

Im Abfall erkennt sich die Menschheit selbst wieder, in ihrer Größe, in ihrer Schwäche – und führt sich selbst neuen Zwecken zu. Aus dem Abfall atmet uns die Zukunft selbst an – unsere je eigene wie auch die der Gattung! Abfall bist du, und Abfall sollst du werden; aus Abfall werden wir wiedergeboren, unsterblich und immergrün. Eine Rewe-Einkaufstasche mag aus nur zwei alten Plastikflaschen gezwieselt sein, doch wird sie selbst dann noch Joghurt und Gute-Laune-Beuteltee transportieren, wenn wir alle schon auf der großen grünen Abfallhalde im Stadtzentrum der karmischen Rezyklierung entgegenharren.

Dass diejenigen, die mit Abfall tatsächlich täglich zu tun haben, so übel beleumdet sind, spricht nur vom schlechten Gewissen der Gesellschaft, nicht gegen jene. Was ist das überhaupt für eine Welt, in der diejenigen, die all die benannten Wunder am Abfall vollziehen, als verfemt und unmöglich gelten? Warum wird verächtlich vom „Müllmann“ geredet, als sei er mit seinem Substrat identisch? Warum gilt es als das Schlimmste, mit Abfall zu tun zu haben?

Die Magie des Mülls

Kinder wissen noch von der Magie, die der Abfallwirtschaft innewohnt, blicken staunend auf die riesigen orangefarbenen Transportfahrzeuge, identifizieren sich pathisch mit PS-Zahlen und Maximaltraglasten, blicken mit schamloser Lust auf das Spektakel, das sich darbietet, wann immer ihre gewaltigen Müllpressen alles zermalmen; dem T-Rex gleich, der sich am Mammut sättigt. Ohne Zögern würden sie, ließe man sie denn gewähren, mit Karacho auf die großen Abfallhalden kraxeln, aus dem Gewesenen Schlösser und Burgen bauen, ohne Ekel, ohne Sagrotan.

Ja, es ist so: Wir alle werden als leidenschaftlich Abfallwirte geboren, jederzeit bereit, uns dreckig zu machen! Nur das pathologische Reinlichkeitsbedürfnis der Moderne macht aus spannenden Müllhalden und abenteuerlichen Schrottplätzen tabuisierte, angstbesetzte Angelegenheiten, setzt sie mit Leprakolonien gleich, macht sie zu Un- und Antiorten. Dabei sollten wir allen dort Beschäftigten jeden Tag auf Knien danken und zu hohen Festtagen selbstverständlich dicke Trinkgelder und einen Manteltarifvertrag geben, der sich gewaschen hat. Jawohl.

Und ist es denn wahr, dass der Abfallvergleich das Schlimmste ist, was man Menschen antun kann? Es gibt weitaus Schlimmeres, was man sein kann. Man kann Gewaltverbrecher sein oder Armin Laschet. Abfall hingegen ist harmlos, Abfall ist das Gegenteil von Gefahr. Abfall hat seinen Ort, seine Zeit; Abfall kann wieder zu Neuem werden und in alter Stärke erstehen. Es bringt nicht viel, die eigenen Gegner als Abfall zu bezeichnen, will man sie als gefährlich zeichnen. Abfall ist ein notwendiges Produkt der Gesellschaft, so wie Strom oder Tagescreme – es mag einem manchmal peinlich sein, doch ohne Abfall geht es nicht.

Nein: Wer Abfall ist, ist allerhöchstens in einem Stadium ontologischer Rehabilitation, wird zu etwas Neuem, hat sich in einen Kokon aus Müll zurückgezogen, um als wunderschöner Schmetterling demnächst wieder am gesamtgesellschaftlichen Verblendungszusammenhang teilzunehmen. Wer eine andere Person „Abfall“ nennt, wünscht ihr letztlich nur Besserung, ähnlich wie man dem Niesenden“ Gesundheit!“ sagt. In diesem Sinne sollten wir alle, auch in realistischer Selbsterkenntnis, einmal täglich zu uns sagen: Jawohl, ich bin Abfall! Es wäre zumindest ein Anfang.

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16 Kommentare

 / 
  • Ein Abfalltext, der einen anderen Abfalltext relativiert?



    Wenn der Autor seine Worte ernst meint, sollte ihm diese Einschätzung nichts ausmachen.



    .



    Liebe taz,



    Auch wenn die Meinung von nichtzahlenden Gelegenheitslesern vermutlich nicht viel zählt, und ich eher zu Ihrem reaktionären Widerspruch gehöre, schätze ich Sie als seriöse Zeitung vom eher linken Rand.



    Extreme Äußerungen, wie den Original-Abfall-Text, kenne ich aus privaten Foren, wo ich so etwas meistens ignoriere.



    Der Abfall-Vergleich war zwar schlimm, aber empörend wird es dadurch, daß er in einer seriösen Zeitung erscheint.



    Die gestrigen Kommentare sah ich als gute Entschuldigung, und Fehler geschehen.



    Die philosophischen Abfall-Betrachtungen heute sollen wohl die Leserschaft der anderen Seite wieder besänftigen, offenbaren aber, daß anscheinend aus dem letzten Fehler nicht gelernt wurde.



    Oder wie erklären Sie, daß der Autor hier seiner persönlichen Animosität gegenüber Armin Laschet in dieser Art Luft machen kann?



    Ich bin kein Fan von Laschet, aber das, was hier getan wird, paßt mMn nicht in eine seriöse Zeitung.



    Außerdem ist der ganze Ansatz zu stark an den Haaren herbeigezogen, und die Denkart dahinter besorgniserregend, bzw. beschädigt mMn das Ansehen von Recycling und nachhaltiger Weiter- und Wiederverwertung.

  • Nicht schlecht, wie ihr euch ins Zeug legt. Aber der Text ist eher taktisch clever als strategisch klug. (Das bleibt ja im Netz, da wird noch oft draus zitiert werden, mit grässlichen Absichten.)

  • Ich nehme an, dass die Tag auch nichts dagegen hatte, dass ein gewisser AFD-Politiker eine andere Politikerin in Anatolien entsorgen wollte. Ich werde dazu bestimmt keinen kritischen Artikel finden. Wenn andere als Abfall auf einer Müllkippe entsorgt werden dürfen und man ihnen nur Besserung wünscht, hat Herr Gauland wohl auch nur einen schönen Urlaub gewünscht. Ich weiß nicht, ob diese Doppelmoral schlimmer oder dieser Rettungsversuch einer menschenverachtenden Kolumne, die keine Satire ist, peinlicher ist.

  • Was soll uns dieser Artikel sagen? Das die Kolumne von Hengameh Yaghoobifarah nicht so böse ist wie sie eigentlich gemeint war?

  • 0G
    05158 (Profil gelöscht)

    Zuerst ein empörter Auf(Schreib)schrei!



    ...Abfall bist du, und Abfall sollst du werden; aus Abfall werden wir wiedergeboren...

    FALSCH

    Wir werden aus STERNENSTAUB geboren und werden wieder zu diesem.



    Das klingt viel schöner außerdem können wir uns nur so ein paar Atome Einstein,Ringelnatz,Marquis de Sade, Tucholsky, Egon Erwin Kisch und viele mehr einfangen.



    Das ist doch mal eine schöne Ansteckung.

    Harte Realität

    Stallmist wird zu ABFALL, wenn erstens dessen Besitzer sich des Mistes entledigen will (subjektiver Abfallbegriff), also keine konkrete Verwertungsabsicht/-möglichkeit hat, oder zweitens der Mist in seinem konkreten Zustand, gemessen an seinem Verwendungszweck, geeignet ist, das Wohl der Allgemeinheit zu beeinträchtigen. Dies ist dann der Fall, wenn von dem Mist Gefahren für (mindestens) eins der in Paragraph 2 Abs. 1 des Abfallgesetzes genannten Schutzgüter ausgehen (objektiver Abfallbegriff).

    Ich könnte mir jetzt vorstellen.....;-)

    Illustration-Ein Hammer!



    Leonard Riegel



    leonardriegel.blogspot.com/

  • Danke, hab gut gelacht. Die aufrichtige Verteidigung des zu Unrecht weithin geschmähten Abfalls. Die schützende Hand über dem erfolgreich gescheiterten Versuch seine verkannten Werte zu lobpreisen. Die schelmisch beigelegte Gebrauchsanweisung für zukünftig fruchtbarere Abfallkommunikation.

    Weiterhin Mast- und Schrottbruch!

    • @Deep South:

      die taz sinkt tiefer und tiefer. Alle, die was ändern könnten, schauen einfach bloß zu und alle die sie retten wollen dringen nicht bis zum Schottbruch durch.

  • OK, das ist tatsächlich die absolute Selbstdemontage. Unterirdisch

    • @relation:

      Könner...

      Schreiben Sie doch einfach einen besseren Text, posten ihn und lassen uns an Ihrem Können teilhaben.



      Danke schon jetzt.

      • @Hartz:

        ... und wenn Gott persönlich seine Ärmel hochkrempelt, um diesen Text mit den perfekt richtigen Worten zu bestücken, ist er trotzdem überflüssig - ein verzweifelter Gerade-Rück-Versuch.

        Ich vermute, darum geht es: nicht die technische Ausgefeiltheit des Textes, sondern dass sich überhaupt jemand die Mühe gemacht hat, diesen als notwendig zu erachten und tatsächlich niederzuschreiben...

  • Ist das jetzt die ultimative Ode an Hengameh Yaghoobifarah?

    "Wer eine andere Person „Abfall“ nennt, wünscht ihr letztlich nur Besserung, ähnlich wie man dem Niesenden“ Gesundheit!“ sagt."

    • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

      Und das unter Vereinnahmung von olle Grönemeyer...

  • In medias res mit faulenden Äpfeln - und läutender Glocke -

    “Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande von der spanischen Regierung



    Buch von Friedrich Schiller



    Mit Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande von der spanischen Regierung veröffentlichte Friedrich Schiller 1788 den ersten Band seiner Abhandlung über den Spanisch-Niederländischen Krieg. Wikipedia“

    Allerdings zeigt zur Rettung des abgefallenen Handschuhs - seine abfällige Sentenz:



    .. "Die Dame, Danke - begehr ich nicht!" Und verläßt sie zur selben Stunde.“



    Daß aller abfälliger Abfall auch Grenzen hat. Wobei. Wobei. Schiller offenläßt.



    Ob ob dieser Abfälligkeit. Der Mann eben doch mit abbenem Kopf zum Müll.



    Und damit zum Abfall gerät - quasi endgelagert - Deponiert - werden wird aufgrund:



    Eines - Abfallbeseitigungsanlagen Planfeststellungsbeschlusses.



    Na - und das kann - abfällig gesprochen - was dauern. Gellewelle&Wollnichwoll.



    Normal.

    • @Lowandorder:

      Däh&Zisch - Mailtütenfrisch - merkt an -

      “Die Ausdünstung faulender Äpfel soll ja für den lungenkranken Schiller ganz hilfreich gewesen sein... (vermutlich C2 H5 OH + NH3)“ & zum Dichtdenken!

      kurz - Immissionsrechtlich nicht genehmigte Anlage - vermutlich.



      Doping im weitesten Sinne. Erinnere an “…ich sah schwimmende Lokomotiven“ einer Astrid Lindgren.



      taz.de/Die-Wahrhei...mende+Lokomotiven/



      (& Däh! da isser mei Knollennasenmann

    • @Lowandorder:

      Wenigstens die Wahrheit steht ihren Leo Fischer.

      • @Jim Hawkins:

        Liggers.

        Es braucht halt nicht jederfrauman der Vereinigung der Pc-ler - nach dem Mund reden.



        Normal nich.