piwik no script img

Polizeiopfer in HannoverKein Gedenkort für Halim Dener

Vor fast 26 Jahren wurde der 16-Jährige Halim Dener von der Polizei erschossen. Mit der Erinnerung daran tut sich Hannover immer noch schwer.

Der Platz am Steintor in Hannover: Hier starb Halim Dener 1994 durch eine Polizeikugel Foto: Peter Steffen/dpa

Hannover taz | Sein Gesicht ist zum Symbol geworden: Halim Dener, damals 16 Jahre alt, verblutete 1994 am Steintor, nachdem ihn eine Polizeikugel in den Rücken getroffen hatte. Er war erwischt worden, wie er nachts Plakate für eine Unterorganisation der PKK klebte. Erst wenige Wochen zuvor war er als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling in Deutschland angekommen.

Jahrzehntelang stritt ein breites Bündnis aus Linken und kurdischen Aktivisten für ein würdiges Gedenken an Halim Dener. Darunter auch viele Grünen-Politiker. Nun sitzt mit Belit Onay ein grüner Oberbürgermeister im Rathaus – doch auch der will von einem Halim-Dener-Platz erst einmal nichts wissen.

Die Stadtverwaltung sei „im Konflikt zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen den Belangen der ganzen Stadt verpflichtet“, heißt es aus Onays Büro. „Die Auffassung wurde von der Kommunalaufsicht und gerichtlich bestätigt.“ Damit bleibt er auf der Linie seines Vorgängers Stefan Schostock (SPD), der sich insbesondere mit dem Bezirksrat Linden-Limmer eine zähe Auseinandersetzung um die Gedenkfrage geliefert hatte. Der Bezirksrat hatte sich das Thema zu eigen gemacht, nachdem jahrelang nichts passierte. Eine Allianz aus Piraten, Linken und Grünen versuchte daraufhin demonstrativ, eine kleine Grünfläche im Stadtteil in Halim-Dener-Platz umzubenennen.

Der damalige OB Schostock intervenierte und schaltete die Kommunalaufsicht ein, dagegen zog der Bezirksrat vor Gericht und unterlag. Eine Entscheidung von so stadtweiter Tragweite könne nicht allein ein Bezirksrat treffen, hieß es damals.

Mit Belit Onay sitzt nun ein grüner Oberbürgermeister im Rathaus – doch auch der will von einem Halim-Dener-Platz erst einmal nichts wissen

Wobei diese Tragweite eben auch umstritten ist: „Es wird ja immer gern versucht, dass Ganze auf einen türkisch-kurdischen Konflikt zu reduzieren“, sagt Dirk Wittenberg von der „Kampagne Halim Dener“. Natürlich werde es aus konservativen bis rechten türkischen Kreisen immer den Versuch geben, den Jungen als PKK-Sympathisanten und damit quasi Terroristen abzustempeln. „Aber natürlich hat Halim Deners Tod noch viel mehr mit deutscher Politik und den Feindbildern innerhalb der deutschen Polizei in dieser Zeit zu tun.“

Die Grünfläche in Linden in Halim-Dener-Platz umzubenennen, war nicht das ursprüngliche Ziel der Kampagne. Eigentlich sollte es eine Gedenktafel am Tatort geben. Dort gedenken jedes Jahr am Todestag Deners Menschen des getöteten Jugendlichen. Dort haben sie auch schon mehrfach versucht, eigenmächtig eine Gedenktafel anzubringen. Zuletzt im vergangenen Jahr, als zur Demonstration kurz nach dem 25. Todestag fast tausend Menschen kamen. Die Stadt hat die Tafeln bisher jedes Mal entfernt.

Auf taz-Anfrage bekräftigte Onay, an einem Kompromissangebot weiterarbeiten zu wollen, das ebenfalls schon unter Schostock auf dem Tisch lag: eine Dokumentation des Falles, mehrsprachig und multiperspektivisch, mit dem Ziel, irgendwie „eine Aussöhnung der unterschiedlichen Betrachtungsweisen“ zu erreichen und die unterschiedlichen Akteure einzubeziehen – auch die Polizei.

Es war wiederum der Bezirksrat Linden-Limmer, der schon vor der Bürgermeisterwahl auf dieses Versprechen pochte und das Projekt noch einmal auf die Tagesordnung hievte. Man könnte sich zum Beispiel auch eine Ausstellung vorstellen, sagt Steffen Mallast von den Grünen. Dazu müssten dann allerdings auch die entsprechenden Mittel in den Haushalt eingestellt werden – und ob dies unter den Bedingungen der Corona­krise noch passieren wird, darf bezweifelt werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Das bedauernswerte Opfer hatte keinerlei Bezug zum Stadtbezirk Linden/Limmer, deshalb wäre nur eine Gedenktafel am Ort des Geschehens angebracht. Ein weiteres Instrumentalisieren durch verschiedene Bevölkerungsgruppen sollte nicht erfolgen, möge der junge Mann in Frieden ruhen gelassen werden.

  • Es ist immer wieder unerträglich und schockierend mitanzusehen, wie der deutsche Staat die seit Jahrhunderten bis zum heutigen Tage anhaltende türkische Politik von Vertreibung, Unterdrückung und Völkermord mitträgt.

  • "Der Kurde habe auf dem Bauch gelegen, der Polizeiobermeister neben oder über ihm gekniet. Da, so sagte der Beamte in seiner ersten Vernehmung im Morgengrauen danach, habe er neben sich auf dem Boden einen Revolver liegen sehen. Er habe nach seinem Holster gegriffen, es sei leer gewesen. Den Moment habe Dener genutzt und sich losgerissen.

    Der Polizist will dann den Revolver, seine Dienstwaffe, aufgehoben haben, um ihn in das Holster zurückzustecken. Dabei sei er gestrauchelt, die Waffe sei losgegangen. Der Schuß, so die Polizei, _(* Am Freitag vorletzter Woche in ) _(Hannover. ) habe den Kurden aus einer Entfernung von zwei bis vier Metern getroffen.

    Die Version kann ebensowenig stimmen wie die Variante der kurdischen Zeugen. Zwar ist für Oberstaatsanwalt Borchers "zunächst kein Vorsatz erkennbar". Doch auf Deners Weste fanden Ermittler des Landeskriminalamtes Schmauchspuren. Die Mündung des Revolvers war, so die Untersuchung, höchstens 15 Zentimeter von Deners Rücken entfernt, als der Schuß losging.

    Auch seine Dienstwaffe belastet den Polizisten, der unter Kollegen als "einsatzerfahrener Mann" gilt. Normale Streifenpolizisten tragen in Niedersachsen die Heckler & Koch-Pistole P7 - ein berüchtigtes Schießeisen, das leicht versehentlich losgehen kann.

    SEK-Männer hingegen dürfen sich ihre Waffe aussuchen. Der Todesschütze trug einen amerikanischen Smith & Wesson-Revolver, Kaliber 38. Durch dessen automatische Sicherung sei es "technisch unmöglich", so der badenwürttembergische Waffenexperte Siegfried Hübner, daß sich ein Schuß löst, selbst wenn der Revolver auf den gespannten Hahn fällt.

    Sicher wird der sechsschüssige Revolver vor allem durch seinen hohen sogenannten Abzugswiderstand: Erst wenn am Abzug eine Kraft von beinahe 4,5 Kilogramm zerrt, drehen Smith & Wesson-Revolver dieses Typs eine frische Patrone in den Lauf, spannen den Hahn und lösen aus."

    www.spiegel.de/spi...nt/d-13683239.html