Rachel Maclean-Ausstellung in Kiel: Heldin, Antiheldin, Opfer
Die schottische Künstlerin Rachel Maclean erschafft in Kiel einen surrealen Kosmos aus vermenschlichten Tieren, dem Brexit und sich selbst.
Dazu all die Sondersendungen, die eine sich auflösende und zugleich polarisierende Gesellschaft zeigten, mit aufeinander einschreienden, oftmals in den Nationalfarben verkleideten Menschen im Londoner Parlamentsviertel. Oder wie der konservative Abgeordnete und Brexit-Hardliner Jacob Rees-Mogg sich flegelhaft auf einer der ledernen Parlamentsbänke zum Schlafen legte – und schlagartig ist es wieder da: das erst ungläubige Erstaunen, dass sich mitten in Europa die Unvernunft reckte und streckte, um sich bald darauf in blankem Wahnsinn zu äußern. Kein Mittel schien und scheint dagegen zu wirken.
Das alles und mehr ergreift einen mit verblüffender Wucht, betritt man die dreiteilige Halle im Erdgeschoss der Kieler Kunsthalle, die in den kommenden Monaten Rachel Maclean bespielt; eine schottische Künstlerin, das ist nicht unwichtig. Zuallererst drapiert sie die Wände mit einem in Streifen zerschnittenen Union Jack, ein Antimuster aus Blau und Rot.
Man weiß sofort, wo man ist, um was es geht, doch gleich führt die Schau tiefer in die Feinheiten. Denn ihre einführende Arbeit „Native Animals“ geleitet uns anhand von knapp zwei Dutzend Gemälden, bevölkert mit Tier-, Märchen- und Fabelwesen aus Klassikern wie „Der Wind in den Weiden“ und „Peter Rabbit“, hinter die Kulissen der britischen Klassengesellschaft. Und die hat es ja immer schon verstanden, die in ihr liegende Brutalität als harmlose Exzentrik zu tarnen. Man hat das allenfalls belächelnd zur Kenntnis genommen – und nun ist es bis auf Weiteres zu spät.
Digitale Welten
Aber von vorn. Die 1987 in Edinburgh geborene und im Zeitalter von MTV aufgewachsene Rachel Maclean studiert zunächst Malerei, entdeckt aber schnell das Green-Screen-Verfahren, das es einem ermöglicht, im kleinen, handlichen Studio mittels digitaler Kniffe und Tricks vor einer grünen Wand ganze Welten zu erschaffen. Maclean rückt sich hier selbst in den Mittelpunkt und lernt diese neuen Möglichkeiten für so opulente wie präzise Bilder- und Filminstallationen zu nutzen – ohne darüber allerdings ihre malerische Grundausbildung zu vergessen.
Immer bleibt sie selbst als Person im Zentrum des Geschehens, ist Heldin und Antiheldin, ist selbstbewusste Akteurin, wird zuweilen auch Opfer. So schlüpft sie in die verschiedenen Rollen: mal tritt sie verkleidet auf und technisch verfremdet, dann wieder voll als Person erkennbar. Auch die Kostüme schneidert Maclean selbst, sie entwirft die Kulissen und bestimmt das Setting, in das sie sich begibt. Lediglich eine Maskenbildnerin steht ihr zuweilen unterstützend zur Seite.
Wie kunstfertig das alles gelingt, wie vielschichtig sich das Geschehen aufbaut, zeigt sich im zweiten Teil von „Native Animals“, der ein auch körperlich erfahrbares Kunsterlebnis bietet. Aus acht Bilder-Bildschirmen schaut uns die Künstlerin erneut in Gestalt der bereits eingeführten Tiermenschen oder Menschentiere an, etwa als der Fuchs, die Maus und die Katze, als Dachs oder Kröterich, die uns zugleich zu taxieren scheinen. Noch ist es still, aber bald ist von hier und da aus den sich bewegenden Porträts heraus ein leises, unterdrücktes Kichern zu hören. Es wird zu einem Glucksen, das sich nicht mehr zurückhalten lässt, das zuweilen ins Lachen umschlägt, laut und immer lauter wird.
Doch wer lacht hier eigentlich? Wer wird ausgelacht? Oder lacht jemand einfach nur mit, um nicht stumm aufzufallen? Dieses unbestimmte Gelächter wächst weiter an, schlägt in einen wahren Lachsturm um, der nicht mehr einzudämmen ist, der überschnappt, bis ein gebrülltes „Stop!“ ertönt, dem ein wütenderes „Stop it!“ folgt. Gerufen wird das von einem in die Nationalfarben gehüllten Schwein, das klingt, als fühle es sich ertappt. Und dann ist erst mal Ruhe – wenn auch nicht lange.
Im oberen Bereich, auf der Galerie, warten diverse Filminstallationen auf die BesucherInnen. Etwa: „Dr. Cute“, ein animierter Vortrag über das Niedliche, das immer auch eine grauenerregende Seite hat. „Germs“ ist ein gnadenloser Spot über die Angst vor Viren und Bakterien, adressiert an die Frauen als vermeintlich zentraler Zielgruppe für Kosmetika und Putzmittel aller Art. Oder „Feed me“, ein einstündiger Ausflug in die glitzernd-klebrige und bald übersexualisierte Sphäre eines Spielzeugherstellers namens Smile.inc, dem das Lachen noch vergehen wird.
Rachel Maclean: bis 6. September, Kunsthalle zu Kiel
Man kann das Rad ruhig eine Runde mehr drehen, denn so turbulent und bissig besonders Macleans rasant ineinander verflochtenen Bilderzählungen auch daherkommen, es gibt immer auch eine zweite Ebene, an der sich die Künstlerin mit der ihr eigenen Konsequenz abarbeitet. Sie fragt, woraus unsere sichtbare Welt besteht, wenn mit der Digitalisierung eine Bearbeitbarkeit jeglichen bildliches Materials in jede nur mögliche Richtung nicht nur per se möglich ist, sondern immer mehr zu Grund und Boden unserer Darstellungswelt wird. Wenn sich Realfilm, Realbild und Animation in naher Zukunft nicht länger voneinander unterscheiden lassen.
Und so enthalten Rachel Macleans Werke immer auch Verweise auf ihren eigenen medialen Charakter, so wie auch in den vordergründig klassisch gemalten Landidyllen die Fabelwesen ganz selbstverständlich Smartphones in den Händen oder Klauen halten und in den Idyllen der leicht dahin getuschten Countryside die Masten mit den Überwachungskameras herausragen. Das sind Bilder, die überzeugend wie gemalt wirken, jedoch allesamt am Computer generiert wurden.
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