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Rückkehr zum Schulalltag in CoronazeitenEine verpasste Chance

Anna Lehmann
Kommentar von Anna Lehmann

Den Schulen fehlt es an Personal, die Klassen sind zu groß. Man hätte die Probleme in der Coronakrise angehen können. Doch es geht weiter wie zuvor.

Noch Abstandsmarkierungen: Bayerischer Schulhof Mitte Mai Foto: Peter Kneffel/dpa

D ie vergangenen Monate waren für Schüler*innen, Eltern und Lehrer*innen eine Zumutung. Erst mussten sie im Schnellverfahren auf digitalen Unterricht umstellen, dann einen Mix aus Haus- und Schulunterricht wuppen. Letzterer geriet wegen geltender Abstandsregeln oft zur Alibiveranstaltung von zwei Schulstunden pro Woche, während das digitale Lernen litt. Lehrkräfte können nun mal nicht gleichzeitig den Eingang zum Schulklo bewachen und Videounterricht geben.

Dass die ersten Länder jetzt wieder dazu übergehen, Kinder im Klassenverband und ohne Mindestabstand zu unterrichten, ist deshalb pragmatisch. Viele Familien atmen auf. Aber es ist auch eine verpasste Gelegenheit.

Klar ist: Die Entscheidung Thüringens, Sachsens, Schleswig-Holsteins und anderer Länder, die Schulen wieder regulär zu öffnen, ist primär durch steigenden gesellschaftlichen Druck zustande gekommen und basiert weniger auf neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Selbst wenn Studien nahelegen, dass kleine Kinder doch keine Virenschleudern sind – sie sind deshalb nicht immun. Und alle Studien legen nahe, dass die Ansteckungsgefahr in geschlossenen Räumen besonders groß ist.

Aber das Bedürfnis der Eltern nach Entlastung und das der Schüler*innen nach sozialem Austausch ist ebenfalls berechtigt und wurde zu lange vernachlässigt. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis alle Länder zu einem Status quo ante Corona zurückkehren.

Gesundheitsschutz wird hintenangestellt

Denn nach nur wenigen Wochen Schule unter Hygienevorschriften ist allen klar, dass sich das nicht endlos fortsetzen lässt. Es fehlt Personal, die Räume sind zu klein, die Klassen zu groß. Probleme, die es alle lange vor Corona gab. Die Krise wäre die Gelegenheit gewesen, sie anzugehen.

Wenn man Hygienevorschriften und den Schutz der Gesundheit voranstellt, hätte es nur zwei Möglichkeiten gegeben: Entweder man erklärt Lehrpläne, Präsenzunterricht und Prüfungen auch im nächsten Schuljahr für nachrangig. Oder man fängt an, gewaltig in die Schulen zu investieren und für eine Normalität unter Corona­be­din­gungen aufzurüsten: Mehr Personal, kleinere Klassen, luftige Bauten. Für den ersten Weg gibt es keine gesellschaftliche Mehrheit, für den zweiten keine politische.

Angesichts prognostizierter Steuerausfälle in Milliardenhöhe wagt sich keine Schulministerin mit der Forderung vor, jetzt Milliarden in Bildung zu investieren. Also wird der Gesundheitsschutz hintenangestellt in der Hoffnung, dass die Infektionszahlen niedrig bleiben. Der Herbst und die nächste Grippewelle werden zeigen, ob die Hoffnung trägt.

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7 Kommentare

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  • Statt der zwei Monate kompletten Schließung hätte man schon mal 4 Monate Unterricht im ursprünglichen Umfang mit halber Klassenbesetzung in den Räumen hinbekommen. Erste verpasste Chance.

    Jetzt ist jedenfalls Sommer, man kann die Fenster öffnen und im Freien unterrichten. Und ggf. die Sommerferien ausfallen lassen oder größtenteils in den Winter "verschieben", wenn die 2. Welle zu erwarten ist.

  • Hach ja, einfach bloß aus Erkenntnis der Notwendigkeit heraus kleine Klassen, gut fortgebildete Lehrer und moderne Pädagogik zu erstreben... *träum*

    • @Annette Thomas:

      Es gibt doch sowieso einen Lehrermangel, sehe nicht, wo die jetzt auf einmal während der Coronakrise herkommen sollen. Klar werden jetzt während der Wirtschaftskrise mehr potentielle Lehrkräfte frei, die müssen aber erst einmal und dann auch konstant auf den Lehrerberuf Lust haben und dann auch noch einen Mehrwert für die Schüler generieren.

      • @FancyBeard:

        Das meine ich ja: Geld in die Lehrerausbildung und -fortbildung stecken. Ein Konzept für Qualitätssicherung erarbeiten, Universitätscurricula mal auf den neuesten Stand bringen, was die pädagogischen und didaktischen Erkenntnisse angeht, Unterricht und Schulalltag so umgestalten, dass er für die Schülerinnen und Schüler gewinnbringend und für die Lehrkräfte erträglich, wenn nicht sogar erfüllend wird.



        Also ein ganz wilder und verrückter Traum, es müssten völlig andere Werte im Vordergrund stehen als bisher.



        Und dann müsste ein langer Atem her, keine Kurswechsel über die nächsten zwei bis drei Legislaturperioden, und das länderübergreifend, denn auch Lehrerausbildung ist ja Ländersache...



        Völlig utopisch...

  • 1G
    164 (Profil gelöscht)

    M.E. war es schon sehr früh in der Krise eigentlich klar, dass eine Rückkehr zum Status Quo eigentlich auf lange Sicht nicht möglich, oder zumindest nicht vernünftig sein würde. Und es ist wirklich traurig mit wie wenig Phantsie dieses Problem angegangen wird. Anstatt allgemeine Vorgaben hinsichtlich Infektionsschutz und sozialer Gerechtigkeit zu formulieren, und die Schulen auf lokaler Ebene selbsständig nach gangbaren Lösungen suchen zu lassen, beharrt man darauf von oben zu versuchen dass alles möglichst schnell so wie immer weiterläuft, scheitert natürlich dabei und ergeht sich dann in Gerede von "verlorener Generation".

    • @164 (Profil gelöscht):

      Genau!



      Man hätte Mitte März erkennen können, dass hier ein Problem langfristig zu lösen ist. Und dann hätte man allen Kultusministerien (oder davon ausgehend), allen Kommunen und Schulleitungen signalisieren müssen, dass sie jetzt einige Wochen Zeit haben, um im virtuellen Austausch miteinander Konzepte zu entwickeln, wie ein Schulalltag bis zum Impfstoff aussehen könnte und welche Unterstützung dafür notwendig wäre.



      Dann hätte man sich an die Umsetzung gemacht und wäre in den nächsten Tagen wahrscheinlich so weit gewesen, die Sache zu starten.



      Stattdessen: Aussitzen bis Ostern erstmal, und dann... äh...

  • Noch für etwas Drittes gibt es keine politische und gesellschaftliche Mehrheit: für ein Nachdenken darüber, wie man die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und das Problem der Geschlechtergerechtigkeit anders lösen könnte als über eine reine Auslagerung des Problems in das Bildungssystem.

    Das alles spricht Bände über gesellschaftliche Machtverhältnisse.