Krisenprofiteur Tischtennis: Lockerungen an der Platte
Pingpong Delite, umsonst und draußen: Unter den derzeitigen Umständen ist Tischtennis plötzlich eine Gewinnersportart.
S prechen wir über Tischtennis. Die landläufig unter „Pingpong“ laufende Sportart hat wie alle schönen Dinge zwei Seiten: eine alltägliche und eine mediale.
In der medialen Wahrnehmung hat das professionelle Tischtennis allerlei Macken: Es sieht wie eine Haudrauf-Sportart aus, die bevorzugt von Nerds, also spaßbefreiten Informatik- oder BWL-Studierenden, betrieben wird. Die Ballwechsel sind dermaßen schnell und unübersichtlich und im Vergleich zum großen Tennis von minderer Raffinesse, dass der ITTF, der internationale Verband (der sich immer schön auf den Schlägern verewigt, dazu unten mehr), schon mehrfach vergeblich versucht hat, das Ding „fernsehtauglicher“ zu machen.
Gelbe Bälle, orange Bälle, größere Bälle, Bälle aus Plaste statt Zelluloid. Tische, die aussehen wie im Weltall designt. Dazu neue Zählweisen: Sätze bis 11 statt bis 21, dafür drei oder vier Gewinnsätze. Genutzt hat es nicht viel: Der Sport leidet unter Einseitigkeit, weil alles, was gewinnt, aus China stammt; und der Sport leidet daran, dass er im Fernsehen immer etwas stumpf aussieht.
Oder einfach gesagt: Selber spielen ist geil, macht Spaß; den Profis zusehen eher nicht so.
Spielen mit Scheinwerfern
Auf der alltäglichen Seite ist Tischtennis schon länger ein nicht nur im urbanen Raum gern von jederfrau und jedermann betriebener Sport. Die Grünflächenämter dieser Republik haben dafür gesorgt, dass jeder noch so olle Spielplatz oder Schulhof mit einer dieser unverwüstlichen Tischtennisplatten aus Stein versehen wurde; ein Angebot, das nur allzu gern angenommen wird.
Von der Alkoholikerszene als Ausgleich, von jungen Paaren als Möglichkeit des Austauschs, von Kindern und Hipstern als selbstverständliches Bewegungs- und Partyangebot assimiliert. In den Nullerjahren entstanden Tischtennisbars, in denen Rundlauf zum DJ-Set gespielt werden konnte, der Schrei dieser Tage ist die Beleuchtung to go, also aufklappbare Scheinwerfer mit Batteriebetrieb, die das Spielen über Sonnenuntergang hinaus ermöglichen.
Rundlauf ist das Stichwort, um auf die derzeitige Krise zu sprechen kommen. Obwohl auch das Tischtennis unter den Einschränkungen im Zuge des Lockdowns schwer litt – beim Doppel ist das mit der Abstandswahrung schwierig –, ist die Sportart nach den ersten Lockerungen eine der Gewinnerinnen der Krise. Kontaktsportarten sind noch auf längere Sicht tabu; Joggen ist kein Sport, sondern ein Fitnessprogramm; Tests für alle können sich nur Fußball-Bundesligisten leisten, und selbst dort ist dieses Verfahren umstritten.
Tischtennis hingegen: Spätestens seit Öffnung der Spielplätze kann überall und draußen gespielt werden. Für ein Match braucht man nicht viel mehr als eine Flasche Sagrotan, zwei Schläger und einen sauber desinfizierten Ball, der Mindestabstand ist beim Einzel durch den Tisch garantiert. Und für den Fall, dass die Gegnerin immer wieder mit fiesen Aufschlägen und Bällen auf die schwache Rückhand nervt, gibt es fürs Homeoffice anschauliche Youtube-Tutorials.
Obwohl, da sind wir fast wieder auf der nerdigen, nicht so richtig coolen Seite des Sports. Da herrschen vorgeschobene Ellbogen und knickbare Handgelenke vor holzvertäfelten Sporthallenwänden vor, und Nerds, die auch schon vor der Krise das schnelle Heimfrisieren dem Salonbesuch vorgezogen haben, zeigen ihre nerdig anmutenden Künste. Die zeigen, was das gute Tischtennis vom Pingpong unterscheidet – die Bälle haben Sterne, den ordentlichen Schläger erkennt man daran, dass er das ITTF-Zeichen trägt.
So oder so aber gilt: Die Krise des Sports ist eine Krise des Konsumismus; internationaler Wettbewerb findet in absehbarer Zeit nur noch unter hohem Aufwand statt und ist tendenziell nur etwas für Neoliberale; jetzt und hier ist der Sport ein Sport, der relativ gefahrlos zu zweit an der frischen Luft gespielt werden kann. Ihr habt Aufschlag.
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