piwik no script img

Corona und Anstieg häuslicher GewaltSchattenpandemie

Patricia Hecht
Kommentar von Patricia Hecht

Der gefährlichste Ort für Frauen ist das eigene Zuhause. Das Familienministerium schickt derweil Grüße zum Muttertag.

Sie bemüht sich: Familienministerin Giffey mit Gewaltschutz-Plakat Foto: Michael Sohn / dpa

D reimal so viele zu Hause getötete Frauen seit dem Lockdown in Großbritannien, berichtet eine NGO. 30 Prozent mehr häusliche Gewalt in Frankreich. Fast 20 Prozent mehr Anrufe beim bundesweiten Hilfetelefon in Deutschland und 40 Prozent mehr beim argentinischen: Corona ist nicht nur als Virus gefährlich. Es führt auch dazu, dass Männer ihre Frauen noch öfter zusammenschlagen als sowieso schon, und das offenbar bis hin zum Tod.

Die Tatsache, dass der gefährlichste Ort für Frauen nicht die nächtliche Straße ist, sondern ihr eigenes Zuhause, bewahrheitet sich in Coronazeiten. Angesichts von vielem, was Männer dazu bringt zuzuschlagen, wirkt die Pandemie wie ein Brandbeschleuniger: beengte Verhältnisse, Arbeitslosigkeit, Zukunftsangst. Und kaum Möglichkeiten, die Wut draußen abzureagieren.

Schon sprechen die Vereinten Nationen von einer globalen „Schattenpandemie“. Im Schatten von Corona – und in dem der öffentlichen Aufmerksamkeit. Denn während auf die Kliniken derzeit das Scheinwerferlicht gerichtet ist, bleibt das, was hinter verschlossenen Türen passiert, weitgehend im Dunkeln. Auch deshalb erwarten Frauenhäuser den eigentlichen Anstieg der Zahlen erst nach den Lockerungen.

Lockdown mit dem Täter

Schon im April sprach UN-Generalsekretär António Guterres von einem weltweiten Ansteig von häuslicher Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Hilfsorganisationen vieler Ländern warnen, dass sie mehr Hilferufe empfangen – andere fürchten eine extrem hohe Dunkelziffer. Vier Korrespondenten berichten, eine Redakteurin kommentiert.

Armenien: Gewalt nach der Ausgangssperre

Großbritannien: Kann ein neues Gesetz helfen?

Kommentar: Schattenpandemie

Frankreich: Codewort und SMS-Alarm

Argentinien: Die Täter vor der Haustür

Viele Frauen, so die Befürchtung, sind momentan regelrecht zu Hause eingeschlossen. Sie können weder ihre Flucht noch die ihrer Kinder vorbereiten, sind nicht in der Lage, ihre Sachen zu packen oder auch nur zu telefonieren. Und auch Schulen und Kitas, über die sonst Hinweise auf Gewalt in Familien kommen, arbeiten längst nicht wieder im Normalbetrieb.

Am Sonntag war übrigens Muttertag. Und was macht das Bundesfrauenministerium, anstatt die Istanbul-Konvention gegen Gewalt gegen Frauen umzusetzen und die Finanzierung der chronisch klammen Frauenhäuser zu sichern? Vor dem Foto einer Frau in der Küche dankt es Müttern, den Laden während der Pandemie am Laufen zu halten. „Alles Gute“, schreiben die, die Frauen schützen und politisch handeln sollten, „zum Muttertag“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Patricia Hecht
Redakteurin Inland
war Chefin vom Dienst in der Berlinredaktion, hat die Seite Eins gemacht und arbeitet jetzt als Redakteurin für Geschlechterpolitik im Inland. 2019 erschien von ihr (mit M. Gürgen, S. am Orde, C. Jakob und N. Horaczek) "Angriff auf Europa - die Internationale des Rechtspopulismus" im Ch. Links Verlag. Im März 2022 erschien mit Gesine Agena und Dinah Riese "Selbstbestimmt. Für reproduktive Rechte" im Verlag Klaus Wagenbach.
Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • "Insgesamt waren im statistischen Vorjahr (endete März 2019) laut dem britischen statistischen Amt in Großbritannien 2,4 Millionen Opfer häuslicher Gewalt im Alter zwischen 16 und 74 Jahren, davon waren 786.000 Männer."

    taz.de/Haeusliche-...itannien/!5683603/

  • Richtiger und wichtiger Beitrag.



    Leider fießen diese "Schatteneffekte" der Pandemie NICHT in die Entscheidungsfindung der Politik ein. Weder als Argument für eine vorsichtige Öffnung noch dass in der aktuelle Phase mehr für die Betroffenen gemacht wird.