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Kriegsende vor 75 JahrenOpfer, Täter, Denkmäler

In Osteuropa wird die Erinnerungspolitik nationaler. In Berlin streitet man, wie man an den Vernichtungskrieg im Osten erinnern soll.

Erinnerung an die Kriegsgreuel kurz nach dem Ende der Nazi-Okkupation im zerstörten Warschau Foto: Mark Redkin/Foto Soyuz/getty images

Berlin taz | In Osteuropa ist der Ton in Sachen Geschichte rauer geworden. „Putin lügt“, erklärte der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki Ende 2019. Putin hatte im Dezember den Hitler-Stalin-Pakt 1939 und den deutsch-sowjetischen Überfall auf Polen gerechtfertigt. Und suggeriert, dass Polen in den 30er Jahren mit NS-Deutschland zusammengearbeitet hätte.

In Warschau bildete man sogar einen Krisenstab, um auf die Provokation aus Moskau zu antworten. Putins Auftritt, so der linksliberale polnische Historiker Włodzimierz Borodziej, war „ein Meisterstück an Demagogie und ein Beispiel für Geschichtspolitik mit tagespolitischem Nutzen“.

Solche Instrumentalisierung beobachtet Borodziej nicht nur in Moskau, sondern auch vor seiner Haustür. „Es gibt eine Renationalisierung der Erinnerungspolitik in Polen“, so der Warschauer Historiker. So geschehen beim Holocaust-Gesetz, das so vage gehalten war, dass auch Forschung über polnische Kollaboration mit den Nazis strafbar sein konnte. Es wurde erst nach Protesten aus den USA und Israel entschärft.

Das international viel gelobte Danziger Museum des Zweiten Weltkrieges, das den Überfall auf Polen in eine europäische Perspektive rückte, passte der regierenden PiS nicht: Der Direktor musste 2017 gehen. Kürzlich verlor der Chef des ­exzellenten Jüdischen Museums in Warschau seinen Job. „Diese drei Ereignisse liegen auf einer Linie. In Polen soll das Bewusstsein herrschen: Polen war das Opfer des Krieges, nicht ein Opfer unter vielen“, so Borodziej.

Geschichtspolitik als Echokammer

In Polen säubert die PiS, was dieses Selbstbild beeinträchtigt. In Russland inszeniert das Regime einen von Störendem wie dem Hitler-Stalin-Pakt gereinigten Kult um den Sieg im Großen Vaterländischen Krieg. Historiker beobachten ähnliche Muster auch in Ungarn und Rumänien, Litauen und der Ukraine. Geschichtspolitik wird zur Echokammer autoritärer Regierungen. Damit wächst auch die Opferkonkurrenz. Die Zeiten, als man in Osteuropa den Zweiten Weltkrieg eher als Verbindendes, als gemeinsamen Sieg über den Hitler-Terror sah, scheinen vorbei zu sein.

Vor diesem Hintergrund spielt in Berlin ein Streit, wie Deutschland des NS-Terrors im Osten gedenken soll. Laut Koalitionsvertrag will die Groko „das Gedenken an die Opfer des deutschen Vernichtungskrieges im Osten im Dialog mit den osteuropäischen Nachbarn“ stärken. Gedenken an wen? Einzelne Nationen? Alle Opfer?

Manuel Sarrazin, grüner Bundestagsabgeordneter, wirbt energisch für ein Denkmal, das Polen gilt. „Wir senden damit das Signal nach Polen: Wir vergessen den Krieg nicht. Das entkräftet die PiS-Haltung doch eher“, so Sarrazin. Das Denkmal soll wohl am unauffälligen Askanischen Platz in Berlin stehen, neben der Ruine des Anhalter Bahnhofs und nicht weit vom Holocaust-Denkmal. Und schnell gebaut werden. Mehr als 200 Bundestagsabgeordnete haben sich für ein solches Denkmal ausgesprochen. Die Befürworter des Denkmals haben eine effektive Lobbyarbeit organisiert. Beim Deutschen Polen-Institut in Darmstadt kümmert sich eine Mitarbeiterin nur um das Projekt.

Pro und contra „Polen-Denkmal“

Ein Fürsprecher des Polen-Denkmals ist der CDU-Konservative Wolfgang Schäuble. Man müsse „dem nationalen Selbstbehauptungswillen gegen die doppelte Diktaturerfahrung in Osteuropa“ Rechnung tragen, so Schäuble. Auch der Grüne Sarrazin hält es für „Schulmeisterei der Täternation Deutschland“, das national gefärbte Gedenken in Polen zu negieren. Zweifel, ob es klug ist, nur für Polen ein Denkmal zu errichten, wischen die Unterstützer meist forsch beiseite.

Bundesdeutsche Historiker sind eher skeptisch, ob eine Nationalisierung des Gedenkens die richtige ist – gerade angesichts der geschichtspolitischen Verengungen in Osteuropa. Uwe Neumärker, Direktor der Stiftung „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ in Berlin, hält das Polen-Denkmal für „eine politische Geste Richtung Warschau, wo die PiS Geschichte derzeit instrumentalisiert, politisiert und nationalisiert“.

In der bundesdeutschen Erinnerungskultur existiert eine Leerstelle, die ein Polen-Denkmal nicht füllt – die rassistische deutsche Besatzung in Osteuropa und deren nichtjüdische Opfer. Peter Jahn, früher Leiter des Museums Karlshorst, wirbt seit Jahren dafür, an die Opfer der Lebensraumpolitik der Nazis zu erinnern.

Neumärker und der Historiker Wolfgang Benz haben diese Idee nun leicht verändert in die Debatte eingespeist: Das Dokumentationszentrum soll die deutsche Besatzung in ganz Europa zeigen, von Athen bis zum Nordkap. „Nur über den Vergleich kann man den besonderen Charakter des Vernichtungskriegs gegen Polen und die Sowjetunion deutlich machen“, so Neumärker.

Wenn ein Denkmal nur für Polen gebaut wird, gerät die Täternation Deutschland womöglich in eine absurde Rolle. Soll Berlin den Schiedsrichter bei osteuropäischen Opferkonkurrenzen spielen und entscheiden, wer ein Denkmal bekommt, wer nicht? Auch die Ukraine fordert ein Denkmal für die Opfer der Besatzung. Neumärker warnt: „Deutschland bleibt verpflichtet, aller Opfer des Nationalsozialismus zu gedenken, darf dabei aber auf keinen Fall den Zeigefinger heben.“

Zweifel unter Sozialdemokraten

Vor Kurzem schien das Polen-Denkmal bereits fast politisch beschlossene Sache zu sein. Doch das wankt. Die SPD-Parlamentarierin Marianne Schieder sagt: „In der SPD-Fraktion sind die Zweifel gewachsen, ob ein isoliertes Polen-Denkmal der richtige Weg ist. Für uns steht die Aufklärung über die NS-Ideologie im Vordergrund. Ich halte ein Dokumentationszentrum daher für den richtigen Weg.“

Falls es mit dem Polen-Denkmal nichts wird, warnt der Grüne Sarrazin bereits vor den Folgen. Es drohe „eine massive Verschlechterung des deutsch-polnischen Verhältnisses“. Jenseits der Oder seien Regierung und Opposition einhellig für das Denkmal. Es klingt fast wie eine Drohung. Der Warschauer Historiker Borodziej sieht das gelassener: „Das Denkmal am Askanischen Platz“, sagt er „war hier nie ein großes Thema. Die Mehrheit der Polen interessiert das nicht.“

In der SPD hofften viele, dass SPD und Union zum 8. Mai einen gemeinsamen Antrag für ein Dokumentationszentrum zustande bringen würden. Vergeblich. Eine Mehrheit in den Fraktionen von SPD und Union ist zwar offen für das Dokumentationszentrum. Doch die Befürworter eines Polen-Denkmals, von Schäuble bis zu dem SPD-Linken Dietmar Nietan – bremsen.

So herrscht nun politische Blockade. Der Bundestag ist 75 Jahre nach Kriegsende nicht in der Lage, eine Würdigung der Millionen Opfer der NS-Besatzung auf den Weg zu bringen. Manche Sozialdemokraten sind frustriert wegen dieser Hängepartie. Noch deutlicher sagt es Linkspartei-Politiker Jan Korte. Das Ganze sei „einfach kläglich“.

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6 Kommentare

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  • »Man müsse „dem nationalen Selbstbehauptungswillen gegen die doppelte Diktaturerfahrung in Osteuropa“ Rechnung tragen, so Schäuble. Auch der Grüne Sarrazin hält es für „Schulmeisterei der Täternation Deutschland“, das national gefärbte Gedenken in Polen zu negieren.«

    Schäuble und Sarrazin haben Recht. Sie verweisen auf Schwachstellen einer Erinnerungspolitik, die bestimmte Zeiträume und Opfergruppen jahrzehntelang ausblendete, sich aber immer wieder anschickt, ihren (faktisch aus der Partikularität der deutschen Geschichtserfahrung abgeleiteten) dezidiert post-nationalen Ansatz als allgemeingültigen Maßstab des Gedenkens an den Krieg festzulegen.







    „Nationalisierung des Gedenkens“… Wenn eine Opfergruppe des NS-Terrors (in diesem Fall zugleich des sowjetischen Terrors) als polnisches Bildungsbürgertum bzw. polnische Elite zu bezeichnen ist, dann ist es bereits auf der semantischen Ebene unsinnig, eine Art nicht-nationales oder post-nationales Gedenken an ebendiese Opfergruppe einzufordern. Mehr noch: Das Gedenken an jene Opfer ist wesentlich national verfasst, weil die entsprechenden Verbrechen (Katyn, Palmiry, das Massaker von Wola) als Verbrechen gegen den polnischen Staat zu verstehen sind. Das explizite Ziel der genannten Gräueltaten war es, Polen intellektuell und kulturell zu enthaupten, um es anschließend in das deutsche bzw. sowjetische Herrschaftsgebiet leichter einzugliedern. Rassistische oder "klassenfeindschaftliche" Motive decken die Intentionalität dieser Verbrechen nicht ab.

    • @Wasserman:

      Danke @Wasserman. Auch ich halte wenig von einer erinnerungspolitischen Denkschule, die sich vordergründig in einer Gesamtschau versucht und Verbrechen universalisiert – in dem Glauben, eine (gerade in der Debatte um das Polen-Denkmal in Berlin befürchtete) Nationalisierung des Gedenkens verhindern zu können.

      Polen müssen sich den Vorwürfen entgegenstellen, sie blieben einem überholten Helden-Opfer-Mythos verhaftet und würden an einem Selbstbild als heroisches Opfer basteln. Manche gehen so weit, dass sie zwischen dem erinnerungspolitischen Standpunkt Polens und den jahrzehntealten und seit dem Jahreswechsel an Dreistigkeit zunehmenden geschichtspolitischen Verlautbarungen des Kreml ein Gleichheitszeichen setzen.

      Gelungene Erwiderungen finden Sie hier:

      www.welt.de/debatt...e-Beleidigung.html

      www.nzz.ch/meinung...e-weiss-ld.1534333

  • „Putin suggeriert, dass Polen in den 30er Jahren mit NS-Deutschland zusammengearbeitet hätte.“ Das ist mir, angesichts anschwellenden Geraunze im europäischen Geschwisterzank, wer welches Denkmal in Berlin erhält, zu faktendünn zusammengefasst.

    Da sei erinnert, Hitler hatte jenem zu Weimarer Zeiten angebahnten Nichtangriffspakt zwischen Pilsudski Militärjunta Polen, Deutschland 1934 unterzeichnet, worauf preußischer Reichskommissar für am 20. Juli 1932 suspendierten Freistaat Preußen und Reichstagspräsident Hermann Göring vom rechtsnational polnischen Außenminister Oberst Beck medienwirksam zu Großwild Jagden mit großem Pomp eingeladen wurde. Polen beteiligte sich 1938/39 über Münchner Abkommen hinaus an der Zerschlagung der Tschechoslowakei durch Gebietsannexion, entzog mit 30.Oktober 1938 über 50 000 Polen jüdischer Herkunft, die in Deutschland seit Jahren lebten, Staatsbürgerschaft, was zur Polenabschiebung durch deutsche Behörden mit LKWs, dReichsbahn ins Niemandsland zwischen beiden Ländern führte. Viele kamen durstend, hungernd, frierend ums Leben, wer überlebte, starb später in Auschwitz.

    Deutsche Politiker in der Bundestags Kuppel ratlos?, selbst Linkspartei-Politiker Jan Korte? der sagt, das Ganze sei „einfach kläglich“.



    Statt Ideen über Gedenktag 8. Mai hinaus zu präsentieren. Z. B. Idee, das Deutschland nach 1990 mit 53 ehemals gegen Deutschland kriegführende Länder endlich Frieden schließt? Holocaust wie Robert Menasse in seinem Buch „Die Hauptstadt“ 2017 als EU Gründungsmythos verifiziert? Wer das will, kommt um Kollaborationsdebatte als europäisches Projekt nicht herum, die Bereitschaft vieler Staaten in Europa bis nach Spanien, Ukraine, baltische Staaten bis1945 Juden datenerfasst selektiert, Staatsbürgerschaft, Vermögen entschädigungslos zu entziehen, mithilfe des NS Regimes auf Transport nach Auschwitz zu schicken

    joachimpetrick.wor...m-deutschen-reich/

  • Zum 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz ist es fast gelungen, die Befreier des KZ, die Rote Armee, völlig außen vor zu lassen. Von der Leyen schrieb als Kommissionspräsidentin, dass die Alliierten Auschwitz befreit hätten, die Welt kurzzeitig von amerikanischen Befreiern. Den Polen war es wohl recht.

    Wir sollten uns nicht an einer nationalistischen Erinnerungspolitik beteiligen. Schon jetzt spielen für viele kalte Krieger 27 Millionen tote Menschen der damaligen Sowjetunion kaum noch eine Rolle.

    Erinnerungspolitik als Bestandteil des kalten Krieges wäre barbarisch.

  • Ich würde mich als WWII Toter nicht von der Hoffnung treiben lassen, daß im Gedenken der Gegenwart etwas anderes als Mißbrauch betrieben wird gegenüber der gebotenen Aufklärung.

  • Solche „Hängepartien“ sind immer ein untrügliches Zeichen dafür, dass es den diversen Akteuren gar nicht um die Sache geht.

    Wo die Erinnerung an unzählige Opfer machtgeiler Strategen und Taktiker nur Mittel zu einem ganz anderen Zweck sein soll (in dem Fall irgend etwas zwischen privater Profilierung, tagesaktuelle machtpolitische Taktik und persönlicher Langzeit-Srategie), taucht in pluralistischen Gesellschaften unweigerlich die provokative Frage auf, ob denn der jeweilige Zweck wirklich das Mittel heiligt, oder ob es nicht doch eher umgekehrt sein soll. Denn das Bedürfnis, mit allen tauglichen Mitteln jeweils eigene Zwecke zu verfolgen (und dabei andere auszustechen), haben verdammt viele Menschen. Vor allem solche, die etwas zu sagen haben (möchten). Dann müssen die Streithähne erst umständlich ihre Kräfte messen. Und schon dauert es mal wieder länger...

    Aber was soll‘s, gel? Die Toten haben ja im vorliegenden Fall schon seit mehr als 75 Jahren unendlich viel Zeit. Sie können geduldig abwarten, bis endlich feststeht, wer ihr Leiden und Sterben diesmal für seine Zwecke missbrauchen darf.