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Lockerungen für Breitensport erwartetSport nur allein und draußen

Der Breitensport liegt brach, es wird viel improvisiert. Berliner Vereine fordern eine Lockerung – oder zumindest Gewissheit, wie es weiter geht.

Sport geht ja auch gut allein – darum joggen immer mehr Menschen durch Berlin Foto: picture alliance/Paul Zinken/dpa-zb-Zentralbild/dpa

BERLIN taz | Bei den Karower Dachsen kann man jetzt Pilates mit Jeanette machen. Oder Fitness Workout mit Thomas oder Plank Challenge mit Stephanie. Alles virtuell freilich; dann sitzen TrainerInnen des Breitensportvereins im Garten vor adrettem Buschwerk und tragen mehr oder weniger Kamera-geübt ein Sportprogramm zum Mitmachen vor. Das, was man in Großklubs wohl Kundenbindung nennen würde.

Die Lage im Berliner Sport ist unübersichtlich und mitunter willkürlich; Schwimmbäder und Fitnessstudios sind zu, Sportanlagen aber teilweise wieder offen. Sport soll nur zu zweit oder mit Haushaltsangehörigen getrieben werden, Fußballprofis aber dürfen schon seit einem Monat in Kleingruppen trainieren. Und Abstandsregeln werden, wie gerade ein Hertha-Kabinenvideo illustrierte, im Alltag lockerer genommen als auf Papier.

Der Breitensport organisiert sich unterdessen selbst: bei den Dachsen etwa in privaten WhatsApp-Gruppen, in denen Mitglieder sich zu zweit zum Walken, Laufen, Spazierengehen verabreden. Die Solidaritätsnetze halten.

„Man merkt mittlerweile, dass der einen oder dem anderen unserer Mitglieder zu Hause die Decke auf den Kopf fällt, von psychischen Problemen bis starken Rückenschmerzen“, erzählt die Vorsitzende Kirsten Ulrich. „Gerade für die, die allein wohnen, ist Sport eine sehr wichtige soziale Aktivität. Es leiden aktuell am meisten Alleinerziehende und Alleinstehende.“

Austrittswelle erwartet

Als Breitensportverein leben die Dachse von ihren Mitgliedsbeiträgen. Austritte habe es schon gegeben, aber noch hofften die Leute, dass es bald Lockerungen gebe. Wenn nicht, erwartet Ulrich zum 30. 6. eine Austrittswelle. „Wichtig wäre, dass ein Signal von der Regierung kommt, dass es ab einem fixen Zeitpunkt Erleichterungen gibt.“ Ein solches Signal ist für heute angekündigt, Lockerungen erwartbar. Ulrich wünscht sich, wie so viele, baldiges Training in Fünfer-Kleingruppen.

Ähnlich äußert sich Doris Nabrowsky, Vorsitzende bei Fortuna Marzahn. Der Verein, der vieles von Leichtathletik über Hockey bis Tischtennis anbietet, hat beim Bezirksamt bereits einen Antrag auf Kleingruppen-Training in der Leichtathletik gestellt. „In der Leichtathletik ist es sowieso zwingend, Regeln einzuhalten, das wird klappen“, so Nabrowsky.

Ob alle Vereine Abstand halten, wenn Menschen einander nach Monaten wiedersehen und keiner kontrolliert, kann man ohne böse Unterstellung sowieso bezweifeln. Ist die Distanzierung dann nicht faktisch längst ausgehebelt, und ist sie überhaupt noch verhältnismäßig? Die mitgliederabhängige Basis ist um vieles stabiler als die Spitze. Oft geht es hier vor allem um sozialen Kontakt.

„Wir haben schon etwas Angst, dass die Leute sich, wenn der Sport zu lange pausiert, vielleicht anders orientieren, gerade die Jugendlichen“, sagt die Vorsitzende Nabrowsky. Bei Fortuna Marzahn halten sich die Kündigungen bislang im Rahmen, sogar Neuaufnahmen habe es gegeben. „Nach Corona wird der Andrang wohl so groß, dass wir damit rechnen, die Verluste kompensieren zu können.“

Die Saison abbrechen?

In Teamsportarten ist die Lage anders, mit schneller Normalisierung rechnet niemand. Kai Brandt ist Trainer beim BSV Al-Dersimspor, einem kleinen Kreuzberger Fußballverein. Auch hier wahrt man Kontakt über Telefon und WhatsApp. Gleichzeitig schwelt eine größere Diskussion im Berliner Fußball: Soll die Saison abgebrochen werden? Wie wird gewertet?

Der Verband vertagte die Entscheidung trotz bereits eingeholter Meinungsbilder auf den 20. Juni. Das wurde heftig kritisiert, viele Klubs fühlen sich im Regen stehen gelassen. Auch Brandt wünscht sich Planungssicherheit, äußert aber Verständnis für die Zögerlichkeit. „Es werden bestimmt Vereine versuchen, zu klagen.“ Er selbst sähe lieber einen Abbruch. „Die Saison ist gelaufen, niemand weiß, wann wir wieder trainieren können. Und meine Spieler werden sich wirtschaftlich neu aufstellen und Geld verdienen müssen, für viele ist der Sport hinten an. Das verzerrt die Saison und hat mit fairem Wettbewerb nichts mehr zu tun.“

Was im Sport geht und was kommt

Welcher Sport ist derzeit in Berlin erlaubt? Sport im Freien, entweder allein oder zu zweit, alternativ auch mit Angehörigen des eigenen Haushalts. Dabei sollen 1,50 Meter Abstand eingehalten werden. Auch einige Sportanlagen sind schon wieder geöffnet. Neben Laufen sind unter Auflagen Sportarten wie Tennis erlaubt, wo kein Körperkontakt stattfindet.

Was ist verboten? Vor allem Teamsport und Kontaktsport. Die Umsetzung ist aber höchst ungleich: Fußballprofis trainieren schon seit Anfang April wieder in Kleingruppen, auch andere ProfisportlerInnen und KaderathletInnen dürfen Ausnahmen beantragen. Schwimmbäder und Fitnessstudios sind weiterhin geschlossen.

Wie ist die Perspektive? Am heutigen 6. Mai wollen Angela Merkel und die MinisterpräsidentInnen das weitere Vorgehen im Spitzen- und Breitensport diskutieren. Viele Vereine auch an der Basis erhoffen sich Lockerungen und eine mittelfristige Planungssicherheit. (asc)

Gerade in Vereinen mit prekären Umfeldern dürften die Menschen künftig Dringenderes zu tun haben als Sport. Beim TSV Spandau 1860 indessen haben sie Ende April eine Meldung zum quartalsweisen Beitrag auf die Vereinswebseite gestellt.

„Uns ist bewusst, dass es in der gegenwärtigen Situation einigen nicht leichtfallen wird, diesen zu bezahlen. Im Moment können wir jedoch aus Satzungsgründen keine Reduzierung oder Stundung erlauben. Würden wir dies realisieren, würde uns die Gemeinnützigkeit aberkannt werden.“

Notfallfonds für ÜbungsleiterInnen

Vereinsmanager Michael Pape sagt, er erlebe in der Krise sehr unterschiedliche Reaktionen. Einige Mitglieder betrachteten den Verein „als Dienstleister“, die würden als Erstes ihren Beitrag zurückfordern. Ein anderes Mitglied habe dem TSV Spandau gerade bedingungslos 5.000 Euro gespendet. Daraus habe der Verein einen Notfallfonds für ÜbungsleiterInnen gemacht. „Es gibt auch die schönen Geschichten.“

In Spandau zeigt sich, wie vielleicht die mittelfristige Zukunft des Breitensport aussieht. Tennis und Bogenschießen finden schon wieder statt, mit maximal zwei Personen. Im Tennis sind nur Einzel möglich, geduscht wird zu Hause. Vorherige Digitalisierungsmaßnahmen kommen jetzt dem Verein zugute: im Tennis läuft eine elektronische Platzbuchung, im Bogenschießen gibt es eine App, wo sich die Mitglieder in einen Wochenplan eintragen. Corona-Beauftragte sollen im Falle einer positiven Testung auch daran nachvollziehen können, wer wann vor Ort war.

Abstandsregeln werden im Alltag lockerer genommen

„Es ist ein unfassbarer Aufwand“, sagt Michael Pape. Und: „Ich hätte nie gedacht, dass ich mal 40 Stunden pro Woche Krisenmanagement machen muss. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie Vereine ohne Hauptamt das leisten sollen.“

Wie so viele wünscht Pape sich „eine Lockerung mit sinnvollen Auflagen“. Der Breitensport besteht bislang stabil, aber der ungleiche Sport bleibt ungleich. Hauptamt und Ehrenamt, Vereine mit Gönnern, Vereine mit Mitgliedern in Geldnot. Kirsten Ulrich von den Karower Dachsen fasst es so zusammen: „Mannschaftssport wird sehr leiden, gerade die Sportarten, die es auch sonst nicht leicht haben. Viele Frauenteams im Leistungsbereich leiden stärker, weil sie sowieso wenig Sponsoren haben. Und der Sport für Menschen mit Beeinträchtigung.“ Sportsenator Andreas Geisel hat vergangene Woche einen Rettungsschirm auch für den Berliner Breitensport angekündigt.

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